Streitschlichterkongress in Backnang: Schüler helfen bei der Konfliktlösung

Etwa 180 Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich beim zehnten Streitschlichterkongress in Backnang damit, Konflikte zu entschärfen und Streit zu verhindern. An ihren Schulen wollen sie so für eine positive Atmosphäre sorgen.

Miriam Richter, Alissa Etzel und Lilly Braun (von links) sind an ihren Schulen Streitschlichter. Bei einem Kongress im Backnanger Bürgerhaus haben sie sich ausgetauscht und Neues gelernt. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Miriam Richter, Alissa Etzel und Lilly Braun (von links) sind an ihren Schulen Streitschlichter. Bei einem Kongress im Backnanger Bürgerhaus haben sie sich ausgetauscht und Neues gelernt. Foto: Alexander Becher

Von Kristin Doberer

Backnang. Ruhe bewahren, alle Seiten zu Wort kommen lassen und gemeinsam eine Lösung suchen: Die Schülerinnen und Schüler, die am Donnerstag zum Streitschlichterkongress in das Backnanger Bürgerhaus gekommen sind, wissen genau, wie sie sich bei Konflikten unter ihren Mitschülern verhalten müssen. Denn sie alle haben an ihrer Schule den Posten als Streitschlichter inne. Das heißt, sie helfen, Konflikte im Klassenzimmer, zwischen Freundesgruppen oder auf dem Schulhof zu lösen. Zum zehnten Mal fand der Streitschlichterkongress nun statt; etwa 180 Schülerinnen und Schüler von 14 verschiedenen Schulen im Backnanger Raum haben sich beteiligt. „Ich will so der Schule helfen. Wenn es weniger Streit gibt, ist das gut für die Atmosphäre in der Schule“, sagt Annelie Beer, die seit knapp zwei Jahren an der Max-Eyth-Realschule als Streitschlichterin tätig ist, zu ihrer Motivation für den Posten. Ähnliche Beweggründe nennen auch andere Schülerinnen, die beim Kongress dabei sind, zum Beispiel Alissa Etzel vom Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in Murrhardt: „Ich streite selbst nicht gern und will nicht, dass andere überhaupt in die Situation kommen.“

Aufbruchstimmung nach der langen Coronapause

Kommt es aber doch zu Konflikten unter Schülern, können die Streitschlichter hinzugerufen werden. Diese gibt es mittlerweile an vielen Schulen, wenn auch nicht immer unter diesem Namen – je nach Schule nennen sie sich auch die Pausencrew oder Pausenengel. Ihre Aufgaben sind aber immer ähnlich: Streit im besten Fall verhindern oder gemeinsam mit den Beteiligten nach Lösungen suchen. „Wir sind für die 5. und 6. Klasse zuständig. Wenn es dort Streit gibt, machen wir in der Pause oder am Nachmittag einen Termin aus und helfen, Lösungen zu entwickeln“, erzählt Annelie Beer. Wichtig sei es, den Betroffenen keine Lösung aufzudrängen, sondern deren Vertrauen zu gewinnen und gemeinsam eine Lösung zu finden. Dafür haben die Streitschlichter immer wieder geübt. Nicht nur beim Streitschlichterkongress, sondern auch in Übungsstunden mit Betreuern spielen sie verschiedene Szenarien durch, bearbeiten Arbeitsblätter zum Thema Konfliktlösung und beschäftigen sich mit Texten rund um das Thema Streitschlichten, erzählt Streitschlichterin Miriam Richter von der Max-Eyth-Realschule. Auch beschäftigen sie sich damit, wie Streit überhaupt entsteht und welche Arten davon es gibt.

Beim Streitschlichterkongress können sich die Jugendlichen noch weitere Kompetenzen aneignen. Zwei Workshops können sie besuchen, eine Auswahl gibt es aus 16 verschiedenen Themenbereichen. Zum Beispiel geht es um Stressmanagement, um die Themen Gaming und Spielsucht, um verschiedene Konfliktstile oder Zivilcourage im Netz. So unterschiedlich wie die Workshops sind auch die Workshopleiter. So beteiligen sich Polizeibeamte, Präventionsberater, Schulsozialarbeiter und auch Theaterpädagogen. Dazwischen gibt es eine Mittagspause und ein Forumstheater der Gruppe Wilde Bühne aus Stuttgart. Dabei werden die Jugendlichen mit eingebunden, einige haben sich spontan sogar am Bühnenprogramm beteiligt – und eben auch Neues gelernt. „Beim Theater haben wir zum Beispiel gelernt, dass sich Leute ganz anders verhalten, wenn sie in einer Gruppe sind und dass man sie deshalb eher einzeln zu Gesprächen einladen sollte“, sagt Etzel.

Eigentlich fand der Kongress immer alle zwei Jahre statt, aufgrund von Corona war er zuletzt 2019. „Jetzt haben wir wieder eine richtige Aufbruchstimmung“, beschreibt eine Workshopleiterin die Stimmung unter den Lehrkräften, Betreuern und den Jugendlichen. „Es ist eine Erleichterung, dass wir hier endlich wieder den Austausch mit den Kollegen haben.“ Denn nicht nur die Streitschlichter der verschiedenen Schulen tauschen sich aus, auch für die Pädagogen, die diese an den Schulen betreuen, gibt es einen eigenen Workshop. Dabei sind Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter und eben alle Streitschlichterbetreuer. Sie engagieren sich meist freiwillig und zusätzlich zu den alltäglichen Aufgaben für das Streitschlichterprojekt. Besonders die Organisation des Kongresses ist deshalb nicht ganz einfach. „Es ist schon sehr viel Aufwand, der nebenbei passieren muss“, meint die diesjährige Hauptorganisatorin Anna Lobitz, Schulleiterin der Haselsteinschule in Winnenden.

Trotzdem sei der Kongress wichtig für die Schülerinnen und Schüler, die sich als Streitschlichter einsetzen. „Ein Ziel des Kongresses ist es, den Schülern Wertschätzung entgegenzubringen. Wir wollen ihnen zeigen, wie wichtig ihre Arbeit ist“, sagt die Schulleiterin. Denn auch die Streitschlichter erfüllen ihre Aufgaben an der Schule meist in den Pausen oder nach Unterrichtsende. Außerdem soll der Tag auch eine Möglichkeit der Weiterbildung sein, nicht nur für die Aufgaben als Streitschlichter, sondern auch für die Jugendlichen persönlich. So gibt es zum Beispiel auch einen Filmworkshop oder einen Workshop, der den Jugendlichen dabei helfen soll, ihre eigenen Ziele zu definieren und dann auch zu erfüllen.

Konfliktlösung nicht nur im schulischen Umfeld

Das Gelernte wenden die Streitschlichter aber nicht nur in der Schule an. Auch im Alltag seien die Techniken hilfreich. „Auch zwischen Freunden kann man Streit manchmal eher vermeiden“, sagt zum Beispiel Alissa Etzel. Das bestätigt auch Annelie Beer: „Im Streit mit meinem Bruder reagiere ich viel ruhiger“, erzählt die 15-Jährige. Während sie früher den Streit eher noch angestachelt habe, könne sie nun viel besser damit umgehen. Der Streitschlichterkongress fungiert für die Schülerinnen und Schüler aber auch als Netzwerktreffen. „Es ist ganz toll, dass die verschiedensten Schularten dabei sind. In den Workshops sitzen Schüler vom Gymnasium ganz selbstständig neben Schülern mit Förderbedarf“, freut sich Organisatorin Anna Lobitz.

Power ohne Fäuste

Power ohne Fäuste Der Streitschlichterkongress ist ein Projekt des Netzwerks Power ohne Fäuste (PoF), das den Kongress mit der Hilfe von lokalen Unternehmen finanziert. Daran beteiligen sich 18 Haupt-, Werkreal-, Real- und Förderschulen sowie Gymnasien aus dem Raum Backnang und Murrhardt. Außerdem unterstützen auch Präventionsbeauftragte des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie Vertreter der Polizei und der Stadt Backnang das Projekt.

Projekte Neben den Backnanger Streitschlichterkongressen werden über Power ohne Fäuste noch Sportwettbewerbe, Antiaggressionstrainings, Theaterprojekte sowie Vorträge und Fortbildungen zu Präventionsthemen organisiert.

Ziele Power ohne Fäuste will Gewaltpräventionsprojekte an Schulen unterstützen und prosoziales Verhalten stärken.

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Erstellt:
17. März 2023, 06:00 Uhr

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