Verfassungsänderung

„Sexuelle Identität“ ins Grundgesetz: Die Union diskutiert

Drei CDU-geführte Bundesländer wollen den Artikel 3 der Verfassung erweitern – das trifft auf hochrangigen Widerspruch in der Bundestagsfraktion.

Berlins Bürgermeister Kai Wegner unterstrich auch auf der „Pride Parade“  im Juli in der Hauptstadt seine Haltung zur Verfassungsänderung.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlins Bürgermeister Kai Wegner unterstrich auch auf der „Pride Parade“ im Juli in der Hauptstadt seine Haltung zur Verfassungsänderung.

Von Norbert Wallet

Das Bundesland Berlin hat eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, die darauf abzielt, den Artikel 3 des Grundgesetzes zu ändern. Dort steht im dritten Absatz Folgendes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Berlin möchte in diesen Katalog das Merkmal der sexuellen Identität aufnehmen.

Dem Antrag haben sich auch zwei weitere Bundesländer mit CDU-geführten Regierungen angeschlossen: Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Sollte der Bundesrat zustimmen, richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Unionsfraktion, denn SPD, Grüne und Linke finden die Initiative gut.

Die Stimmungslage in der Unionsfraktion ist sehr gemischt. Für die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, die CSU-Abgeordnete Susanne Hierl, ist die Sache klar. „Für eine Erweiterung des Artikels 3 des Grundgesetzes um den Begriff der sexuellen Identität sehen wir keine Notwendigkeit, denn der allgemeine Gleichheitssatz garantiert schon heute in seiner bewährten Formulierung einen wirksamen Schutz gegen Diskriminierung“, sagte sie unserer Zeitung. Die Aufnahme der sexuellen Identität „würde letztlich keine substanzielle Schutzverbesserung bewirken.“ Hinzu komme, „dass die sexuelle Identität ein viel zu diffuser Begriff ist, um sich für eine Aufnahme in Artikel 3 des Grundgesetzes zu eignen.“ Im Übrigen sehe auch der Koalitionsvertrag „aus gutem Grund“ keine solche Ergänzung vor.

„Wir sehen keine Notwendigkeit“

Auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef, Günter Krings, lehnt den Vorstoß ab, weil ihm die Formulierung zu unklar ist: „Der Vorschlag, nun auch ‚sexuelle Identität‘ ins Grundgesetz zu schreiben, mag gut gemeint sein, der Begriff ist aber gefährlich unbestimmt und weit“, sagte er unserer Zeitung. Seine Begründung ist bemerkenswert und dürfte noch zu weiteren Debatten nicht nur in der Fraktion führen: „Leider reklamieren beispielsweise auch Pädophile für sich, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Identität handeln. Da ich niemandem, der hier eine Änderung des Artikel 3 anstrebt, unterstellen will, solche Haltungen im Verfassungsrecht verankern zu wollen, sollte die Initiative nicht weiterverfolgt werden.“ Krings lässt aber auch keinen Zweifel, dass er das Ziel des Vorstoßes teilt. „Wir stehen zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Es ist daher wichtig zu betonen, dass genau dieser Schutz auch jetzt schon vom Grundgesetz gewährleistet wird.“

„Webfehler des Grundgesetzes“

Diese klar ablehnende Haltung wird längst nicht von allen in der Fraktion geteilt. So nimmt der Esslinger Bundestagsabgeordnete David Preisendanz klar für den Berliner Antrag Stellung. Er sieht in der Aufnahme der sexuellen Identität die Korrektur eines „Webfehlers unseres Grundgesetzes“. Was er damit meint: „Homosexuelle Menschen waren die einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten, die nicht in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes aufgenommen wurde.“ Er könne nachvollziehen, „dass die fortgesetzte Nichtaufnahme der sexuellen Identität bei den Betroffenen Fragen auslöst. Das Grundgesetz beschränkt sich eben nicht nur auf den Leitsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, sondern hat sich dazu entschieden, schutzbedürftige Gruppen, die in der Geschichte häufig und systematisch diskriminiert wurden, ausdrücklich zu nennen.“ Er hält die Lücke deswegen „für evident“. Weiter die Aufnahme abzulehnen, sei „ein unnötiges Zeichen der Zurückweisung von Menschen, die auch heute noch in ihrem Alltag Diskriminierung erleben müssen“.

„Wir müssen die Debatte sensibel führen“

Andreas Jung, stellvertretender Bundesvorsitzende der Union, öffnet zumindest die Tür für eine breite Diskussion in der Partei. Seine Haltung: „Null Toleranz für Diskriminierung: Für alle Menschen muss immer, überall und ausnahmslos der volle Schutz unseres Rechtsstaats bestehen – unabhängig von der sexuellen Identität und selbstverständlich auch für queere Menschen.“ Er verweist aber darauf, dass der „Artikel 3 das heute schon mit Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot garantiert“. Das sei „unser Fundament der Debatte zu einer Erweiterung des Grundgesetzes über die bestehende Fassung des Verbots einer Diskriminierung wegen des Geschlechts hinaus“. Diese Debatte müsse „sensibel geführt werden – mit sorgfältiger Abwägung aller Gründe dafür und dagegen.“ Jeglicher Form von Polarisierung müsse entgegengewirkt werden.

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Erstellt:
3. August 2025, 14:52 Uhr
Aktualisiert:
3. August 2025, 15:49 Uhr

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