Schockanrufe: Ein Opfer berichtet
Eine 61-Jährige wird Opfer einer Schockanruferin. Die vermeintliche Tochter erzählt mit weinerlicher Stimme von einem tödlichen Verkehrsunfall, den sie verursacht habe. Die angerufene Frau geht zur Bank, hebt rund 28000 Euro ab und übergibt das Bargeld an einen Unbekannten.

© Maik Goering
Betrüger geben sich meist als Verwandte aus und bitten kurzfristig wegen einer Notlage um Bargeld. Symbolfoto: Polizeiliche Kriminalprävention
Von Florian Muhl
Backnang. „So etwas passiert mir nie!“ Die Frau, die vor wenigen Tagen Opfer einer Schockanruferin geworden ist und dabei fast alle ihre Ersparnisse verloren hat, ist noch sichtlich aufgelöst und fassungslos. Die 61-Jährige war sich sicher, dagegen gewappnet zu sein. Immer wieder hatten ihre Kinder mit ihr und ihrem Mann über die Machenschaften solcher Trickbetrüger gesprochen. Immer wieder hatten ihr Sohn und ihre Tochter den Eltern die wichtigsten Tipps der Polizei gepredigt: Gleich wieder auflegen, wenn man nicht sicher ist, wer anruft, und sich nicht unter Druck setzen lassen. Nie am Telefon über persönliche und finanzielle Verhältnisse sprechen. Und schon gar nicht Geld oder Wertsachen an unbekannte Personen übergeben. All das hat die Frau aus dem Raum Backnang gewusst. Und wenn sie allein ist, wollte sie gar nicht erst ans Telefon gehen, wenn es klingelt und die Nummer unterdrückt ist.
All das wusste sie. Und doch ist es passiert. Sie ist auf Trickbetrüger am Telefon hereingefallen. Rund 28000 Euro sind jetzt weg. Der Sohn hat sich an unsere Zeitung gewandt: „Es geht uns darum, dass es keine weiteren Geschädigten gibt. Wenn der Artikel dazu beiträgt, dass eine Person deshalb nicht Opfer wird, dann hat sichs schon gelohnt für uns.“ Zusammen sitzen Mutter und Sohn, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen, im Wohnzimmer ihrer Wohnung und schildern, wie die Trickbetrüger vorgegangen sind.
„Mama, ich habe einen großen Unfall mit dem Auto, ich hab’ jemand getötet“
Es ist der Montag vor einer Woche. Die 61-Jährige ist im Begriff, die Wohnung zu verlassen. Kurz vor 14.30 Uhr klingelt das Festnetztelefon. Die Nummer des Anrufers ist unterdrückt. Sie nimmt trotzdem ab. Warum, das kann sie heute nicht mehr sagen. Eine spontane Reaktion. Am anderen Ende der Leitung eine weinerliche Frauenstimme: „Mama, ich habe einen großen Unfall mit dem Auto, ich hab’ jemand getötet.“ Die 61-Jährige ist geschockt. Dieser eine Satz reicht, um sie komplett aus der Fassung zu bringen. Von da an kann die Frau nicht mehr klar denken. Keine Zweifel daran, dass es gar nicht ihre Tochter ist.
Dann übernimmt eine zweite Frau das Gespräch, die sich als Polizistin ausgibt. Sie sagt, dass sich die Tochter im Gewahrsam der Polizei befindet, psychologisch betreut wird und deshalb nicht mehr zu sprechen ist. Dann fragt die vermeintliche Polizistin nach der Mobilnummer der Frau und ruft auch diese Nummer an. Von da an telefoniert die 61-Jährige übers Handy mit den Trickbetrügern und wird gleichzeitig aufgefordert, den Hörer des Festnetzanschlusses nicht aufzulegen. „So waren beide Telefone blockiert und über Stunden war unsere Mutter nicht erreichbar“, sagt der Sohn.
Die Betrüger fragen nach Geld und Schmuck
Die vermeintliche Polizistin erklärt am Telefon, es müsse eine Kaution bezahlt werden, die bereits am nächsten Tag wieder zurückerstattet werden würde. Dann könnte man die Tochter gehen lassen. Ob die Mutter Schmuck oder Geld habe und wie viel, fragt sie. Nein, keinen Schmuck, aber Geld, rund 28000 Euro, das liege aber auf der Bank, lautet die Antwort. So legen die Betrüger schließlich die Höhe der Kaution auf 28000 Euro fest. Auch ein Mann, ebenfalls ein Polizist, so heißt es, schaltet sich ein. Immer wieder werden die Gespräche am Telefon von den Anrufern unterbrochen, Pausen gemacht, aber stets soll die 61-Jährige in der Leitung bleiben.
Schließlich wird die Frau aufgefordert, zur Bank zu gehen und das Geld abzuheben, aber mit dem Handy, „wir wollen mithören“, so der Anrufer. Sollte sie gefragt werden, wofür der Bargeldbetrag sei, solle sie sagen: für Renovierungsarbeiten. Bei der Bank sagt die Frau auf Nachfrage, das Geld sei für eine Küche. Sie erhält das Bargeld, den ganzen Betrag in 200-Euro-Scheinen. Dann wird sie am Telefon aufgefordert, wieder nach Hause zu gehen, das Geld zu zählen und auf weitere Anweisungen zu warten. Die kommen nach langer Wartezeit. Die Frau soll sich nun zur Bushaltestelle in der Backnanger Marktstraße gegenüber dem Rathaus begeben. Ein Herr Krämer von der Polizei würde kommen und das Geld entgegennehmen. Sie dürfe mit ihm nicht sprechen, nur das Geld aushändigen. Die 61-Jährige wartet und wartet, insgesamt anderthalb Stunden lang.
Erst am Abend fliegt der Schwindel auf
Gegen 18 Uhr kommt endlich ein Mann, um die 30 Jahre alt, die Marktstraße heruntergelaufen. Er hat ein schwarzes Polo-Shirt an, auf dem „Polizei“ steht. Er sagt, er wäre Herr Krämer. Mehr Worte fallen nicht. Die Geschädigte drückt dem Unbekannten eine Plastiktüte mit einem Briefumschlag in die Hand. Der vermeintliche Polizist nimmt das Geld, läuft die Marktstraße hinunter und verschwindet. Nach der Geldübergabe kündigen die Betrüger am Telefon an, dass die Tochter in einer halben Stunde nach Hause kommen werde, dann wird auf beiden Telefonleitungen aufgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt war die 61-Jährige für Familienangehörige, die sich schon Sorgen gemacht hatten, telefonisch nicht erreichbar.
Erst am Abend, als Kinder und Eltern wieder zusammenkommen, fliegt der Schwindel auf. Der Sohn ist sich sicher: „Die Anrufer müssen Grundinformationen gehabt haben. Es gibt zu viele Zufälle, die vielleicht gar keine Zufälle sind.“ So haben die Betrüger bei ihrem Schockanruf das einzige halbstündige Zeitfenster erwischt, in dem die 61-Jährige an diesem Tag allein zu Hause war. Der finanzielle Verlust ist groß, doch die Familie hat mit dem, was der Mutter zugestoßen ist, bereits abgeschlossen.
Volksbank Backnang Wir sind dem Thema gegenüber sehr sensibel und haben deshalb umfangreiche Maßnahmen, um Betrugsversuche zu vereiteln. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden regelmäßig bankintern und in Zusammenarbeit mit der Polizei geschult und informiert.
Unsere Mitarbeiter sind darin geschult, Betrugsmaschen zu erkennen. Haben sie bei einer hohen Bargeldabhebung einen entsprechenden Verdacht, fragen sie nach, was die Hintergründe für die Geldabhebung sind und ob die Zahlung wirklich getätigt werden soll. Im Zweifelsfall versuchen unsere Mitarbeiter zunächst einmal, Zeit zu gewinnen, mehr Informationen zu bekommen und die „echten“ Verwandten oder Vertrauenspersonen mit einzubeziehen.
Grundsätzlich können wir unseren Kunden ihr Geld nicht verweigern. Bei hohen Geldbeträgen kann es dann auch mal sein, dass nicht alles in der Geschäftsstelle verfügbar ist und ein Teil der Summe erst noch bestellt werden muss.
Lässt sich der Kunde gar nicht überzeugen, haben wir noch ein Mittel: Wir stecken das gewünschte Geld in einen speziellen Umschlag. Dieser ist mit wichtigen Hinweisen zu einem möglichen Betrug versehen und kann so als „letzte Möglichkeit“ Wirkung erzielen.
Kreissparkasse Waiblingen Um unsere Kundinnen und Kunden zu schützen, schulen und informieren wir unsere Mitarbeiter regelmäßig, um Betrugsversuche zu verhindern und unsere Kundinnen und Kunden optimal zu beraten. Wichtig ist uns auch, die Bürgerinnen und Bürger für das Thema zu sensibilisieren und über aktuelle Betrugsmaschen aufzuklären.
Unsere Mitarbeiter sind alle sensibilisiert, genauer nachzufragen, sobald sie außergewöhnliche Barverfügungen bei ihren Kunden feststellen. Wenn die Kunden dieser Frage ausweichen, klären wir sie über die gängigen Betrugsmaschen auf. Bei begründetem Verdacht verzögern unsere Mitarbeitenden die Auszahlung, fragen bei Angehörigen nach oder schalten im Extremfall sogar die Polizei ein.
Leider werden die Geschädigten von den Betrügern in vielen Fällen zeitlich extrem unter Druck gesetzt und mit entsprechenden Formulierungen auf Nachfragen vorbereitet. Wenn ein Kunde trotz Aufklärung keine Bedenken äußert und auf die sofortige Auszahlung besteht, können wir die Auszahlung nicht verweigern.
In diesem Jahr konnten unsere Beschäftigten in vier Fällen (Volumen 107000 Euro) einen Schaden für unsere Kundinnen und Kunden verhindern.