Spur nach Holland im 45-Millionen-Fall

Tag sechs im Geldwäscheprozess um einen Schorndorfer Goldhändler: Ein Zollfahnder verbindet Punkte zu einem Bild

Spur nach Holland im 45-Millionen-Fall

Von Peter Schwarz

SCHORNDORF/STUTTGART. Langsam gewinnt das Bild Konturen im Geldwäscheprozess um 45 Millionen Euro. Angeklagt: ein Schorndorfer Goldhändler und drei weitere Leute. Tag sechs im Prozess: Ein Zollfahnder im Zeugenstand verbindet Punkte. In Kindermalbüchern gibt es bisweilen Seiten, auf denen sich nichts befindet als Zahlen. Wer aber einen Stift nimmt und Striche zieht von Zahl zu Zahl, dem enthüllt sich ein Bild.

Sommer 2017: Ermittlern des Zollfahndungsamts Stuttgart fällt auf, dass die Schorndorfer Firma Noble Glitter (Name geändert) per Kurier exorbitante Bargeldsummen nach Dubai schickt, manchmal eine Fuhre pro Woche, manchmal zwei, drei, mal 900000 Euro, mal 1,8 Millionen. Bis Januar 2018 wird sich das auf 45 Millionen addieren.

Das Bargeld ist deklariert als Bezahlung für Goldlieferungen aus Dubai, und tatsächlich kommt Gold in Schorndorf an. Dennoch: Die Fahnder zweifeln. Im September starten sie eine Observation am Frankfurter Flughafen: Beamte in Zivil mit Fotoapparaten dokumentieren, wie Kuriere aus Dubai landen, sich mit Kurieren aus Schorndorf treffen, Koffer und Dokumente austauschen.

Januar 2018: Bei einer Routinekontrolle halten deutsche Grenzpolizisten einen aus Holland kommenden Audi an. Der Wagen ist auf die Firma Noble Glitter zugelassen. Versteckt im Reserverad finden sich: 1,5 Millionen Euro. Der Fahrer, ein Angestellter von Noble Glitter, sagt, es handle sich um Einnahmen aus einem Goldverkauf an die rumänische Firma Goodcash (Name geändert). Und tatsächlich: Goodcash bestätigt das per Bescheinigung. Das Papier sieht seriös aus. Anscheinend also verkauft Noble Glitter Gold an Goodcash, erhält dafür Bares aus Rumänien, verwendet die Summe, um neues Gold aus Dubai zu beziehen, und veräußert auch dieses Edelmetall an Goodcash. Alles korrekt soweit, keine Drogen im Spiel.

Aber das Geld im Reserverad wirkt dubios: Die Zollfahnder gründen die Ermittlungsgruppe Golden Eye, benannt nach einem James-Bond-Film, und erwirken die richterliche Genehmigung für eine „Telekommunikationsüberwachung“ – sie hören das Telefon des Goldhändlers ab.

Frühjahr 2018: Hinweise verdichten sich, dass das Gold, das Noble Glitter angeblich an Goodcash verkauft, in Wahrheit gar nicht nach Rumänien wandert, sondern per Kurier nach Großbritannien. Dort sitzt eine Firma namens: Noble Glitter London.

Und die TKÜ wirft Fragen auf: Der Goldhändler sagt zu Gesprächspartnern, dies wolle er „nicht am Telefon“ besprechen und jenes „nicht über dieses Telefon“. Viele Leute trifft er lieber persönlich: Er fährt im Monat 10000, 15000 Kilometer mit dem Auto, oft ins Ausland. Seltsam. Derweil ergibt ein Rechtshilfeersuchen in den Niederlanden Bemerkenswertes: Überwachungskameras haben den Noble-Glitter-Kurier auf einem Parkplatz unweit der deutschen Grenze aufgenommen just an jenem Tag, da der Mann kurz darauf mit 1,5 Millionen im Reserverad erwischt wurde. Er traf sich dort auch, das offenbaren die Kamerabilder, mit einem Niederländer, der wegen Drogendelikten vorbestraft ist.

April 2018: Die Fahnder bauen mit richterlicher Genehmigung einen Sender im Auto des Goldhändlers ein. Der Mann rühmt sich seiner Kontakte zu türkischem Geheimdienst und russischer Mafia, berät mit einem potenziellen Kunden, wie sich 190 Millionen Euro, in Dubai geparkt, gen Türkei schaffen lassen, erörtert bei einer Tour nach Lausanne Waffenlieferungen in die Türkei und den Irak und erzählt seinem Neffen von der Liebe zu Schwarzgeld und von Erlösen aus Rauschgiftgeschäften, die über ihn liefen. Offenbar, folgern die Fahnder, versteht er sich als „Dienstleister für Geldwäsche“.

August 2018: Die Ermittler staunen: Sonst kauft der Schorndorfer doch Gold in Dubai, warum schafft er nun bis zu dreimal die Woche bis zu 100 Kilo Gold nach Dubai? Es sieht so aus, als sei dieses Gold aus London gekommen. Dient der ganze Goldhandel von Dubai–Schorndorf– Rumänien nur als Tarnfassade? Wandert das Gold in Wahrheit im Kreis herum von Dubai über Schorndorf, London, Schorndorf nach Dubai? Geht es darum, Drogengeld aus Holland eine saubere Herkunft aus Rumänien anzudichten?

Im Oktober 2018 verhaften die Zollfahnder den Goldhändler, seine Frau und einen Mitarbeiter, und am Frankfurter Flughafen nehmen Beamte einen aus Dubai anreisenden Geschäftspartner fest. Bei den folgenden Wohnungsdurchsuchungen und Recherchen offenbart sich: Neben Noble Glitter Schorndorf und Noble Glitter London gibt es auch Noble Glitter Rumänien. Die Anschrift dieser dritten Niederlassung ist identisch mit der Adresse von Goodcash. Und die Fahnder entdecken in den deutschen Noble-Glitter-Räumen einen Goodcash-Firmenstempel. Noch etwas findet sich in den beschlagnahmten Papieren: Tankquittungen aus den Niederlanden, Bußgeldbescheide aus den Niederlanden, Fahrtenbucheinträge über Autotouren in die Niederlande.

Ziehe Striche, verbinde die Punkte: Die Ermittler studieren, an welchen Tagen Geldausfuhren nach Dubai stattfanden, und vergleichen damit, an welchen Tagen es – belegbar über Quittungen, Fahrtenbuch, Strafzettel, Kameraaufnahmen, WhatsApp-Chats – Kurierfahrten nach Holland gab. Ein Muster offenbart sich: Wann immer es eine Hollandtour gab, wanderte einen bis zwei Tage später Bares nach Dubai.

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Erstellt:
15. August 2019, 06:00 Uhr

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