„Selbst das Schwein schlüpft als Wurst ins Glas hinein“

Die Sonderausstellung „Sommer im Glas“ im Glasmuseum beschäftigt sich mit der Geschichte der Vorratshaltung. Zu sehen sind nicht nur Einmachgläser.

Einmachgläser in vielerlei Formen und mit vielerlei Inhalt sind im Glasmuseum ausgestellt. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Einmachgläser in vielerlei Formen und mit vielerlei Inhalt sind im Glasmuseum ausgestellt. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

SPIEGELBERG. In zweierlei Hinsicht ist die Ausstellung „Sommer im Glas“, die das Spiegelberger Glasmuseum im Moment zeigt, hochaktuell: Zum einen ist in den Gärten Hauptsaison. Obst und Gemüse reift und will verspeist oder haltbar gemacht werden. Das Konservieren von Lebensmitteln ist stark mit dem Thema Glas verbunden. Zum anderen hat die Vorratshaltung mit Einsetzen der Coronapandemie eine Renaissance erlebt. Die Menschen hamsterten emsig, um zu Hause auch dann noch gut versorgt zu sein, wenn der Gang in den Supermarkt wegen Krankheit oder Quarantäne nicht möglich ist. Tiefkühltechnik und weltweiter Handel, der ein von der Jahreszeit fast unabhängiges Angebot an Lebensmitteln schafft, haben alte Vorratstechniken weitgehend verdrängt. Die Sonderausstellung gibt einen Rückblick auf die letzten Jahrhunderte, in denen nur die wenigsten Lebensmittel ständig frisch zur Verfügung standen.

Marianne Hasenmayer hat die Grundausstattung für die Ausstellung vom Schnapsmuseum in Bönnigheim bekommen, wo sie im Jahr 2019 zu sehen war. In Personalunion hat die Verantwortliche für das Glasmuseum im Januar begonnen, die Exponate thematisch zu arrangieren und liebevoll zu präsentieren. „14 Tage nachdem ich damit fertig war, kam Corona“, sagt die Kuratorin und schüttelt den Kopf darüber, dass im Museum eine Ausstellung über Vorratshaltung wochenlang geschlossen bleiben musste, während die Menschen in den Supermärkten die Regale leer kauften, um Vorräte zu schaffen. Das Anlegen von Vorräten sei ein Grundbedürfnis des Menschen, heißt es auf einer Infotafel in der Ausstellung. „Vorräte gaben ihm die Sicherheit, in nahrungsarmen Jahreszeiten oder in Zeiten der Not nicht Hunger und Entbehrung leiden zu müssen.“ Viele Jahrhunderte lang waren Vorräte lebensnotwendig. Es gab keinerlei Konserven. Trocknen und Dörren war die günstigste Methode, Nahrungsmittel ohne Zusätze lange haltbar zu machen. Auch Zucker und Salz, Alkohol und Essig dienten dazu, Lebensmittel vor dem Verfall zu bewahren. Ob bei der Marmeladenherstellung oder beim Saften, die Ausstellung zeigt: Es geht oft nur mit Glasgefäßen.

Als Synonym für das Einlegen von Früchten oder Gemüse in Glas wird heute häufig das Wort „einwecken“ verwendet. Es geht zurück auf die Firma Weck, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Einkochvorrichtung entwickelte, die sie sich patentieren ließ. Jeder kennt die Gläser, die Gummiringe zwischen Glas und Deckel, die Metallbügel zum Verschließen. So zeigt eine Vitrine leere Einmachgläser in verschiedenen Formen und Deckel mit unterschiedlichen Schriftzügen. Denn die Methode von Johann Weck (1841 bis 1914), ein ausgesprochener Vegetarier und Alkoholgegner, Obst in Gläsern ohne Einsatz von Alkohol zu konservieren, fand Nachahmer. Die Gläser tragen Aufschriften wie „Frauenlob“, „Küchenglück“ oder „Frauenstolz“. In einer anderen Vitrine sind gefüllte Gläser zu sehen. Von der Seite mit Spots angestrahlt, bekommen die eingelegten Bohnen und Beeren, deren Sud sanft grünlich beziehungsweise rötlich schimmert, eine ästhetisch-appetitliche Dimension. Da möchte am liebsten jeder ins Glas. So darf man den Slogan einer einstigen Werbung der Firma Weck interpretieren: „Nun schlüpft sogar das liebe Schwein, als Wurst ins Glas von Weck hinein.“ Das älteste Exponat ist ein mit Kohlrabi gefülltes Einmachglas, dessen Etikett die Jahreszahl 1940 trägt. Es ist ein Glas in Kindergröße. Weckgläser und Zubehör fanden sich früher sogar in der Spielzeugküche kleiner Mädchen.

Auch das Thema Zweckentfremdung findet seinen Platz. Einmachgläser werden heute gern für die Präsentation von Sand, Muscheln und anderen Urlaubsandenken verwendet. Ein bisschen Ekel darf auch sein, hat sich Marianne Hasenmayer gedacht, und ein Glas mit eingelegten Leichen von Getier ins Regal gestellt. Nicht immer stehen die Techniken der Vorratshaltung mit dem Thema Glas in Verbindung. Interessant sind sie dennoch und werden in der Ausstellung dargestellt: Krauthobel und Kugel zum Beschweren des Deckels auf dem Zuber, hölzerne Butterfässer, Tonkrüge als Behältnisse für Schmalz.

Das Gerüst der Bönnigheimer Ausstellung hat Marianne Hasenmayer für Spiegelberg ergänzt um Fundstücke und Leihgaben aus der hiesigen Gegend und um vorhandene Materialien aus dem Glasmuseum – wie zum Beispiel den Schnapshund. Ursprünglich sollte die Ausstellung „Sommer im Glas“ bis Ende Oktober im Glasmuseum aufgebaut bleiben, hat nun aber eine Verlängerung bis ins Frühjahr bekommen. Dann reist sie weiter nach Öhringen.

Das Glasmuseum ist am 2. und 4. Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Weitere Infos: www.glasmuseum-spiegelberg.de

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Erstellt:
8. September 2020, 06:00 Uhr

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