Spurensuche im Geist der Versöhnung

Peterswald. Ein böhmisches Dorf? In der Tat: Ein Ort in Nordböhmen – heute auf Tschechisch Petrovice. Die Backnangerin Renate von Babka pflegt seit Jahren den Kontakt zum Heimatort ihrer von dort vertriebenen Eltern und versucht, Brücken zu schlagen.

Die Backnangerin Renate von Babka hat ihre Recherchen in Nordböhmen in einem Buch zusammengefasst. Foto: P. Wolf

Die Backnangerin Renate von Babka hat ihre Recherchen in Nordböhmen in einem Buch zusammengefasst. Foto: P. Wolf

Von Armin Fechter

BACKNANG. Verständigung, Versöhnung, der Brückenschlag zwischen den früheren und den heutigen Bewohnern der kleinen Gemeinde im östlichen Erzgebirge: Das ist das Anliegen, mit dem die Backnangerin unterwegs ist. Dabei hat sie den Ort gar nicht selbst von Kind auf kennen gelernt. Renate von Babka wurde vielmehr 1953 in Backnang geboren. In die Stadt an der Murr hatte es ihre Eltern durch die Geschehnisse vor 75 Jahren verschlagen, als viele Millionen Ost- und Sudetendeutsche nach dem Kriegsende ihre Heimat verlassen mussten.

Als Jugendliche hatte sie naturgemäß keinen direkten Bezug zu Peterswald. Heute weiß sie, dass viele vom Vertreibungsgeschehen Betroffene mit ihren Nachkommen wenig oder gar nicht über die Vergangenheit sprachen – und auch ihre eigenen, mitunter traumatischen Erlebnisse nicht aufarbeiteten. Ein gewisser Wendepunkt trat ein, als sie 1968 mit ihren Eltern erstmals nach Nordböhmen, nach Peterswald, fuhr. Es war die Zeit des Prager Frühlings, als es für eine Weile so schien, als könnte sich der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West heben. Doch es sollte noch über 20 weitere Jahre dauern, bis es so weit war.

Unterdessen begann Renate von Babka, sich über die Historie von Peterswald zu informieren, alte Urkunden zu studieren und Schritt für Schritt ein Bild von den früheren Zeiten zu gewinnen. Dabei blieb es nicht aus, dass sie Verbindung zu den früheren ebenso wie zu den heutigen Bewohnern aufnahm. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel die Tschechen aufgehoben haben“, sagt sie über die Spuren, denen sie bei ihren Recherchen begegnet. Inzwischen fährt sie mindestens dreimal im Jahr nach Petrovice, pflegt vielfältige Kontakte und organisiert Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge in Schulen sowie Heimattreffen für die früheren Bewohner samt Angehörigen und Nachkommen. Aktuell müssen solche Aktivitäten infolge der Coronapandemie allerdings ruhen, nicht einmal die gewohnten Besuche sind möglich.

Die Annäherung beginnt mit einem Restaurierungsprojekt.

Am Anfang ihrer vielfältigen Aktivitäten stand im Jahr 2007 ein Projekt zur Restaurierung eines schönen Barockkreuzes auf dem Peterswalder Friedhof, das ein Vorfahr von Renate von Babka im 18. Jahrhundert gespendet hatte. Die Backnangerin wurde gebeten, in dem eigens für den Zweck gebildeten Komitee mitzuwirken. Bald darauf folgte der nächste Schritt: Man trug ihr an, die Verantwortung für die Heimatgemeinschaft Peterswald zu übernehmen. Renate von Babka, inzwischen vor Ort gut vernetzt, setzte in ihrer neuen Funktion sogleich Akzente: 2011 fand das erste Heimattreffen der Peterswalder in ihrem Heimatort statt. „Dagegen gab es“, so berichtet sie im Rückblick, „vonseiten einiger alter Peterswalder großen Widerstand, aber wir haben damals auch viel Zuspruch bekommen.“ Ausdrücklich begrüßt wurde dies auch von Horst Seehofer, dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten, der kraft Amtes auch als Schirmherr der Sudetendeutschen gilt. 2013, bei der nächsten Auflage des Traditionstreffens, berichtete Radio Prag, dass die ehemaligen Bewohner Exponate fürs örtliche Heimatmuseum gestiftet haben. Und: Bei der Eröffnung der teilrestaurierten Kirche in Petrovice saßen die ehemaligen und gegenwärtigen Einwohner der Gemeinde zusammen, um den Klängen eines Barockorchesters zu lauschen.

Backnangerin hilft bei der Suche nach Verwandten.

Renate von Babka sieht ihr Engagement in Petrovice als kleinen Schritt in Richtung Versöhnung, Frieden und Freundschaft: „Und viele kleine gemeinsame Schritte werden für die Zukunft etwas Großes ergeben.“ So denkt sie etwa an die Grabstätten auf dem Peterswalder Friedhof, die sie gerne erhalten möchte, darunter stattliche Grabmäler von Fabrikanten, die in ihren Unternehmen Knöpfe produzierten. Gemeinsam mit dem tschechischen Verein Omnium ist sie bereits in der Sanierung des Friedhofs im nahen Königswald/Libouchec involviert.

Dank ihrer guten Verbindungen und Kenntnisse ist Renate von Babka auch zu einer gesuchten Kontaktstelle geworden. In vielen Fällen konnte sie bereits Anfragen zu Familienschicksalen oder historischen Hintergründen beantworten. So berichtet sie: „Manchmal wird auch ein außereheliches Geschwisterkind gesucht oder der Verbleib des Großvaters, der am Tag der Vertreibung in Ketten durchs Dorf getrieben wurde und dabei spurlos verschwand. Seine letzte Adresse konnte dann in München festgestellt werden, wo er auch verstarb.“ Ein anderes Mal kam die Anfrage: „Wo ist mein kleiner Bruder verblieben, der im Mai 1945 im KZ in einer Latrine ertrunken ist?“ Mithilfe einer Historikerin in Aussig/Ústí nad Labem wurde die Grabstelle lokalisiert, sodass die Schwester im vergangenen Jahr Abschied nehmen konnte.

Eine weitere Geschichte betraf Renate von Babka selbst. Per E-Mail meldete sich eine Frau aus dem tschechischen Pilsen. Sie suchte ihre Großtante und den Großonkel, die aus Peterswald vertrieben worden waren und die auch Verwandte von Renate von Babka waren. Der Großonkel ist überdies auch verwandt mit dem ehemaligen tschechischen Präsidentschaftskandidaten Vladimir Franz und weitläufig sogar mit dem tschechischen Präsidenten Edvard Beneš, auf den die sogenannten Beneš-Dekrete zurückgehen, die das deutsch-tschechische Verhältnis bis in jüngste Zeit belasteten. Mittlerweile haben sich die beiden Frauen persönlich kennengelernt und stehen weiterhin in Kontakt: „Man ist ja schließlich angeheiratet verwandt.“

Ihre Recherchen hat Renate von Babka, die sich auch in Backnang für den Erhalt bedeutender Grabmale einsetzt, in einzelnen Berichten zusammengefasst. Daraus ist inzwischen ein Buch entstanden. Damit will die Verfasserin insbesondere Angehörige der Nachkommengeneration erreichen, die in der eigenen Familie niemanden mehr befragen können: „Viele dieser Kinder, die nun auch bereits in einem fortgeschrittenen Alter sind, wollen jetzt wissen, was damals geschah und wo ihre Wurzeln sind.“

Arbeit in einer Knopffabrik: Das ziemlich verblichene Foto gibt einen Einblick in eine Produktionsstätte, wie sie im früheren Peterswald betrieben wurde.

Arbeit in einer Knopffabrik: Das ziemlich verblichene Foto gibt einen Einblick in eine Produktionsstätte, wie sie im früheren Peterswald betrieben wurde.

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Erstellt:
12. Januar 2021, 11:30 Uhr

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