Schülern gehen täglich drei Stunden Lernzeit verloren

dpa München. Im zweiten Lockdown haben sich die Schulen nur etwas besser geschlagen als im ersten. Im Schnitt verloren die Schulkinder nach einer Erhebung des Ifo-Instituts mehr als drei Stunden Lernzeit pro Tag.

Forscher stellen der Corona-Schulpolitik in einer Studie kein gutes Zeugnis aus - auch weil sie nur relativ geringe Verbesserungen zum ersten Lockdown feststellten. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Forscher stellen der Corona-Schulpolitik in einer Studie kein gutes Zeugnis aus - auch weil sie nur relativ geringe Verbesserungen zum ersten Lockdown feststellten. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Mehr gedaddelt als gelernt: Kinder und Jugendliche haben einer Umfrage zufolge während der Schulschließungen zu Jahresbeginn mehr Zeit mit Computerspielen, sozialen Netzwerken oder ihrem Handy verbracht als mit Lernen.

Jeden Tag gingen ihnen im Vergleich zur Zeit vor Corona mehr als drei Stunden Lernzeit verloren, wie das Münchner Ifo-Institut am Dienstag mitteilte. Und die Debatte um Inzidenzgrenzen für weitere Schulschließungen hält an.

An diesem Mittwoch will der Bundestag die sogenannte Bundes-Notbremse beschließen, die vorsieht, dass Schulen auf Fernunterricht umstellen, sobald in der jeweiligen Region die Sieben-Tage-Inzidenz mehr als 165 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner beträgt. Für andere Bereiche greift die bundesweite Notbremse früher: ab einer Inzidenz von 150 für Läden, die nicht den täglichen Bedarf anbieten; ab 100 Neuinfektionen wird nachts der Ausgang eingeschränkt. Der Bundesrat befasst sich am Donnerstag damit.

Die Schüler lernten während der Schulschließungen der Umfrage zufolge statt im Schnitt täglich 7,4 Stunden - wie vor der Pandemie - nur noch 4,3 Stunden. Das ist zwar etwas mehr als im ersten Lockdown, doch die Bildungsforscher des Ifo-Instituts sind von der Politik enttäuscht: Auch mit „langer Vorlaufzeit und nach eindringlichen Appellen von Eltern und Wissenschaft“ sei es nicht gelungen, eine angemessene Beschulung aller Kinder im Distanzunterricht sicherzustellen, schreiben sie.

Studienleiter Ludger Wößmann kritisierte, dass nur eines von vier Kindern täglichen Onlineunterricht bekommen habe. Dieser müsse so schnell wie möglich allen Schülern zugänglich gemacht werden. Und das sei nicht Aufgabe der Schulen sondern der Politik. Am besten wäre es, wenn die Bundesländer einheitliche Lösungen fänden, sagte er. Man brauche klare und verbindliche Konzepte für den Onlineunterricht. In vielen Bereichen fehle es dabei weniger am Geld als daran zu handeln.

Bei manchen Kindern ist der Lernausfall sogar noch deutlich höher als die durchschnittlichen 3,1 Stunden. „Besonders bedenklich ist, dass 23 Prozent der Kinder sich nicht mehr als zwei Stunden am Tag mit der Schule beschäftigt haben“, sagte Wößmann. „Die Corona-Krise ist eine extreme Belastung für die Lernentwicklung und die soziale Situation vieler Kinder.“ Die Schulschließungen wirken sich dabei auch auf die Gesundheit aus: So sagten 31 Prozent, dass ihr Kind in der Zeit zugenommen habe - unter anderem durch Bewegungsmangel.

Doch nicht für alle Kinder sind die Schulschließungen negativ. Gut ein Viertel der Eltern (28 Prozent) ist der Meinung, dass sie ihren Kindern mehr genutzt als geschadet haben. Hier geht es unter anderem darum, dass Kinder seltener schikaniert wurden. Zudem berichteten zwei Drittel, ihr Kind habe gelernt, besser mit digitalen Technologien umzugehen und 54 Prozent sagten, ihr Kind habe gelernt mit Krisen gut umzugehen.

Der Verband Bildung und Erziehung nannte die Ergebnisse nicht überraschend. Sie zeigten, wie schwierig es für die Pädagogen sei, die Kinder zu unterstützen. „Wenn ein Drittel der Eltern berichtet, dass es regelmäßig oder sogar täglich Probleme mit den digitalen Plattformen oder Kanälen gab, ist das ein Armutszeugnis für die Digitalisierung“, sagte der Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Die Kultusministerien müssten ihre Bemühungen verstärken, „stabile, rechts- und datenschutzsichere Plattformen bereitzustellen“.

Die Bundestagsabgeordnete Katja Suding (FDP) kritisierte angesichts der Studie die Länder und die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Diese hätten „bei weitem nicht genug getan, um Kindern ihr Recht auf Bildung zu sichern“. Union und SPD müssten jetzt „alles dafür tun, um sicheren Präsenzunterricht zu ermöglichen“.

Zur Frage Präsenz- oder Onlineunterricht zeigte sich Wößmann zurückhaltend. Grundsätzlich könne nichts einen guten Präsenzunterricht ersetzen - insbesondere für jüngere Grundschüler. Doch er sei kein Virologe, betonte er.

Zuletzt hatte der deutsche Lehrerverband gefordert, Schulen bereits früher als bei der in der Corona-Notbremse des Bundes geplanten Inzidenz von 165 zu schließen. „Um eine Ausbreitung des Virus in den Schulen wirksam zu stoppen, muss der Präsenzunterricht bereits ab einer Inzidenz von 100 beendet werden“, forderte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt befand den höheren Schwellenwert dagegen für gerechtfertigt. Er finde es „richtig und angemessen“, dass versucht werde, Unterricht so gut es gehe aufrechtzuerhalten, sagte er. Auch Union und SPD verteidigten die Grenze von 165 am Dienstag. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, die Inzidenz sei nun einmal die nachvollziehbare Größe. „Die Länder können auch viel strikter noch handeln.“

Derzeit gibt es unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern. So gibt es zum Beispiel in Bayern Distanzunterricht ab Inzidenzwerten von 100 in einem Landkreis oder einer Stadt. Andernorts ist der Grenzwert höher - etwa in Hamburg, wo er bei 200 liegt. Sachsen hat sich bei Schulen ganz von einer Kopplung des Inzidenzwertes verabschiedet.

© dpa-infocom, dpa:210420-99-273826/3

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Erstellt:
20. April 2021, 10:23 Uhr

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