Fahrkartenkauf in Baden-Württemberg
Schweizer Start-up rettet App des Verkehrsministers
Vor gut zwei Jahren hat Landesverkehrsminister Winfried Hermann eine App präsentiert, die per Smartphone-Wisch Tickets verkauft. Erst jetzt hebt sie ab – aus einem besonderen Grund.

© LICHTGUT/Max Kovalenko
Start mit großen Hoffnungen: Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und der damalige kaufmännische Vorstand der SSB, Mario Laube, präsentieren im Juni 2023 die App.
Von Andreas Geldner
Der Hinweis an den Türen der Stuttgarter Stadtbahnen ist leicht zu übersehen. Ein kleines Quadrat steht da unter einem halben Dutzend weiterer Piktogramme neben den Türen, darin zwei Pfeile und der Hinweis: „Check-in BWeit“. Die wenigsten Fahrgäste dürften wissen, was genau damit gemeint ist.
Lieblingsprojekt des Verkehrsministers
Das ist symbolträchtig für das im Jahr 2023 von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) mit großem Elan lancierte Projekt. Hier ist eine Zielgruppe im Blick, die in Zeiten des Deutschlandtickets etwas aus dem Fokus geraten ist: Es sind Menschen, die zwar regelmäßig mit Bus und Bahn unterwegs sind, aber für die sich die monatlich 58 Euro für ein Abo nicht lohnen.
Sie leiden weiterhin unter dem Tarifdschungel, der sich auch in Baden-Württemberg ausgebreitet hat. „Check-in, Check-out“ heißt deshalb das Prinzip der App-Plattform CicoBW, die jeder Verkehrsverbund im Land in Lizenz übernehmen könnte.
Beim Einsteigen signalisiert man dem System, dass es mit der Fahrpreisberechnung loslegen kann, beim Aussteigen checkt man aus. Die App erkennt den Standort der Nutzer und kann daraus – quer durch alle Tarifzonen und Verkehrsverbünde – den günstigsten Fahrpreis berechnen.
Eigentlich eine gute Idee. Doch abseits der Stuttgarter Straßenbahnen, welche die Funktion in der App BWeit des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS) und der landesweiten Bwegt-App anbieten, hat sich auch mehr als zwei Jahre nach dem Start kein weiterer baden-württembergischer Partner gefunden. Insgesamt blieb die Zahl der Nutzer bisher deshalb sehr überschaubar. Alle anderen Verbünde im Land verkaufen ihre Tickets lieber über eigene Vertriebskanäle und Apps.
FDP bemängelte Fehler bei Preisen
Zudem gab es ein paar technische Macken. So bemängelte die FDP in diesem Sommer in einer Landtagsanfrage an das Verkehrsministerium, dass die App die Ticketpreise falsch anzeige. Dies zeige, wie unübersichtlich und kundenunfreundlich weiterhin die Angebote im Nahverkehr seien, bemängelten die Liberalen. App-Experimente führten hier nicht weiter. Das Problem mit der Preisdarstellung ist laut Verkehrsministerium und VVS inzwischen gelöst. Abgerechnet worden sei zudem immer der korrekte Preis.
Schweizer mit großem Kundenstamm
Die Rettung kam in diesem Jahr aus der Schweiz. Man hat dort einen Partner gefunden, der ein massives Interesse daran hat, diese Art des Ticketkaufs zu etablieren. Das Berner Start-up Fairtiq sieht in der Methode Check-in und Check-out ein lukratives Geschäftsmodell, das man zurzeit in ganz Europa ausrollt.
Inzwischen haben die Schweizer 1,6 Millionen Nutzer in elf Ländern. Seit der Gründung vor neun Jahren sei Faitiq für 300 Millionen Fahrten benutzt worden, sagt das Unternehmen. Zum Vergleich: Der VVS spricht von 50 000 Fahrten mit der App BWeit in den vergangenen zwölf Monaten. Fairtiq verkauft also nach dieser groben Rechnung jährlich fast 670 mal so viele Fahrkarten mit seiner App.
Sprungbrett in Baden-Württemberg
Und so hat Faritiq im Februar diesen Jahres als Lizenznehmer CicoBW als willkommenes Sprungbrett genutzt. Das erlaubt den Zugriff auf die von Baden-Württemberg zur Verfügung gestellte IT-Infrastruktur. Das Land hat für deren Aufbau eine halbe Million Euro ausgegeben. Weitere 100 000 Euro im Jahr kostet der Betrieb spezieller Server, die bei der Abrechnung helfen. Der Marketingetat ist dabei noch gar nicht einberechnet. Das Landesverkehrsministerium hat den Schweizer Joker deshalb gerne gezogen. „Auch deshalb, weil Fairtiq beachtliche Bestandskundenstämme in CicoBW einbringt“, sagt eine Sprecherin.
Ein Start-up handelt agiler
Der Vorteil: Als Start-up haben die Schweizer im Gegensatz zu Verkehrsverbünden keine eigenen, traditionellen Vertriebswege zu verteidigen. Sie wollen eine möglichst rasche Expansion. Für das Marketing bedeutet das einen Schub.
Auch der VVS spricht in diesem Jahr von um ein Fünftel gestiegenen Nutzungszahlen. Fairtiq hat aber nach eigenen Angaben in Baden-Württemberg binnen eines guten halben Jahres bereits fast eine Million Fahrten durchgeführt. Zum Vergleich: Ein volles Jahr nach dem Start sprach man beim Land und dem VVS von etwa 3000 Downloads der Apps im Monat, also rund 35000 insgesamt – hielt sich aber bedeckt, wie viele Tickets tatsächlich verkauft wurden.
Inwieweit das Beispiel der Schweizer nun andere, möglichen Lizenznehmer im Land aus der Reserve lockt, ist offen. „Das Ministerium ist informiert, dass weitere Verkehrsverbünde im Land Vorbereitungen für eine Implementierung der CicoBW-Funktion in ihren Apps treffen“, sagt die Sprecherin des Verkehrsministeriums.