Skater suchen neue Heimat

Es ist ein verstecktes Kleinod, das sie in Spanien und Belgien kennen, aber in Stuttgart bisher noch ein gut gehütetes Geheimnis ist. Hinter den Wagenhallen gibt es eine Skatebahn, selbst gebaut. Doch sie muss weg.

Selbst ist der Skater: gemeinsames Bauen an der Bahn.

© Landtag BW//Leif Piechowski

Selbst ist der Skater: gemeinsames Bauen an der Bahn.

Von Frank Rothfuß

Stuttgart - Der Anfang liegt noch da. Unscheinbar. Eine Schwelle am Wegesrand. Sie war tatsächlich der Beginn, sozusagen der Grundstein des Nordiy Skateparks. „Die haben wir mitgebracht“, sagt Anna Sterle. Daraus ist etwas für Stuttgart Einzigartiges gewachsen, ein selbst verwalteter, selbst gebauter Skatepark, den sie Nordiy genannt haben. Nord für den Standort im Stuttgarter Norden und DIY, für „Do it yourself“. Selbst ist der Skater.

Angefangen hat es aber an einer anderen Stelle der Stadt. Fast entgegengesetzt, tief im Süden, in der Ziegelklinge in Heslach. Dort vermoderte und verfiel ein alter Spielplatz. Eine große Gruppe um Mitglieder des Stuttgarter Skateboardvereins und Skateboarder aus dem Olympiakader machten sich dafür stark, dort einen Skatepark zu errichten. Doch die Verwaltung fürchtete um das Naturschutzgebiet und Anwohner sich vor Lärm. Also bekamen sie eine Absage. „Wir hatten ein Konzept erstellt, aufgemaßt, geplant, wir hätten den Platz selbst gebaut“, sagt Anna Sterle.

Doch sie blieben heimatlos. Dabei tat eine Alternative Not. Der Skatepark in Botnang wird gerade an den Wochenenden überrannt, oder besser gesagt, überrollt. Die Anlage am Waldfriedhof ist überdacht und damit zwar trocken, aber im Winter sei es zappenduster, und im Sommer stehe die Hitze unter dem Dach. Da traf es sich gut, dass die Erzieherin Anna Sterle in die Helene-Pfleiderer-Berufsschule geht und dort mal die Gegend erkundet hat. Hinter den Wagenhallen und zwischen der Baustelle für Stuttgart 21 entdeckte sie daraufhin ein wildes Fleckchen Erde. Zugewuchert, kaum genutzt. Ein Plätzchen wie gemacht für die Skater. Der Kunstverein Wagenhallen hat den Ort gepachtet, dort fragten sie an. Die Künstler fanden, die Skater passen gut hierher, überließen ihnen die Ecke.

Dort packten die gut 70 Skater an, gossen Fundamente und bauten ihre Bahn. So professionell, dass einige von ihnen ihr Hobby zum Beruf gemacht und bei Firmen angeheuert haben, die in öffentlichem Auftrag Skatebahnen bauen. Am Nordiy haben sie sich ausgetobt, eine Kurve gebaut wie den Rand eines Pools in Kalifornien. Nach deutschen TÜV-Normen ist das eher nicht erwünscht, aber die Skater lieben diese Herausforderung seit den 1970er Jahren. Schon damals war es in Kalifornien zu trocken, um die meist nierenförmigen  Pools zu füllen. Also nutzten die Skater die Pools. Noch heute bieten sie Poolbesitzern an, umsonst zu putzen, wenn sie skaten dürfen. In Stuttgart bauten sie den Pool gleich ohne Wasser. Neugierig schauten auch die Bauarbeiter von nebenan zu. Boten ihnen Beton an, der übrig war. Und packten sogar nach Feierabend mit an.

Die Kunde sprach sich herum. Im Internet verbreitete sie sich schnell und weit. „Wir sind mal morgens gekommen, da waren plötzlich Spanier da, die hatten ihre Hängematten aufgehängt, hier geschlafen und geskatet“, erzählt Anna Sterle. Auch aus Belgien, Wien, Hamburg und vielen anderen Orten waren Skater da, der Nordiy ist eine Sehenswürdigkeit geworden.

Bei einer Führung durch die Wagenhallen schauten die Besucher auch bei den Skatern vorbei. Einem Ehepaar gefiel deren Treiben so sehr, dass sie einige Tage später wieder vorbeikamen und 100 Euro spendeten. Die sie sogleich wieder verbaut haben, mehrere Dutzend Leute errichteten noch im Winter eine Anlage für einen Anfängerkurs.

Alle sind also glücklich. Und trotzdem müssen sie weichen. Das Gelände wird gebraucht für den Bau der Interimsoper und von Wohnungen. Aber die Skater bereiten sich vor, sie gründen derzeit einen Verein, um förderfähig zu sein, sprich, um Geld von der Stadt bekommen zu können. Den Verein werden sie mit einem Augenzwinkern „Betonfreunde“ nennen. Was jetzt genau passiert, obliegt dem Gemeinderat. Eine Mehrheit im Gemeinderat hat einen Platz ausgeguckt, auf der Fläche des ehemaligen Daimler-Parkhauses im Neckarpark. Das wird derzeit abgerissen. Dorthin soll Nordiy samt den Künstlern von Contain’t ziehen.

Doch klappt der Umzug tatsächlich? Wie so oft stockt der Prozess. Marcel Roth, Stadtrat der Grünen, sagt: „Die Zeit drängt, im Herbst soll die Baustelle an den Wagenhallen eingerichtet werden.“ Mehrmals hat er schon bei der Verwaltung gefragt, woran es denn nun hakt. „Das wird offenbar hin- und hergeschoben“, sagt er, „lebendige Jugendkultur kann man nicht einfach ignorieren. Junge Leute fahren momentan in umliegende Kreisstädte, um größere Open-Air-Skateparks zu finden. Als Landeshauptstadt können wir doch mehr. Die Stadtverwaltung muss jetzt endlich grünes Licht für den Skatepark in Bad Cannstatt geben.“ Und der politische Wille sei eindeutig! Man will Nordiy eine Perspektive ermöglichen. Und einen neuen Anfang.

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Erstellt:
29. April 2024, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
30. April 2024, 21:57 Uhr

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