Eigenwilliges Wappentier
Schwäbisch Gmünd und das erste Einhorn
Ohne Einhorn wird in Schwäbisch Gmünd kein Bauantrag gültig. Wie die einstige Reichsstadt vor 750 Jahren zu ihrem ungewöhnlichen Wappentier kam.

© Niklas Konzen
In Schwäbisch Gmünd begegnet einem das Einhorn auf Schritt und Tritt – auch im Vestibül des Spitals.
Von Eberhard Wein
Was den Berlinern ihr Bär und den Stuttgartern ihr Rössle ist den Menschen in Schwäbisch Gmünd ihr Einhorn. Vor genau 750 Jahren wurde erstmals ein entsprechendes Stadtsiegel mit dem Fabeltier an eine Urkunde des Klosters Lorch geheftet. Das heißt: man nimmt an, dass es so war. Das tatsächliche Siegel ging verloren; erhalten blieb nur die Inventarliste, die es erwähnt.
Für die Gmünder ist das Grund genug, ihr Wappentier am kommenden Wochenende mit zahlreichen Veranstaltungen zu feiern. Schließlich macht das Einhorn seither nicht nur Bauanträge und andere Formulare gültig, sondern erfreut weltweit Millionen kleiner Mädchen als Traum mit Rosa und Glitzer. Davon profitierte wiederum ein Gmünder Unternehmen. Der Spielfigurenhersteller Schleich verdiente kräftig am Einhorn-Hype. Seinen Stammsitz verlegte er kürzlich dennoch von Gmünd nach München.
Das Einhorn ist derweil längst dem Kinderzimmer entwachsen und zum Symbol der queeren Szene geworden. Für „das Tier, das es nicht gibt“, wie Rainer Maria Rilke einst anmerkte, ist das eine erstaunliche Karriere. Dass im 13. Jahrhundert tatsächlich geeinhörnte Wesen auf den Auen der Rems grasten, schließt der Stadtarchivar Niklas Konzen übrigens aus. Er hat eine andere Erklärung für den herausragenden Platz des Fabeltiers in der Bürokratie der einstigen Reichsstadt. Das Einhorn stehe für Reinheit und Unschuld. „Es gilt als wild und kann nur gefangen werden, wenn es einer Jungfrau begegnet, in deren Schoß es seinen Kopf legt“, sagt Konzen – im Mittelalter eine Allegorie für die Geburt Jesu und die Jungfrau Maria, die Patronin der Gmünder Pfarrkirche. Dass Stuttgarts Wappenpferdle ohne wundertätigem Horn auf der Nasenspitze auskommen muss, liegt daher nahe: Viel zu verrucht, die Landeshauptstadt!