Schauplatz Stuttgart : Der Wasen-Wahnsinn dreht zum Finale auf
Schauplatz Stuttgart : Der Wasen-Wahnsinn dreht zum Finale auf
Von Uwe Bogen
Stuttgart - Der Cannstatter Wasen ist dort, wo das Leben spielt. Und das Leben ist nicht immer schön. Im Januar hat Harald Ulsamer alias DJ Uli seine Frau nach 38 Ehejahren verloren. Ihr Tod hat den Rentner aus der Bahn geworfen, doch irgendwann hat er sich berappelt und sich vorgenommen: Jetzt geb’ ich noch mal so richtig Gas!
Beim 85. Stuttgarter Frühlingsfest trägt der 73-Jährige ein gelbes T-Shirt, auf dem mit roter Schrift steht: „Das Leben geht weiter. Vorbei sein kann’s mit einem Rumms.“ Und deshalb, sagt er, feiert er „mit Bums“!
So schnell kann Schluss sein! Doch solange es nicht rummst, sollte das Leben genossen werden. DJ Uli, der über die Freuden singt, ein „alter Sack“ zu sein, ist aus Ravensburg angereist. Bei der „Wasengaudi“ in der Almhütte Royal von Wirtin Nina Renoldi will er mitfeiern, bei der wohl verrücktesten Party des Frühlingsfestes mit vielen Spielen.
Veranstalter ist Florian Gauder, der demnächst in „Wer isses?“, der neuen Show von Pro Sieben mit Ralf Schmitz und Chris Tall, recht mutig auftritt. Wenn der Degerlocher Bauunternehmer ruft, kommt spezielle Prominenz. Da wäre etwa Deadpool, der US-Actionheld im roten Gummidress, das Selfie-Wunder des Abends. Aber auch Axel Munz ist aus München angereist. Als der Chef von Angermaier mitten in der Feier via Livebericht vom Handy hört, dass der neue Papst Leo XIV. 69 Jahre alt ist, wundert er sich: „Was so jung?“ Trotz lauter Partyhits sind die Nachrichten aus Rom ein beherrschendes Thema.
Munz sagt, das Stuttgarter Frühlingsfest sei viel besser als das Münchner Pendant, das zwei Wochen dauert. Bei ihm daheim wolle man den Rummel im Frühling nun auch auf drei Wochen verlängern. Ob das was hilft? Von der neuen Merz-Regierung erhofft sich der Chef des führenden Trachtenunternehmens, dass sie alles dafür mache, die Kaufzurückhaltung der Deutschen auszubremsen.
Ein Ruck muss durchs Land gehen! Bei der „Wasengaudi“ ruckelt es heftig. Eines der Partyspiele ist ein Schüttelgerät, das für Füße konstruiert wurde. Gauder hat es umgebaut, sodass man sich nun draufsetzen kann. Der Po wird zum Wackelpudding, und obendrein warnt der Partyspielagent vor unerwarteten Erektionen, die auf dem Schüttelsitz entstehen könnten. Zum Glück ist es so laut, dass seinen Gag nicht alle verstehen.
Kein Fest mehr ohne emporgereckte Handys. Alles muss ins Netz rausgeschickt werden! Ein Team des Vereins Startup Stuttgart filmt, wie Gäste Sätze sagen wie: „Ich geb’ mein Freibier weiter an den, der seinen Businessplan auf einen Bierdeckel schreiben kann.“ Junge Firmenchefs feiern ein Pre-Event zum Gründerwasen, der beim Volksfest ein richtig großes Ding werden soll. Über 1000 Gäste werden im Herbst erwartet, wenn die Initiatoren Johannes Ellenberg und Philipp Hagebölling vom Startup-Verein „Wirtschaft, Innovation und Wasenflair in einem völlig neuen Format“ vereinen wollen.
Drei Wochen Frühlingsfest, das erfordert mehr Kondition als zwei Wochen Volksfest. Auch wenn es unter der Woche ruhig bleibt, wird donnerstags bis samstags das große Geschäft gemacht. Mit mehr als zwei Millionen Gästen bis Sonntag läuft’s auf einen Rekord hinaus. Tim Berkemer, Chef des Party-Hotspots Spitzbubenbar, freut sich zwar, wenn es rum ist, weiß aber schon jetzt: „Nach einigen Tagen werde ich den Wasen vermissen.“
Werden bei ihm Flaschen bestellt, die 100 Euro oder mehr kosten, entzünden die Kellner ein kleines Feuerwerk und lassen Glitter regnen. Selbst am Nachmittag passiert dies, zumal dann, wenn die InfluencerinnenAnahita Rehbein und Olivia von Platenzu Gast sind und ihren „Live-Podcast“ zelebrieren. Tim Berkemer hat als Hausherr die Presse dazu eingeladen, doch die beiden sonst sehr redseligen Freundinnen lassen einsilbig eine Journalistin nicht rein. In ihren Posts geben die blonden Frauen, die aussehen wie Zwillinge, so viel Privates von sich preis, dass man mitunter peinlich berührt ist, doch mit Pressefreiheit tun sie sich ein wenig schwer.
Berkemer ist ausgerechnet an diesem Nachmittag nicht da, sonst wäre er zugunsten der ausgesperrten Journalistin eingeschritten. Zeltchefin Nina Renoldi hat einen Fotografen geschickt, der den Auftritt des Duos Rehbein & von Platen dokumentiert, was die Almhütte Royal für Werbung nutzt und unserer Zeitung schickt. Was die beiden erzählt haben? Ist nicht so wichtig. Sie sind Vertreterinnen einer Generation, die sich selbstverliebt im Internet feiert. Fachleute nennen das Geschäftsmodell „Oversharing“. Man teilt offenherzig viel zu viel über sich, auf dass Follower-Zahlen explodieren.
Vor dem Frühlingsfest-Finale ist es am Donnerstagabend in allen vier Zelten noch mal so richtig voll. Beim Benz singt Hofnarr Luigi: „Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grenadier.“ Beim Wasenwirt feiert die queere Bären-Party „Empore Amore“ ihre Premiere. Die Worte von DJ Uli klingen nach: Das Leben kann rasch vorbei sein „mit einem Rumms“. Also sollte man feiern „mit Bums“.