Schwedische Start-up-Kultur als Vorbild für Deutschland

Stockholm ist Heimat vieler Jungunternehmen mit einer Bewertung von einer Milliarde US-Dollar

Das Partnerland der Hannover-Messe präsentiert sich als innovativ und wirtschaftsstark. Vor allem junge und kleine Firmen bewegen viel. Was kann Deutschland von Schweden lernen?

Stockholm Schweden darf aufs Treppchen, Deutschland nicht. In der Rangliste der innovativsten Länder weltweit steht das skandinavische Land besser da als Deutschland. Je nachdem, welchen Innovations­index man heranzieht, ergattert Schweden sich den zweiten oder dritten Platz – nur Länder wie Südkorea oder die Schweiz schneiden besser ab. Deutschland schafft es bestenfalls auf Rang vier. „Unsere Wirtschaft basiert auf Innovationen“, sagt die schwedische Wirtschaftsministerin Ann Linde. Auf der Hannover-Messe, die vom 1. bis 5. April stattfindet, ist Schweden das Partnerland.

Schweden ist ein Industrieland, genauso wie Deutschland. Die Autoindustrie, der Maschinenbau sowie die Holz- und Papierindustrie sind die größten Industriezweige – auch hier gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden Ländern. Konzerne wie ABB, Ikea, SKF oder Vattenfall prägen das Land. Doch es sind nicht zuletzt die Kleinstfirmen, denen das Land seinen innovativen Ruf verdankt. Mehr als 1,2 Millionen Unternehmen gibt es in Schweden. Gerade mal 8500 davon haben mehr als 50 Beschäftigte. 93 Prozent der Firmen haben weniger als fünf Mitarbeiter. Den klassischen Mittelstand, auf den Deutschland so stolz ist, sucht man in Schweden vergeblich.

„In Schweden kommen auf 1000 Beschäftigte 20 Start-ups, verglichen mit nur fünf in den USA“, sagt Jochen Schäfer vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Einige Jungunternehmer sollen gleich mehrere Start-ups gegründet haben. „Bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es in keiner Stadt außerhalb des Silicon Valley so viele ,Einhörner‘ – also mit mindestens einer Milliarde US-Dollar (890 Millionen Euro) bewertete Start-ups – wie in Stockholm“, fügt er hinzu. Eine Heimat finden sie in einem der vielen Technologiezentren, die in der Nähe von Universitäten angesiedelt sind. Dort finden die Gründer Unterstützung und können Netzwerke knüpfen. Viele der experimentierfreudigen Jungunternehmen setzen auf digitale Geschäftsmodelle. Manche erobern sogar die Welt. So stammt beispielsweise der digitale Musikdienst Spotify aus Schweden.

Auch Ellinor Eineren ist Unternehmerin. Sie war gerade 25 Jahre alt, als sie 2010 Agricam gründete. Seitdem widmet sie sich von ihrem Firmensitz im Science-Park in Linköping aus Milchkühen. Konkret geht es ihr darum, frühzeitig zu erkennen, ob eine Kuh krank ist. Auf kleinen Höfen kennt der Bauer jede einzelne Kuh, erläutert die quirlige Frau. Doch bei einer Herde von 500 Kühen funktioniere das nicht mehr. Deshalb hat sie eine Wärmebildkamera entwickelt, die etwa die Temperatur jeder einzelnen Kuh quasi im Vorbeigehen misst. Wenn Krankheiten früh erkannt werden, sei kein Antibiotikum nötig, erzählt sie. Dank ihrer Technologie sei der Verbrauch von Antibiotika um rund 50 Prozent gesunken. Auch Mattias Josephson ist Mieter im Science-Park. Er ­beschäftigt sich mit neuartigen Solarzellen, die dazu beitragen sollen, dass weniger ­Batterien eingesetzt werden. Im Visier hat er nicht zuletzt Geräte mit geringem Stromverbrauch, etwa Sensoren. Jo­seph­son, der die Firma Epishine gegründet hat, nutzt die ­Innenbeleuchtung, um Strom zu erzeugen.

Wie wichtig Schweden neue Technologien sind, macht eine Zahl deutlich: Das größte Land Skandinaviens investiert rund 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung. In Europa steckt nur die Schweiz einen höheren Anteil in die Zukunftssicherung. In Deutschland sind es dagegen nur 2,9 Prozent.

Schnelles Internet gehört in Schweden, das in den nördlichen Landesteilen dünn besiedelt ist, fast überall zum Standard. Und die Menschen sind aufgeschlossen für digitale Neuerungen. Sie haben „großes Vertrauen in den Staat und stellen ihre Daten leichter zur Verfügung“, sagt Hans-Jürgen Heimsoeth, der deutsche Botschafter in Schweden. Das betrifft etwa den täglichen Einkauf. Mittlerweile tätigen sie 80 Prozent ihrer Einkäufe bargeldlos, heißt es bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer. Selbst die Tasse Kaffee wird mit Karte bezahlt. „Wenn Sie keine PIN haben, haben Sie in Schweden ein Problem“, erläutert Yvonne Heidler, die beim Maschinenbauverband VDMA für Schweden zuständig ist. Zum Vergleich: In Deutschland wird nur für 20 Prozent der Einkäufe die Karte gezückt.

Nicht zuletzt dank seiner experimentierfreudigen Unternehmen steht das Partnerland der weltgrößten Industrieschau gut da. Die exportorientierte Wirtschaft hat sich ­robust entwickelt. Die Zusammenarbeit mit Deutschland floriert. 900 deutsche Unternehmen mit zusammen 70 000 Mitarbeitern sind in Schweden tätig. In Deutschland gibt es 1400 schwedische Firmen mit 120 000 Beschäftigten. Neben Großbritannien gehört Deutschland zu den größten Handelspartnern – und die Zusammenarbeit nimmt zu.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven haben den Grundstein dafür 2017 gelegt, als sie das deutsch-schwedische Tech-Forum eingeweiht haben. Dabei solle es nicht zuletzt darum gehen, deutsche Unternehmen mit schwedischen Tüftlern zusammenzubringen. Die Deutschen sollen von schwedischen Innovationen profitieren. Sie sollen sich an Start-ups beteiligen. Und die Start-ups ihrerseits finden Partner und Kunden – dank der globalen Aufstellung Deutschlands auch über Ländergrenzen hinweg.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:18 Uhr

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