Entdeckung: Michaelina Wautier

Sie malte wie die Männer

Endlich: Nach 300 Jahren wird das vergessene Werk der Barockmalerin von Michaelina Wautier wieder entdeckt. Aber warum erst jetzt?

Die Heiligen Agnes und Dorothea (um 1655) wirken auf dem Bild von Michaelina Wautiers wie Mädchen von nebenan.

© Rik Klein Gotink

Die Heiligen Agnes und Dorothea (um 1655) wirken auf dem Bild von Michaelina Wautiers wie Mädchen von nebenan.

Von Adrienne Braun

Wer weiß, vielleicht hat sich das Bübchen vertrödelt und musste so schnell rennen, dass die Wangen glühten. Oder war er nur aufgeregt, weil er von Madame Wautier gemalt werden sollte? In jedem Fall ist der kleine Kerl mit rosigen Bäckchen und weißem Halstuch in die Geschichte eingegangen – und erfährt nun, rund dreihundert Jahre nach dieser Sitzung im Atelier von Michaelina Wautier, ungeahnte Aufmerksamkeit.

Seit Wochen schieben sich die Massen durch das im Kunsthistorischen Museum in Wien, in dem man eine ganz außerordentliche Entdeckung machen kann: Denn die Barockmalerin Michaelina Wautier war im 17. Jahrhundert tätig, einer Zeit, in der Frauen bestenfalls liebliche Stillleben oder Porträts malen durften. Sie dagegen befasste sich so selbstständig mit biblischen und mythologischen Themen wie die Kerle auch. Deshalb hielt man ihren „Triumph des Bacchus“ bis in die 1960er für das Werk eines Mannes. So viele nackte Männer konnten gar nicht von einer Frau gemalt worden sein.

Als hätte sie es geahnt, schrieb Wautier auf einigen Bildern neben ihre Signatur selbstbewusst „invenit et fecit“, um unmissverständlich klarzumachen: Michaelina Wautier hat es erfunden und gemacht. Und das, was Michaelina Wautier malte, kann sich wahrlich messen lassen mit den Werken der Kollegen, die man in der Ausstellung zum Vergleich zeigt: Rubens oder van Dyck. Sie hat ihr präzises Auge an ihnen geschult, trotzdem erkennt man beim Rundgang sofort ihre ganz eigene Art, Geschichten zu erzählen. Denn statt wie damals üblich, Personen und Szenen repräsentativ ins Bild zu setzen, schauen ihre Figuren meist aus dem Bild heraus. Sie wenden die Köpfe ab und scheinen mit diesem und jenem beschäftigt zu sein. Ganz klar: Es sind Menschen ihrer Zeit.

Während etwa Jacob van Oost d. Ä. den Heiligen Petrus gestellt wie in einer Theaterszene malte, scheint Wautiers „Heiliger Joachim“ von 1655 zu frösteln. Sie hat ihn lesend dargestellt, aber da es kalt zu sein scheint, hält er das heilige Buch nur mit einer Hand, während er die andere unter dem umgehängten Mantel wärmt. Oder der Jesuitenmissionar Martino Martin, ihn malte sie, wie er ist: dick, mit teigigem Gesicht, Rauschebart und wässrigen Augen. Dass der mächtige Mann bereit war, sich von einer Frau und in dieser Weise porträtieren zu lassen, lässt darauf schließen, dass Michaelina offenbar angesehen und respektiert war.

Fast ebenso spannend wie die Entdeckung dieser fast vergessenen Künstlerin ist die Recherche, die dahintersteckt. Da wenig überliefert ist, heißt es in der Ausstellung immer wieder „wahrscheinlich“ und „möglicherweise“. Eine Taufurkunde gibt es nicht, aber sicher scheint, dass Michaelinas Bruder Charles, der ebenfalls Maler war, um 1640 ein Haus in Brüssel mietete, in das auch sie einzog. Der in Brüssel herrschende Habsburger Statthalter Erzherzog Leopold Wilhelm sammelte ihre Werke und auch ein gewisser Tanzmeister Adam-Pierre de la Grené notierte, „für 15 Gulden eine Bacchus-Szene von Mademoiselle gekauft“ zu haben.

Bilder sind dagegen viele erhalten geblieben, sodass man zahlreiche schöne Werke entdecken kann – zum Beispiel Michaelinas Serie zu den Sinnen, bei denen ein Junge gerade in ein Brot beißt oder sich einer eben in den Finger geschnitten zu haben scheint. Man sieht, dass Wautier mit den Kindern bei der Arbeit im unmittelbaren Austausch stand. Eine der schönsten Szenen ist zweifellos das Doppelporträt zweier Mädchen. Laut Titel sollen es die Heilige Agnes und die Heilige Dorothea sein, aber sie wirken wie zwei Mädchen von nebenan, natürlich und lebensnah.

Ob Zufall oder Kalkül, Michaelina Wautier malte häufig weibliche Figuren und deren Geschichten: Maria als Mädchen, das gerade Lesen lernt, oder die Vermählung der Heiligen Katharina. Vielleicht stellte Wautier auch die Heilige Agnes und die Heilige Dorothea aus heimlicher Solidarität dar, denn die beiden Frauen lehnten es ab, zu heiraten, weil sie keusch bleiben wollten. Auch Michaelina Wautier heiratete nicht – vermutlich weniger aus Gläubigkeit, sondern weil das das Ende ihrer Karriere bedeutet hätte.

Nach einem langen, erfolgreichen Künstlerleben starb Michaelina Wautier 1689 mit – vermutlich – 78 Jahren. Zehn Jahre später wurde die Kunstsammlung der Geschwister versteigert, einen Katalog der Auktion gibt es nicht. Auch wenn wenige Dokumente erhalten sind, heute lässt sich nicht mehr leugnen, dass die vielen nackten Männer auf dem monumentalen „Der Triumph des Bacchus“ sehr wohl von einer Frau gemalt wurden. Die einzige weibliche Person auf der dramatischen Szene ist unübersehbar die Künstlerin selbst. Der Habsburger Erzherzog nahm das Bild von Brüssel mit nach Wien, wo es schließlich im Kunsthistorischen Museum landete.

Bei der Recherche sind die Forschenden auch auf eine kuriose Geschichte gestoßen: So wurde im 18. Jahrhundert die Wiener Gemäldegalerie in der Stallburg neu gestaltet. Da einige Bilder aber partout nicht wie geplant in die Wandtäfelung passten, griff man kurzerhand zur Schere. Auch Wautiers rechteckiger „Heiliger Joachim“ wurde hemmungslos beschnitten, bis er sich in den ovalen Rahmen pressen ließ. Schaut man den armen Heiligen nun an, könnte man glauben, dass er seine Stirn wegen dieses Frevels so skeptisch runzelt.

Selbstbewusste Gesten

BildungEigentlich hieß die Künstlerin Michelle, nutzte aber die lateinische Variante Michaelina. Vermutlich wollte sie damit auf ihre Bildung hinweisen – wie es auch die antike Säulen sollten auf ihrem Selbstporträt von 1650, bei dem sich Wautier an der Staffelei mit Palette und Pinseln in der Hand darstellte.

Ausstellungbis 22. Februar, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr. adr

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Erstellt:
6. November 2025, 09:38 Uhr

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