Spezialisten für individuelle Rezepturen

In Apotheken werden auch heutzutage noch Arzneien nach ganz speziell angepassten Rezepturen hergestellt. Ein Blick hinter die Kulissen einiger Apotheken im Raum Backnang und Murrhardt.

Petra Reinhold befüllt in der Johannes-Apotheke in Backnang Kapseln. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Petra Reinhold befüllt in der Johannes-Apotheke in Backnang Kapseln. Foto: A. Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. Hätten Sie’s gewusst? 1241 wurde von Kaiser Friedrich II. eine Medizinalverordnung erlassen, das damalige Gesundheitswesen wurde damit reformiert. Von Bedeutung ist besonders die darin festgelegte Trennung zwischen den Berufen Arzt und Apotheker. Es war fortan für eine Person nicht mehr gestattet, beide Berufe zusammen auszuüben. Damit sollte dem Verkauf von wirkungsloser oder schädlicher Arznei durch Wunderheiler ein Riegel vorgeschoben werden. Und der Staat war aufgefordert, beide Berufsgruppen sorgfältig zu kontrollieren. Galt diese Verordnung zunächst nur in der süditalienischen Heimat des Kaisers, wurde sie bald in ganz Europa übernommen – der Apothekerstand war geboren.

In der Apotheke wurden früher die unterschiedlichsten Arzneien hergestellt, hauptsächlich aus pflanzlichen Wirkstoffen. Manche der Zutaten kamen aus fernen Ländern in unsere Gefilde und waren entsprechend teuer. Mit dem Beginn der Industrialisierung wurden neue Möglichkeiten entwickelt, um Wirkstoffe aus Pflanzen extrahieren zu können, und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts konnten immer mehr Arzneimittel auf synthetischem Wege hergestellt werden. Medikamente wurden billiger und in großer Zahl in entsprechenden Fabriken produziert, ihre Herstellung aus den Apotheken so gut wie verdrängt. Dennoch – die Zubereitung von Medikamenten gehört auch heutzutage noch zum Apothekerhandwerk dazu. So ist in der Apothekenbetriebsordnung gleich in mehreren Paragrafen geregelt, dass „...insbesondere die einwandfreie Entwicklung, Herstellung (...) von Arzneimitteln (...) zu gewährleisten“ sei. Entsprechende Geräte und Räumlichkeiten müssen in einer Apotheke vorhanden sein.

Die Rezepturen stammen von den Ärzten

Doch – wird diese wichtige Aufgabe der Apotheken heutzutage überhaupt noch in Anspruch genommen? Oh ja, und zwar gar nicht so selten, wie man glauben könnte. Etwa vier bis fünf Salben oder Cremes pro Woche werden beispielsweise in der Apotheke am Obstmarkt in Backnang gemischt, verrät Selina Kuske, pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA). Die Rezeptur wird vom behandelnden Arzt angegeben. In der Apotheke wird dann zunächst überprüft, ob die Wirkstoffe in der notierten Kombination auch zusammenpassen, ein Herstellungsprotokoll ist zwingend erforderlich. „Das Herstellen an sich macht Spaß und geht schneller als der Papierkram“, so Kuske. Vor allem Hautärzte setzen auf selbst angerührte Cremes und Salben, das weiß auch Petra Reinhold, PTA in der Backnanger Johannes-Apotheke. Kapseln werden ebenfalls bei ihr gefertigt, vor allem für Kinder. Denn oft gibt es die benötigte Stärke eines Wirkstoffes nicht im Handel, beispielsweise bei Herzkrankheiten oder auch für Säuglinge, die über eine Magensonde ernährt werden. Dann muss individuell dosiert werden. Reinhold schätzt, dass im Durchschnitt etwa fünf bis sechs Rezepturen in der Woche hergestellt werden. Wobei es bei den Kapseln dann gleich eine größere Menge ist, das können schon mal bis zu 500 Stück werden. Das Befüllungsgerät für die Kapseln besteht dabei aus mehreren Platten mit Löchern, in die die leeren Kapseln eingesteckt und dann je nach Bedarf mit Wirk- und Füllstoff befüllt werden.

In einer Murrhardter Apotheke werden ebenfalls vor allem eigene Rezepturen von Hautärzten zubereitet. Die gängige Menge beträgt 50 oder 100 Gramm, haltbar sind die medizinischen Cremes mindestens einen Monat. Häufig handelt es sich bei den Beschwerden um akute Probleme, sodass die Rezeptur sofort angemischt wird. Dabei ist die Anzahl der Wirkstoffe nicht immer gleich. Manchmal nur einer, manchmal werden aber auch mehrere in eine bestimmte Salbengrundlage eingemischt. Der Bedarf ist unterschiedlich, doch es könnten durchschnittlich schon fünf bis zehn Cremes oder Salben sein, die nach individuellem Rezept hier hergestellt werden.

„Wir sind da voll dabei“, heißt es in der Sulzbacher Löwenapotheke. Auch hier werden hautsächlich Kapseln nach individuellem Bedarf befüllt. Tabletten macht man heutzutage eigentlich nicht mehr von Hand, verrät die PTA. Früher hätte man dafür noch sogenannte Pillenbretter genutzt, doch heute mache man das nicht mehr. Dabei gibt es genaue Vorschriften, was in die Kapseln reinmuss oder auch reindarf. Oft müsse ein Wirkstoff herunterreduziert werden, um ihn an das Bedürfnis des Patienten anzupassen.

Cremes und Salben gegen Hautproblem.

Das gilt übrigens auch im Bereich der Tiermedizin. Verständlicherweise benötigt etwa ein Pferd eine andere Wirkstoffmenge als eine Katze.

Cremes und Salben gegen Hautprobleme werden in der Löwenapotheke ebenfalls gerührt, etwa gegen Pickel oder Ekzeme. Doch nicht nur Salben oder Kapseln fertigt man hier, auch spezielle Säfte oder Flüssigkeiten werden hier hergestellt, die es sonst nicht im Handel gibt. Meistens handelt es sich dabei um spezielle Rezepturen für Kinder.

Apotheker Ulrich Halm von der Sturmfeder-Apotheke in Oppenweiler weist auf die oben genannte Apothekenbetriebsordnung hin. „Jede Apotheke muss in der Lage sein, Grundstoffe und Rezepte zu kontrollieren“, erklärt er, deshalb verfüge jede über ein entsprechendes Labor, um nachzuprüfen, ob tatsächlich der Wirkstoff in einer Verpackungseinheit drin ist, der außen aufgedruckt sei. Er nutzt dafür ein Spektralfotometer. Früher habe man das noch durch Testen des Siede- oder Schmelzpunkts herausfinden müssen.

Auch hier werden unterschiedlichste Arzneien von Hand produziert. Das fängt bei Kapseln, Cremes und Salben an und hört bei Haarwasser, Gels oder verschiedenen Lösungen noch nicht auf. „Früher war es ja die hauptsächliche Aufgabe der Apotheken, Rezepturen herzustellen“, so Halm. Und auch heutzutage müsse man in der Lage sein, schnellstmöglich eine geforderte Rezeptur umzusetzen, egal ob während der üblichen Öffnungszeit oder während des Notdienstes.

Die individuelle Medikamentenherstellung ist also ein großer Pluspunkt der Apotheke vor Ort. Eine Internetapotheke, die lediglich industriell gefertigte Medikamente in ihrem Sortiment hat, kann das nicht bieten.

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Erstellt:
31. März 2021, 16:00 Uhr

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