Spektakuläres Ende des 45-Millionen-Falls

Geldwäscheprozess: Hohe Haftstrafen, juristisch brillant begründet – ein Fall schreibt Rechtsgeschichte

Archivfoto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

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Von Peter Schwarz

SCHORNDORF/WAIBLINGEN. Es mag ein großes Wort sein, aber in diesem Fall ist es angemessen – gestern wurde im Landgericht Stuttgart Rechtsgeschichte geschrieben: Drogengeldwäsche gilt als schwer nachweisbares Verbrechen, das meist ungeahndet bleibt – an einem Beispiel aber hat der Rechtsstaat nun bewiesen, dass er, wenn seine Institutionen nur genug Geduld und detektivisches Kombinationsvermögen aufbringen, in der Lage ist, selbst engmaschigste Tarngespinste zu zerreißen, selbst über mehrere Länder hinweg ausgelegte Trugspuren zu entlarven. Das Ergebnis: jeweils neuneinhalb Jahre Haft für die beiden Drahtzieher, einen türkischen Staatsbürger, 45, aus Schorndorf und einen Pakistani, 51, aus Dubai, vier Jahre und neun Monate für die Gattin des Schorndorfers, 44, die sich um die Buchhaltung kümmerte, drei Jahre und neun Monate für einen 34-jährigen Geldkurier.

Manuela Haußmann hat in diesem epischen Prozess, der sich seit Juli über 26 Verhandlungstage zog, von Anfang an die Schlüsselrolle gespielt: Wenn die Anwälte zur Charme-Offensive bliesen, antwortete die Richterin mit neckischem Mädchenhumor. Wenn die Herrin des Verfahrens spürte, dass die Verteidiger ihr schleichend die Kontrolle über den Prozessverlauf zu entwinden suchten, kippte ein Schalter: Haußmann widersprach rasiermesserscharf. Vor allem aber: Immer wieder bewies die Vorsitzende, dass sie sich in den mehreren Regalmetern Prozessakten so gut auskennt wie die Anwälte in ihren Wohnzimmern.

Es sprengt den Rahmen eines Artikels, alle dubiosen Details aufzuzählen, an die Haußmann bei der Urteilsbegründung das Seziermesser legt. Jedenfalls: Die Klinge durchschneidet das kompakte Geldwäsche-Tarnkonstrukt, als sei es warme Butter.

Ein Fall wie ein unentwirrbares Garnknäuel

Die Angeklagten haben zwischen Juli 2017 und Januar 2018 insgesamt 45 Millionen Euro in bar nach Dubai ausgeführt, offiziell beim Zoll angemeldet als Bezahlung für legale Goldeinkäufe in Dubai. Die Buchhaltung – Quittungen, Rechnungen, Belege – dokumentierte, woher das Geld kam: aus Goldverkäufen, vor allem an eine rumänische Firma namens Goodcash (Name geändert). Alles sauber. Vorderhand. Aber auch wahr? Um das zu prüfen, musste das Gericht eine Papierflut durchschwimmen, Unterlagen auswerten, Verknüpfungen herstellen und ein Gesamtbild erpuzzeln.

Erste Kernfrage: Wurde tatsächlich Gold nach Rumänien verkauft? „Definitiv nein, zu keinem Zeitpunkt.“ Denn diese Firma Goodcash, die angebliche abermillionenschwere Golddeals in bar stemmen konnte, war eine Klitsche. Jahresumsatz 2016: weniger als 30000 Euro. Geschäftsfeld: Sperrholzplattenbau und anderes. Finanzielle Lage Anfang 2017: Insolvenz angemeldet. Betreiber: ein Mann, der nach Rumänien geflüchtet war, weil er in Deutschland per Haftbefehl gesucht wurde.

Sicher, es gab sowohl bei Noble Glitter (Name geändert) in Schorndorf als auch bei Goodcash in Rumänien massenhaft Papierbelege für Geschäftsbeziehungen. Aber die Dokumente strotzten vor teilweise hanebüchenen Ungereimtheiten. Nur ein Beispiel von vielen: Der Goodcash-Firmenstempel-Abdruck auf den in Rumänien lagernden Papieren war: rund. Der Goodcash-Firmenstempel auf den in Schorndorf lagernden Papieren war: eckig. Und siehe: Bei Wohnungsdurchsuchungen fanden die Ermittler einen eckigen Goodcash-Stempel – in Schorndorf.

Zweite Kernfrage: Wenn das Geld nicht aus Goldhandel kam – woher kam es dann? „Nicht aus Ladendiebstahl“, so viel steht allein schon aufgrund der Unsummen fest, die da im Wochentakt über ein halbes Jahr hinweg bei 36 Flugreisen im Handgepäckkoffer nach Dubai verschoben wurden, mal bloß 580000 Euro, mal 1,8 Millionen in bar auf einen Schlag. Dass das kein legales Geld sein kann, ergibt sich auch schlagend aus der Tatsache, dass die Angeklagten ein Tarnlabyrinth darum herum bauten. Bei 22 der 36 Transportflüge aber lässt sich glasklar nachweisen, dass jemand von Noble Glitter just am Tag davor in... Holland war! Tankbelege, Hotelrechnungen, Bußgeldbescheide wegen Tempoverstößen zeugen davon. In Holland wurde das Geld geholt – und in einem Fall lässt sich das auch zweifelsfrei beweisen: Im Januar 2018 fing eine deutsch-holländische Grenzstreife den Kurier ab; er hatte 1,5 Millionen Euro im Kofferraum, versteckt in der Reserveradmulde.

Dieser Fall ist dem Beobachter bisweilen vorgekommen wie ein unentwirrbares Garnknäuel. Nun ist es säuberlich entknotet und ausgerollt: zu einem roten Faden. All das aufzuklären, sagt Haußmann, wäre unmöglich gewesen, wenn die Ermittlungsgruppe Golden Eye vom Zollfahndungsamt Stuttgart nicht so hervorragende Arbeit geleistet, mit „Fleiß, Akribie und Ruhe“ Dokumente angehäuft, international recherchiert und schließlich ein Muster erkannt hätte. Und der Leiter des Teams habe auch „im Zeugenstand brilliert“: Über drei Vernehmungstage hinweg sei er ruhig und präzise geblieben, selbst wenn die Anwälte versucht hätten, ihn „mit allen rhetorischen Mitteln kleinzukriegen. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

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Erstellt:
24. Januar 2020, 06:00 Uhr

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