Sprachförderung leidet unter der Pandemie
Weil die Kindergärten wegen Corona zeitweise geschlossen waren, haben die sprachlichen Defizite bei Kindern zugenommen. In Backnang fehlt es zudem an Personal für zusätzliche Förderangebote. Spätestens bei der Einschulung kann das zum Problem werden.

© Pressefotografie Alexander Beche
Der städtische Kindergarten im Biegel ist seit 2018 eine von vier sogenannten Sprachkitas in Backnang. Eine Halbtagskraft kümmert sich hier schwerpunktmäßig um die sprachliche Entwicklung der Kinder aus mehr als 20 Nationen. Archivfoto: A. Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Dass Kinder die deutsche Sprache beherrschen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit sie in der Schule zurechtkommen. Kinder, in deren Elternhaus eine andere Sprache gesprochen wird, tun sich damit naturgemäß schwerer. In den Backnanger Kindergärten und Tagesstätten gibt es deshalb schon seit Jahrzehnten ein bewährtes Konzept zur Sprachförderung. Die Stadt und auch die kirchlichen und freien Träger setzen auf das sogenannte Denkendorfer Modell. Dabei kommen regelmäßig ehrenamtliche Sprachhelferinnen in die Einrichtungen, um Kinder mit sprachlichen Defiziten in Kleingruppen gezielt zu unterstützen. „Jedes Kind erhält pro Jahr 120 Stunden Förderung“, erklärt Mario Wolf, Sachgebietsleiter im Amt für Familie, Jugend und Bildung. In Backnang kommt das Denkendorfer Modell aktuell in 14 Einrichtungen zum Einsatz.
Vier Kindergärten mit einem besonders hohen Migrantenanteil gehen noch einen Schritt weiter. Sie wurden 2018 in ein Förderprogramm aufgenommen und dürfen sich seitdem als „Sprachkitas“ bezeichnen. Mit finanzieller Unterstützung des Bunds wurde in jeder der vier Einrichtungen eine neue Halbtagsstelle für eine Fachkraft geschaffen. Diese soll sich ausschließlich um die sprachliche Entwicklung der Kinder kümmern, die bis zu 20 verschiedene Muttersprachen haben. Daneben gibt es in Backnangs Kitas noch weitere Angebote wie das Programm „Singen, Bewegen, Sprechen“ der Jugendmusikschule, die ebenfalls die sprachliche Entwicklung der Kinder unterstützen sollen.
Einige Helferinnen sind abgesprungen
Bis zum Beginn der Coronapandemie habe das Förderkonzept auch immer gut funktioniert, berichtete Mario Wolf vergangene Woche im Sozialausschuss des Gemeinderats. In den vergangenen beiden Jahren ist es allerdings ins Wanken geraten. „Die Schul- und Kitaschließungen haben zu Sprachdefiziten geführt“, berichtete Wolf. Eigentlich hätten die Träger ihre Förderung also ausbauen müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, ruhten die Zusatzangebote zeitweise komplett. Mittlerweile sind sie zwar wieder möglich, aber es fehlt an Personal. Etliche Sprachhelferinnen hätten gekündigt, berichtet Wolf. Teils aus Angst vor Ansteckung, teils weil sie andere Nebenjobs gefunden hätten. Einige Kräfte mit pädagogischer Ausbildung seien auch in den regulären Kitabetrieb gewechselt.
An vier Kitas kann die Stadt deshalb momentan keine Sprachförderung anbieten. Der Anteil der Kinder, die in Backnang an einem Förderangebot teilnehmen, ist seit 2019 von 50 Prozent auf 39 Prozent zurückgegangen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch nicht mehr alle Kinder zur Einschulungsuntersuchung dürfen. Die hat auch das Ziel, sprachliche und andere Defizite frühzeitig zu erkennen. Wegen der Überlastung durch die Pandemie habe das Gesundheitsamt die Untersuchungen aber drastisch zurückgefahren, berichtete Wolf. 2021 seien in ganz Backnang nur noch 57 Kinder von einem Amtsarzt untersucht worden. „Die Einschulungsuntersuchungen sind damit keine verlässliche Grundlage mehr zur Sprachstandserhebung“, bedauert Wolf.
„In der Coronazeit ist manches schlechter geworden“, stellte Erster Bürgermeister Siegfried Janocha fest, äußerte aber zugleich die Hoffnung, dass man mit dem Abklingen der Pandemie auch diese Probleme hinter sich lassen werde. Die Ausschussmitglieder sind da wesentlich skeptischer: „Wo soll das Personal denn herkommen?“, fragte etwa Stadträtin Pia Täpsi-Kleinpeter (SPD). Sabine Kutteroff äußerte Zweifel, ob sich die Sprachförderung dauerhaft auf ehrenamtlicher Basis organisieren lässt. „Wir sollten diese Arbeit finanziell so gut ausstatten, dass sie funktioniert“, forderte die CDU-Stadträtin. Das findet auch Irene Baum. Die Seniorenvertreterin ist selbst als Sprachhelferin an einer Backnanger Kita im Einsatz und wundert sich über die geringe Aufwandsentschädigung von zwölf Euro pro Stunde. „Dass es für eine so wichtige Tätigkeit nur ein so geringes Salär gibt, ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagte Baum. Die Sprachdefizite bei den Kindern seien prekär. „So kann es nicht weitergehen.“
Amtsleiterin Regine Wüllenweber hält das Denkendorfer Modell hingegen für zukunftsfähig: „Wir haben damit wunderbare Erfahrungen gemacht.“ Die ehrenamtlichen Kräfte seien mit großem Engagement und viel Herzblut bei der Sache. Einig waren sich die Ausschussmitglieder allerdings darin, dass die Kitas das Problem alleine nicht lösen können. Auch die Eltern seien gefordert, die sprachliche Entwicklung ihrer Kinder zu unterstützen. Dabei sei es gar nicht so entscheidend, ob die Eltern mit ihren Kindern Deutsch oder eine andere Sprache sprechen, erklärte Wüllenweber. Viel wichtiger sei, dass sie überhaupt regelmäßig mit ihren Kindern kommunizieren. „Aber dafür müssen sie auf dem Spielplatz eben auch mal das iPhone weglegen.“
Ehrenamt Wer die Sprachförderung an einer Backnanger Kita als ehrenamtliche Kraft unterstützen möchte, wendet sich an das Amt für Familie, Jugend und Bildung unter Telefon 07191/894-250 oder per E-Mail an familieundbildung@backnang.de.Angebote Bei der Sprachförderung haben die Stadt und andere Träger nicht nur die Kinder aus Migrantenfamilien im Blick, sondern auch deren Eltern. Für sie gibt es in Backnang unterschiedliche Angebote, zum Beispiel das Programm „Mama lernt Deutsch“ oder ein Begegnungscafé, das nach einer pandemiebedingten Pause möglichst rasch wieder starten soll.
Resonanz Nach Angaben der Stadt ist die Nachfrage vor allem bei frauenspezifischen Angeboten hoch. Viele Teilnehmerinnen würden durch persönliche Kontakte und Mund-zu-Mund-Propaganda darauf aufmerksam. Deshalb sei es wichtig, „Schlüsselpersonen“ aus den jeweiligen Kulturkreisen zu erreichen. Zudem sollten die Angebote möglichst wohnortnah sein.
Schwierigkeiten Ein Problem bei den Sprachkursen ist oft das unterschiedliche Ausgangsniveau: Während einige Teilnehmerinnen bereits über Grundkenntnisse verfügen, können andere nicht einmal lesen. Auch die Alltagssituation der Frauen hindert sie teilweise an der Teilnahme. Viele haben mehrere Kinder zu betreuen, außerdem sind die meisten nicht mobil.