Zuerst zum Hausarzt

Skepsis in Baden-Württemberg nach Vorschlag zu neuer Patientengebühr

Die Bundesgesundheitsministerin ist offen für Eigenbeteiligung von Patienten: Wer direkt zum Facharzt geht, soll zahlen. Im Land ist man zurückhaltend.

Kann eine Patientengebühr überlastete Arztpraxen wirklich entlasten?

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Kann eine Patientengebühr überlastete Arztpraxen wirklich entlasten?

Von Bettina Hartmann

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat sich offen für eine neue Form der Praxisgebühr gezeigt. Aus ihrer Sicht sei es denkbar, „dass Patienten, die aus dem Primärarztsystem ausscheren wollen und nicht zuerst zum Hausarzt gehen, eine Gebühr entrichten müssen“, sagte sie.

Eine Einführung sei bereits 2026 denkbar, parallel zur Etablierung des Primärarztsystems – mit dem die Bundesregierung erreichen will, dass der Hausarzt bindend die erste Anlaufstelle ist. Zur Höhe einer solchen Gebühr äußerte Warken sich nicht.

KVBW kann sich Beteiligung von Patienten vorstellen

Das Thema Praxisgebühren wurde in den vergangenen Monaten immer wieder diskutiert. Auf Anfrage unserer Zeitung teilt die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) mit, dass man sich über Eigenbeteiligungsmodelle von Patienten austauschen könne. „Konkretes, etwa wer die Gebühr erhebt, müsste aber besprochen werden“, sagt KVBW-Kommunikationschef Kai Sonntag.

„Eine zusätzliche Belastung der Ärzte ist nicht tragbar“, stellt Sonntag klar. Es brauche „eine Form der Patientensteuerung“. Ob die Praxisgebühr dafür das beste Modell sei, darüber müsse man diskutieren.

„Aus unserer Sicht sind finanzielle Anreizsysteme wie eine Patientengebühr der falsche Ansatz“, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Trotzdem könnten auf Versicherte höhere Kosten zukommen. Geht es nach der AOK, soll der Gang zum Facharzt ohne qualifizierte Einschätzung der Notwendigkeit künftig nicht mehr mit der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden können. „Ausnahmen sollten für Kinder- und Jugendmedizin, Gynäkologie und Früherkennungsuntersuchungen gelten“, so Bauernfeind.

Stuttgarter Hausarzt lehnt Praxisgebühr ab

Aus dem Landesgesundheitsministerium heißt es auf Anfrage: „Eine Art ‚Sanktion‘ scheint aus unserer Sicht nicht der richtige Weg, um die Patienten effizient durch das Gesundheitssystem zu lotsen. Vielmehr müssen positive Anreize geschaffen werden.“ Dieser Ansicht ist auch Markus Klett, Allgemeinmediziner und Diabetologe in Bad Cannstatt. „Die Ausübung von Zwang kommt im Gesundheitswesen einer Bankrotterklärung gleich“, so der Vorsitzende der Ärzteschaft Stuttgart.

Beim Patienten führe das „zu Aggressionen“. Bereits 2004 sei eine Gebühr eingeführt und 2012 aus guten Gründen abgeschafft worden. „Das war Unsinn, da nur mit Aufwand verbunden.“ Ohnehin überlastete Hausarztpraxen würden dadurch erst recht zum Nadelöhr.

„Eine positive Patientensteuerung ist wichtig“, meint Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Die älter werdende Gesellschaft müsse gut versorgt werden. „Wir haben jedoch weniger Woman- und Manpower.“ Ressourcen müssten besser genutzt werden. „Hier braucht es weitreichende Reformen.“

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Erstellt:
10. November 2025, 18:40 Uhr

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