Sensoren vermessen Überholmanöver

In einem etwa dreiwöchigen Aktionszeitraum erheben ADFC und Stadt Backnang, ob beim Überholen von Radfahrern der vorgegebene Mindestabstand eingehalten wird. Zwei Räder sind mit entsprechender Technik ausgestattet worden.

Backnangs Fahrradbeauftragter Volker Knödler, Martin Fischer von Klimaentscheid Backnang, Jürgen Ehrmann und Daniel Baier vom ADFC und Moritz Körner von der Backnanger Stadtverwaltung (von links) präsentieren die neue Kampagne für mehr Abstand. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Backnangs Fahrradbeauftragter Volker Knödler, Martin Fischer von Klimaentscheid Backnang, Jürgen Ehrmann und Daniel Baier vom ADFC und Moritz Körner von der Backnanger Stadtverwaltung (von links) präsentieren die neue Kampagne für mehr Abstand. Foto: A. Becher

Von Lorena Greppo

Backnang. Die Situation dürfte jedem bekannt sein, der schon einmal mit dem Rad im normalen Straßenverkehr unterwegs war: Ein Auto, Lastwagen oder Bus überholt einen und das mit viel zu wenig Abstand. Der Schreck sitzt, womöglich kommt man sogar ins Schlingern. „Ich bin viel mit dem Rennrad unterwegs“, berichtet Jürgen Ehrmann, der Vorsitzende des ADFC Backnanger Bucht. „Bei jeder Fahrt gibt es mindestens zwei bis drei solcher Begegnungen, wo es mich ärgert, wie nah die mir kommen.“ Manchmal sei es so knapp und gefährlich, dass er die Fahrer regelrecht anbrülle. Die Eduard-Breuninger Straße bezeichnet er als „Todesstrecke“, hier sei es besonders schlimm. Eine Möglichkeit sei es, in der Mitte der Fahrbahn zu fahren und einen Überholvorgang so völlig zu unterbinden. „Dass man dann angehupt wird, ist Alltag“, berichtet Moritz Körner. Der Mitarbeiter der Backnanger Stadtverwaltung fährt täglich mit dem Rad von Strümpfelbach aus zur Arbeit – egal bei welchem Wetter. Damit die subjektive Erfahrung auch mit Daten untermauert werden kann, ist er gemeinsam mit Jürgen Ehrmann und Martin Fischer vom Verein Klimaentscheid Backnang in den kommenden Wochen mit einem Open-Bike-Sensor unterwegs, der die Abstände in solchen Situationen misst.

Die Hoffnung der Verantwortlichen ist es, mit den Messungen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der vorgeschriebene Abstand von 1,50 Metern innerorts und zwei Metern außerorts in der Mehrzahl der Fälle nicht eingehalten wird. „Wir wollen den Menschen klarmachen, dass es oft zu knapp ist“, fügt Ehrmann an. Denn Böses wolle man den Verkehrsteilnehmer nicht unterstellen, aber mancher bemerke womöglich gar nicht, dass er den Mindestabstand unterschreitet. Wenn sich mehr Auto-, Lkw- und Busfahrer dessen bewusst sind und im Alltag mehr darauf achten, werde das Radfahren so sicherer gemacht. Denn, so Ehrmann, viele Interessierte fahren aufgrund dieser Tatsache lieber nicht mit dem Rad – aus Angst vor solch brenzligen Situationen. Dabei könne man einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, wenn mehr Menschen auf das Rad umsteigen.

Gleich der erste Versuch zeigt eine gefährliche Situation auf

Wie genau funktionieren die Messungen aber? An den Fahrrädern wird jeweils eine kleine Box unter dem Sattel angebracht, die unter anderem mit GPS und auf beiden Seiten mit einem Sensor versehen ist. Ein Kabel führt zudem zu einem Knopf mit kleinem Display, welche am Lenker angebracht werden. Bei jedem Überholvorgang drückt der Fahrer auf den roten Knopf und die Sensoren ermitteln den Abstand, der dabei eingehalten wurde. Die Identifizierung der Autofahrer ist dabei nicht möglich. Später können die Fahrten – auch Tracks genannt – inklusive ihrer Uhrzeit und der Geschwindigkeit des Radfahrers auf den Laptop übermittelt und auf einer Karte nachverfolgt werden. Das lässt verschiedene Erkenntnisse zu: etwa wie viele Überholvorgänge prozentual zu knapp sind oder ob sich die Situation im Berufsverkehr verändert.

Moritz Körner macht den Test. Bei seiner kurzen Runde durch Maubach wird er zweimal überholt: Ein Auto fährt mit 1,51 Metern Abstand vorbei – das ist gerade so in Ordnung. Der Bus hingegen hielt nur 0,52 Meter Abstand – eine brenzlige Situation für den Radfahrer. Klar ist den Beteiligten, dass die Zahlen der kommenden Wochen nicht repräsentativ sind. Dafür sind es zu wenige Fahrer und ein zu kurzer Zeitraum. Aber die Ergebnisse werden ein Fingerzeig sein, sind sie überzeugt. Und mit dem Testlauf soll es nicht enden: Der ADFC-Kreisverband besorgt Einzelteile der Open-Bike-Sensoren und bastelt sie zusammen. Im kommenden Jahr sollen so fünf bis sechs Räder ausgestattet werden. Unter anderem sollen Schüler Daten liefern. Deren Wege sicher zu machen, ist allen ein Anliegen.

Die Backnanger Stadtverwaltung möchte künftig auch mit Plakaten für das Problem des fehlenden Abstands sensibilisieren. Insgesamt 25 Banner sind in Auftrag gegeben, die darauf hinweisen, berichtet der städtische Fahrradbeauftragte Volker Knödler. „Die Idee ist, es in die Köpfe der Leute zu kriegen“, erklärt er. An Ortseingängen, am Stromberg-Murrtal-Radweg sowie am Landes-Radnetz sollen die Plakate jedes Jahr zu Beginn der Fahrradsaison platziert werden, beginnend 2022. „Außerdem sollen sie immer dann angebracht werden, wenn es etwas Neues gibt“, so Knödler. Beispielsweise wenn Radschutzstreifen markiert wurden.

Auch in anderen Kommunen wird gemessen

20 Open-Bike-Sensoren hat der ADFC Baden-Württemberg derzeit verfügbar und verleiht diese an verschiedene Ortsverbände, erklärt Benedikt Glitz vom ADFC-Landesverband. Das Projekt selbst sei schon vor etwa zwei Jahren in Deutschland angestoßen worden, diesen Sommer habe der Landesverband mit den Messungen begonnen. Neben Backnang sind beispielsweise auch Ulm und Bietigheim-Bissingen mit dabei.

Erfreut zeigt sich Glitz darüber, dass in Backnang auch die Stadtverwaltung sich einbringt. „Das ist nicht selbstverständlich und total klasse.“ Schließlich sind sie am Ende auch diejenigen, die bei Problemen etwa baulicher Art am ehesten nachbessern können.

Beim Vor-Ort-Termin in Backnang hat sich auch Daniel Baier vom ADFC Winnenden informiert, welcher die Sensoren ebenfalls ausprobieren möchte. „Die Kampagne mit den Bannern, die für Abstand werben, kommt bei uns auch bald“, berichtet Baier.

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Erstellt:
3. Dezember 2021, 06:00 Uhr

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