Sommertour war keine Abschiedstour

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange tritt im nächsten Jahr zwar nicht mehr an, hat bis dahin aber noch einiges vor. In dieser Woche hat er sich in seinem Wahlkreis über die Auswirkungen der Coronapandemie informiert.

Christian Lange informiert sich im Gespräch mit Michél Lochmann von der Firma Lochmann Berufskleidung über die Maskenproduktion in Backnang. Der Staatssekretär wünscht sich eine Quote für Schutzausrüstung aus heimischer Produktion. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Christian Lange informiert sich im Gespräch mit Michél Lochmann von der Firma Lochmann Berufskleidung über die Maskenproduktion in Backnang. Der Staatssekretär wünscht sich eine Quote für Schutzausrüstung aus heimischer Produktion. Foto: T. Sellmaier

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Vor zwei Wochen hat Christian Lange – für viele überraschend – bekannt gegeben, dass er bei der Bundestagswahl 2021 nicht noch einmal antritt. Hat der SPD-Abgeordnete und parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium die Nase voll von der Politik? „Überhaupt nicht“, versichert der 56-Jährige beim Besuch in unserer Redaktion. Aber wenn die Legislaturperiode im kommenden Herbst ende, sitze er 23 Jahre im Bundestag. Das sei der richtige Zeitpunkt, um noch einmal etwas Neues zu beginnen. „In vier Jahren ist es dafür vielleicht schon zu spät.“

Was das sein wird, lässt Christian Lange offen. An Angeboten scheint es aber nicht zu mangeln: Schon kurz nachdem er seinen Rückzug bekannt gegeben habe, hätten sich mehrere Anwaltskanzleien bei ihm gemeldet, erzählt der Jurist. Als Regierungsmitglied dürfe er allerdings frühestens 18 Monate nach seinem Ausscheiden aus der Politik einen Job in der freien Wirtschaft annehmen.

Um jedem Verdacht der Amtsmüdigkeit entgegenzutreten, hat Lange in dieser Woche wieder seine alljährliche Sommertour durch den Wahlkreis gemacht. Sie führte ihn unter anderem in die Rathäuser von Aspach und Weissach im Tal, ins Landratsamt und zur Agentur für Arbeit. Der Schwerpunkt, den der SPD-Politiker dabei traditionell setzt, hat sich diesmal von alleine ergeben: „Corona und seine Folgen“.

Lange setzt auf Olaf Scholz als Kanzlerkandidat.

Dazu hat Lange auch die Firma Lochmann Berufskleidung in Backnang besucht. Firmeninhaber Michél Lochmann hatte schon früh auf den Mangel an Schutzausrüstung reagiert und mit der Produktion von Mundschutzen und Gesichtsschildern begonnen. Für Christian Lange ist klar, dass sich Deutschland bei derart wichtigen Produkten künftig nicht mehr nur auf das Ausland verlassen darf. „Wir sollten überlegen, ob wir eine Quote für Schutzausrüstung aus heimischer Produktion einführen“, fordert er.

Insgesamt ist Deutschland in seinen Augen bisher aber gut durch die Krise gekommen. Bewährt habe sich vor allem das Instrument der Kurzarbeit, wie ihm die Leiterin der Waiblinger Arbeitsagentur, Christine Käferle, bestätigt habe. Allein im Rems-Murr-Kreis hat die Arbeitsagentur im Mai mehr als 18 Millionen Euro für Kurzarbeitergeld aufgewendet. „Wenn das nicht der Fall wäre, sähe es richtig düster aus“, vermutet Lange. Angesichts der Summen, mit denen die Bundesregierung zurzeit jongliert, um die Krise zu meistern, könne einem manchmal schon schwindelig werden, räumt der Abgeordnete ein. Trotzdem hält er das 130 Milliarden schwere Konjunkturprogramm für richtig. „Wenn wir jetzt nicht helfen würden, wäre es am Ende teurer“, ist er überzeugt.

Dass die Coronaregeln inzwischen dezentral erlassen werden, findet Christian Lange richtig: „Das hat den Vorteil, dass ein Maximum an Normalität möglich ist.“ Das setze allerdings auch voraus, dass die Verantwortlichen vor Ort im Falle eines größeren Ausbruchs schnell und konsequent reagieren. Die Gefahr einer zweiten Infektionswelle bestehe nach wie vor, warnt der Abgeordnete, vor allem, wenn die Menschen in den Sommerferien wieder quer durch Europa reisen.

Parteipolitik spielte in den vergangenen Monaten kaum eine Rolle, trotzdem waren es zuletzt vor allem Unionspolitiker wie Angela Merkel, Jens Spahn oder Markus Söder, die im Fokus standen. Wen kann die SPD im nächsten Jahr dagegenstellen? Christian Lange hat dazu eine klare Meinung: „Ich setze voll auf Olaf Scholz. Er ist unser Krisenmanager und hat auch schon gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann.“ Ihn sollte die Partei zum Kanzlerkandidaten küren, findet Lange, und zwar ohne monatelangen internen Richtungsstreit: „Das muss schnell gehen.“ Lange selbst will in seinen letzten eineinhalb Jahren als Staatssekretär noch einige Projekte zu Ende bringen, die ihm persönlich wichtig sind. Zum Beispiel die Einführung eines Lobbyregisters („Das ist überfällig“) oder einer Frauenquote, die nicht nur für die Aufsichtsräte der Dax-Konzerne, sondern auch für deren Vorstände gilt. Auch das geplante „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ liegt dem SPD-Abgeordneten am Herzen. Skandale wie bei VW oder aktuell bei Tönnies zeigten, dass Firmen, die sich nicht an Gesetze halten, viel zu oft ungeschoren davonkämen. Bis zum Abschied von der aktiven Politik hat der Backnanger also noch einiges zu tun.

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Erstellt:
27. Juni 2020, 11:30 Uhr

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