Speicher füllt sich mit Flüssigdünger

Arbeiten auf der Biovergärungsanlage in Neuschöntal fast abgeschlossen – Kosten für Biomüllverarbeitung steigen

Die Biovergärungsanlage in Neuschöntal war von Anfang an ein Vorzeigeprojekt des Landkreises. Scharen von Besuchern aus vielen europäischen Ländern, aus China, Brasilien, USA haben das Werk besichtigt, das aus Biomüll Strom und Wärme gewinnt und obendrein Flüssigdünger und Kompost abwirft. Mit dem neuen Speicher wird der Tourismus noch eher zu- als abnehmen.

Der neue Flüssigdüngerspeicher mit seiner Haube, die als Gasspeicher dient (links im Bild), stellt die beiden alten Tanks in den Schatten. Rechts schließt sich die Vergärungsanlage an. Dort sind auch die Blockheizkraftwerke installiert. Im Hintergrund: die städtische Kläranlage. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Der neue Flüssigdüngerspeicher mit seiner Haube, die als Gasspeicher dient (links im Bild), stellt die beiden alten Tanks in den Schatten. Rechts schließt sich die Vergärungsanlage an. Dort sind auch die Blockheizkraftwerke installiert. Im Hintergrund: die städtische Kläranlage. Fotos: A. Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Dass die Anlage mit ihrer jüngsten Erweiterung auf großes Experteninteresse stößt, hat sich bereits bei einem Baustellen-Informationstag im November gezeigt. Wie der Chef der Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM), Gerald Balthasar, berichtet, ließen sich über 20 Fachleute aus der Branche diesen Termin nicht entgehen. Zu sehen bekamen sie ein technisches Wunderwerk.

Der futuristisch anmutende Kuppelbau mit seinen vier Blitzfangstangen und der umgebenden Havariewand ist seit Kurzem in Betrieb. In dem Tank mit seinen 10500 Kubikmetern Inhalt wird der Flüssigdünger gespeichert, der bei der Vergärung des Biomülls aus dem ganzen Rems-Murr-Kreis entsteht – ebenso wie in den beiden je 3500 Kubikmeter fassenden Behältern nebenan. Noch ist erst ein Teil des neuen Beckens gefüllt, sodass ein Blick hinein durch die ebenerdige Tür möglich ist. Im Lauf des Winters füllt sich der Behälter aber immer weiter, und der Zugang wird geschlossen.

Neue Regeln für Düngemittel zwingen zu längerer Lagerhaltung

Notwendig wurde der Bau des großen Tanks mit immerhin 40 Metern Durchmesser wegen neuer Bestimmungen für den Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft. Diese zwingen die AWRM dazu, die Flüssigkeit länger zu speichern. Im Frühjahr darf der Dünger ausgebracht werden, dann wird die Brühe abgezapft. Ist der Tank leer, ist Kehrwoche: Dann können feste Überreste – Schwebstoffe, die in der Flüssigkeit enthalten waren und sich während der Lagerzeit am Boden abgesetzt haben – herausgeschafft werden. Eine umgebende zusätzliche Wand soll Sicherheit geben für den Fall, dass einmal ein Leck auftreten sollte.

Die Kuppel über dem Tank dient als Speicher für Biogas. Dieses ist momentan allerdings noch nicht in Betrieb. Es fehlt noch an der Steuerungstechnik, die im Lauf des ersten Quartals 2020 installiert werden soll. Der Aufbau ist dreischalig, wie Balthasar erläutert: Die äußere Schicht fungiert als Wetterschutz und wird wie eine Traglufthalle mit Luft in Form gehalten. Unten wurde eine Folie zur Trennung vom Flüssigdüngerspeicher eingezogen, und dazwischen liegt eine dritte Folie, unter der dann das Biomethan gesammelt werden kann, das bei der Vergärung entsteht. Diesen Speicher will die AWRM nutzen, um die beiden neu installierten Blockheizkraftwerke – eines mit 1,6 und eines mit 1,2 Megawatt Leistung – optimal und zugleich flexibel auszulasten. Überschüssiges Gas soll gespeichert und immer erst dann verfeuert werden, wenn der Strommarkt Bestpreise bietet. Die in den BHKWs parallel erzeugte Wärme will Balthasar gerne auch künftig an die benachbarte Klärschlammtrocknung abgeben. Derzeit ist allerdings unklar, wie und von wem die Anlage beim städtischen Klärwerk künftig weiterbetrieben wird.

Zusätzlich will die AWRM künftig auch noch die Abluft des Flüssigdüngers nutzen. Diese enthält ein bis zwei Prozent Biomethan, das noch stärker klimarelevant ist als CO2. Sie soll als Zuluft in die BHKWs eingeführt werden, ein innovativer Ansatz, den das Landesumweltministerium mit einem Zuschuss fördert und der nach Balthasars Kenntnis „ziemlich einmalig“ in Deutschland ist.

Im Zuge der Baumaßnahmen in Neuschöntal wurden noch weitere Komponenten angepackt. So mussten nicht nur die beiden älteren BHKWs mit ihren je 0,8 Megawatt ausgetauscht werden, sondern auch neue Trafos beschafft und eine neue Mittel- und Niederspannungsverteilung angelegt werden. Ferner wurde eine neue Entschwefelungsanlage installiert, um das Biogas zu reinigen. Statt der teureren Aktivkohle, die bisher eingesetzt wurde, arbeitet diese mit Hackschnitzeln. Mehr Effizienz als bisher erwartet sich Balthasar überdies auch von einer neuen Gaskühlung.

Die Bauarbeiten, die etwa sieben Millionen Euro kosten, sind allerdings nicht so flott vonstattengegangen wie erhofft. Ursprünglich wollte die AWRM bis Jahresende fertig sein, doch die letzten Arbeiten dauern noch bis ins erste Quartal. Ursachen der Verzögerung sind laut Balthasar einerseits die Komplexität des in sechs Lose aufgeteilten Gesamtprojekts, an dem über zehn Firmen und Subunternehmen gearbeitet haben, und zum anderen die räumliche Enge, die auch damit zusammenhängt, dass der Betrieb auf der Anlage weiterlaufen musste.

Seit Bestehen der Vergärungsanlage haben sich die Verarbeitungskosten des Biomülls spürbar erhöht: Lagen sie vor acht Jahren noch bei 55 bis 60 Euro pro Tonne, so sind es inzwischen an die 80 Euro. Die Gründe liegen laut Balthasar im Wesentlichen in strengeren gesetzlichen Vorschriften, beispielsweise beim Flüssigdünger. Für die Abnahme wird die AWRM künftig über 14 Euro pro Tonne aufbringen müssen, bisher waren es 9,52 Euro. Aber auch die Entsorgung des sogenannten Siebüberlaufs – unbrauchbarer Anteile im Biomüll – ist von 30 auf annähernd 100 Euro pro Tonne gestiegen.

Der Flüssigdüngerspeicher füllt sich den Winter über mit den Gärresten.

© Alexander Becher

Der Flüssigdüngerspeicher füllt sich den Winter über mit den Gärresten.

Die neuen Blockheizkraftwerke – hier das kleinere mit 1,2 Megawatt – erfreuen Gerald Balthasar.

© Alexander Becher

Die neuen Blockheizkraftwerke – hier das kleinere mit 1,2 Megawatt – erfreuen Gerald Balthasar.

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Erstellt:
9. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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