Schultes flieht mit der Staatskasse

Über 50-jährige Rathaussturm-Geschichte in Sulzbach – Beim 15. Fasnachtsspiel ziehen die Narren dem Bürgermeister den Zahn

Beim 15. Fasnachtsspiel in der über 50-jährigen Geschichte des Rathaussturms verhindern die Sulzbacher Narren in letzter Sekunde, dass Bürgermeister Zahn mit der Staatskasse durchbrennt. Die Sulzbacher Stäffeleshexen sind auf der Hut und die Guggenmusik Querköpf spielt dazu. Doch die Kasse ist leer.

Der elegante Quacksalber und fahrende Wunderarzt Dr. Eisenbarth (Miriam Staita) kuriert die Leut nach seiner Art: „Kann machen, dass die Blinden gehn und dass die Lahmen wieder sehn.“ Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Der elegante Quacksalber und fahrende Wunderarzt Dr. Eisenbarth (Miriam Staita) kuriert die Leut nach seiner Art: „Kann machen, dass die Blinden gehn und dass die Lahmen wieder sehn.“ Foto: J. Fiedler

Von Ute Gruber

SULZBACH AN DER MURR. Nachdem Bürgermeister Zahn mit seinen Untergebenen und den Räten unter den Pauken und Trompeten der Guggenmusik Querköpf gewaltsam aus dem Amtssitz vertrieben wurde, versucht der Schultes noch klammheimlich, sich mit der Staatskasse unter dem Arm abzusetzen. Aber dieser Zahn wird ihm gezogen, denn die Sulzbacher Stäffeleshexen sind auf der Hut und setzen dem Flüchtigen nach. So wird die schwere Straftat der Unterschlagung gerade noch vereitelt und der Würdenträger muss die Schatulle den Narren aushändigen.

Die allerdings machen lange Gesichter beim Blick in die Schatzkiste: „Fatzeleer!“, stellen Maria Schetter-Fluor und Birgit Kollak entsetzt fest. „Wie sollen wir da die Fasnet finanzieren?“ Der Schultes reicht ihnen seine (essbare) Amtskette. „Also Bürgermeister, die Würst zum Besteche helfet do au nimmer!“ Der Musikverein intoniert passend: „Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?“

Aber die Narren sind um eine Lösung nicht verlegen, schließlich habe Sulzbach hier in der Gegend das älteste Marktrecht, obwohl es sich noch nicht mal Stadt nennen durfte. „Seit 1573 scho, also seit 445 Johr!“ Im stolzen Murrhardt war man darüber seinerzeit not amused. Graf Ludwig von Löwenstein aber, der Sulzbach geerbt hatte, habe das bis heute ausgeübte Marktrecht bei Kaiser Maximilian beantragt, wie Artur Hubich vom Verein für die Erhaltung des historischen Sulzbach recherchiert habe. Ein mittelalterlicher Markt soll also die aktuelle Finanzkrise beheben. Mit Laute, Dudelsack, Trommel und Schalmei stimmen die Troubadoure von Haalgschrey aus Schwäbisch Hall auf die vergangene Zeit ein.

Sven (Kollak), der „Wegelagerer, Ausrufer und Marktschreier“, verkündet mit blumiger Sprache dem „hochverehrten Publikum“ das Angebot der Marktstände: „Äpfl, Grombiera, Brot ond Wurscht; Ton, Glas, oder was?“ Auch Häfner und Gerber gab’s in Sulzbach, wie noch heute an den Straßennamen zu erkennen ist: „Fell und Leder braucht ein jeder“, deklamiert Marktschreier Sven und legt Bürgermeister Zahn ein Fell über die Schulter. „Ä dick’s Fell hen die im Rathaus scho“, stellt Conférencieuse Birgit Kollak fest, „da hat neulich ein Beamter vom Rathaus g’fragt: Wieso meckern die Leut eigentlich immerzu über uns? Mir tun doch gar nix!“

Allerlei Gaukler, Wahrsager und Akrobaten beleben das Marktgeschehen. Wunderkerzen und Blümchen werden unter den Zuschauern verteilt. Biegsame Hofnarren und feuerwirbelnde, schwarze Akrobaten sorgen für Unterhaltung, der elegante Quacksalber und fahrende Wunderarzt Dr. Eisenbarth (Miriam Staita) „kuriert die Leut nach seiner Art. Kann machen, dass die Blinden gehn und dass die Lahmen wieder sehn“. Mit seiner rostigen Rohrzange soll er „unsrem Exobrigen Zahn mal einen faulen Zahn ziehen“.

„Im Schwäbischen Wald leba mir hauptsächlich vom Holz“

„Im Schwäbischen Wald leba mir hauptsächlich vom Holz, der Wald isch deshalb unser ganzer Stolz“, stellt der Marktschreier fest. Deshalb gibt es nicht nur „Schindla, Spächtele, Bohnestanga, Gartenzäun, Pflanztännle“ zu kaufen, sondern auch die Reisigbären der Hexenzunft sind pünktlich zum schmotzigen Donnerstag zum Leben erwacht. Zu den Klängen von „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum“ schleppen sie sich als weihnachtlich duftende, wandelnde Bäumchen mit ihrem zentnerschweren Häs aus frischem Tannenreisig zum unbeholfenen Bärentanz vors Rathaus.

Hier soll nach Wunsch der Narren vom (Ex-)Bürgermeister eine schattenspendende Linde gepflanzt werden, denn „im Sommer isch’s fei uff dene Stoiplatte so heiß, dass mer sich kostenfrei Spiegeleier braten kann“. Falls das Pflänzchen von der Obrigkeit nicht recht gepflegt würde und verkomme, müssten sie „im nächsten Jahr zwei Rossgespanne mit Sand um den Dorfbrunnen aufschütten und Palmen pflanzen“. Dann hätte man zu der Hitze auch noch das versprochene mediterrane Flair. Zuletzt ist man platt, dass die Ratsherren mit dem fleißigen Verkauf tatsächlich Geld aufgetrieben haben. „Hasch net gwisst“, klärt Birgit Kollak auf, „scho die alte Römer henn g’merkt, dass für Plünderungen in großem Stil eine tüchtige Verwaltung nötig isch.“ Sie vertritt heute Suse Greiner-Pflaum, die mit Maria Schetter-Fluor im Vorfeld noch „kräftig recherchiert, organisiert, arrangiert“ hat. Und dann hat sie „uns boykottiert un isch oifach in d’ Kur gange“. Zum großen Umzug am Faschingsdienstag sei sie aber wieder da.

Nachtwächter Christian Schweizer aus Murrhardt singt mit heiserer Stimme den Abgesang, dann zieht man zum Feiern gemeinsam ins bunt geschmückte Rathaus, wo Mönch Wohlfarth schon standesgemäß am Zapfhahn steht und Bier ausschenkt. Freibier für die Narren! Orden für die Verwaltung.

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Erstellt:
2. März 2019, 06:00 Uhr

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