Stadt und Firmen ringen um Fachkräfte

Der Fachkräftemangel wird sich laut Prognose der Industrie- und Handelskammer bis 2035 dramatisch zuspitzen. Die Stadt Backnang hat deshalb mit verschiedenen Firmen einen Arbeitskreis gegründet. Zum Straßenfest kommende Woche organisieren sie eine Jobbörse.

Die Firma Tasko aus Backnang bildet wie viele andere Betriebe selbst Mitarbeiter aus, auch um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Beispielsweise kann man dort, wie die beiden auf dem Foto, seinen Kaufmann im E-Commerce oder für Büromanagement machen. Foto: Tasko

© Tasko Products GmbH

Die Firma Tasko aus Backnang bildet wie viele andere Betriebe selbst Mitarbeiter aus, auch um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Beispielsweise kann man dort, wie die beiden auf dem Foto, seinen Kaufmann im E-Commerce oder für Büromanagement machen. Foto: Tasko

Von Anja La Roche

Rems-Murr / Backnang. Der Fachkräftemangel ist bereits für viele Unternehmen eines der drängendsten Probleme, wenn es um ihre wirtschaftliche Entwicklung geht. Die Schieflage auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich bundesweit und auch am Industriestandort Rems-Murr-Kreis. Die meisten Firmen können die derzeitige Situation zwar gut bewältigen, doch scheint der Personalmangel bereits das Wachstum zu bremsen. Der Backnanger Internethändler Tasko etwa konnte seit 2019 seinen Umsatz nach eigenen Angaben verdoppeln, kann jedoch die neu geschaffenen Stellen nicht vollständig besetzen. Die Folge: „Größere Projekte werden bereits heute verschoben und können nicht in der gewünschten Geschwindigkeit umgesetzt werden“, so Geschäftsführer Florian Weber. „In einigen Bereichen können wir nicht so schnell wachsen wie geplant“, sagt Rosemarie Christ von der Firma Harro Höfliger. Bei dem Unternehmen Riva wirke sich der Personalmangel zwar noch nicht gravierend aus, so Personalleiter Marco Bonfiglio. Er müsse allerdings bereits mithilfe interner Lösungen ausgeglichen werden und wichtige Dienstleistungen würden an Partnerfirmen vergeben.

David Fais von der IHK Stuttgart, Bezirkskammer Rems-Murr, hat den Überblick über die Region. „Die Suche nach Fachkräften wird immer schwieriger“, sagt er. Das zeige der IHK-Fachkräftemonitor für Baden-Württemberg und es würde sich bei persönlichen Gesprächen heraus kristallisieren. „Neben den steigenden Rohstoffpreisen und dem Materialmangel geben die Firmen den Fachkräftemangel als eine der größten Schwierigkeiten an“, so Fais.

Und die Prognosen fallen düster aus: Der demografische Wandel, fehlendes Interesse für die besonders betroffenen Branchen sowie die zunehmende Akademisierung werden den Mangel künftig weiter verschärfen. „Die aktuellen Krisen wie die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg beschäftigen die Unternehmen, aber der Fachkräftemangel ist ein langfristiges Problem“.

Die Wirtschaftskraft schrumpft, wenn der Mangel nicht ausgeglichen wird

Laut dem IHK-Fachkräftemonitor fehlen in der Region Stuttgart – zu welcher auch der Rems-Murr-Kreis gehört – derzeit 38 000 qualifizierte Fachkräfte. Im Jahr 2035 sollen es 251 000 sein. Besonders betroffen sind nicht-akademische Berufsgruppen. „Der Großteil fehlt im Gesundheits- und Sozialwesen und in den beratenden und wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Man kann aber sagen, dass in nahezu allen Bereichen Fachkräfte fehlen: im Büro - und Sekretariatsbereich mit mittlerer Qualifikation, in Verkaufsberufen und im IT-Bereich“, berichtet David Fais von der IHK. Besonders stark betroffen seien zudem die Gastronomie und das Handwerk. Wenn die Chancen, den zunehmenden Fachkräftemangel abzufedern, nicht genutzt werden, „ werden wir an Wirtschaftskraft und Wohlstand verlieren“, sagt er.

Dass der Fachkräftemangel eine strategische Meisterleistung der Verantwortlichen erfordert, sieht so auch der Wirtschaftsförderer der Stadt Backnang, Reiner Gauger. Er bezeichnet die zunehmend herausfordernde Suche nach Fachkräften als einen „Marathonlauf“. Jüngst hat er mit mehreren Firmen einen Gipfel zu diesem Thema einberufen, um mit ihnen gemeinsam Strategien zu erarbeiten. Am kommenden Wochenende trägt diese Zusammenarbeit seine ersten Früchte: Die Stadt sowie weitere Arbeitgeber werden auf dem Backnanger Straßenfest präsent sein und ihre freien Stellen und Ausbildungsplätze im Rahmen einer Jobbörse bewerben (siehe Infokasten). Erklärtes Ziel des Arbeitskreises von Stadt und Firmen ist es, „durch gemeinsame Aktionen den Standort Backnang zu stärken und den Bewerbern nahezubringen“, so Gauger.

Die Stadt plant mit den Firmen und Schulen weitere Aktionen

Ihm zufolge sind auch schon weitere Projekte ins Auge gefasst. Im kommenden Oktober etwa soll unter der Führung der Wirtschaftsjunioren eine „Nacht der Ausbildung“ stattfinden. Bei dieser können Schüler die teilnehmenden Firmen nachmittags und abends mit Bussen besuchen und sich dort informieren. Zehn bis fünfzehn Betriebe sind mit dabei, schätzt Gauger. Auch die Handwerkskammer habe bereits zugesagt. Des Weiteren seien gemeinsame Besuche von Hochschulen und eine Zusammenarbeit mit Backnangs Partnerstädten geplant, teilt der Wirtschaftsförderer mit.

Bei letzterer hat er besonders die britische Partnerstadt Chelmsford im Auge. „Dort haben viele Leute, besonders im IT- und Ingenieurbereich, Schwierigkeiten einen Job zu finden“, sagt er. Er könne sich zum Beispiel eine gemeinsame Plattform vorstellen, die an der dortigen Hochschule freie Stellen in Backnang bewirbt. Allerdings befürchtet Reiner Gauger angesichts des Brexit Hürden, die das Vorhaben behindern könnten. Generell sei aber die Zuwanderung ein wichtiger Aspekt, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. „Das steht für mich außer Frage“, so Reiner Gauger.

Viele Faktoren können den Mangel an ausgebildeten Menschen lindern

Neben der Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften beziehungsweise der schnellen Integration von Zugewanderten in den Ausbildungsmarkt gibt es viele weitere Stellschrauben, an denen man drehen kann, um den Fachkräftemangel anzugehen. David Fais von der IHK nennt neben bezahlbarem Wohnraum auch die Bedeutung einer guten Unternehmenskultur, welche den Mitarbeiter mit seinen Bedürfnissen in den Fokus rückt. Wichtig ist dabei auch, die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter trotz Mangels an Fachkräften gering zu halten. Das ist zum Beispiel für die Firma Harro Höfliger ein Thema: „Der Personalmangel führt teilweise zu einer stärkeren Belastung von Beschäftigten, was wir schnellstmöglich reduzieren wollen“.

Für die Unternehmen spielt laut David Fais von der IHK Stuttgart des Weiteren die Personalentwicklung, Weiterbildung und Anpassungsqualifizierung innerhalb des Unternehmens eine zunehmend wichtige Rolle. Es geht darum, alle potenziellen Fachkräfte zu nutzen, die es gibt. Dabei ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen wichtig. Aber auch die Qualifizierung ungelernter Arbeitskräfte, beispielsweise mit sogenannten Teilqualifizierungen.

Jobbörse auf dem Straßenfest

Initiative Um den Fachkräftemangel anzugehen, veranstalten die Stadt Backnang und mehrere Firmen erstmals eine Jobbörse auf dem Backnanger Straßenfest. Diese findet man am 24. Juni von 17 bis 21 Uhr vor dem Verwaltungsgebäude im Biegel.

Umsetzung Dort können Interessierte mit den Vertretern der Firmen ins Gespräch kommen. Weit über 100 Stellen sollen angeboten werden, über die Interessierte sich informieren und gegebenenfalls ein Bewerbungsgespräch vereinbaren können.

Zielgruppe Neben Schülern und Studenten sind auch erfahrene Fachkräfte aller Alters- und Berufsgruppen willkommen.

Firmen Die Stadt Backnang bietet Ausbildungs- und Arbeitsplätze in so gut wie allen Bereichen an. Des Weiteren findet man folgende Firmen auf der Jobbörse: Riva, Tesat-Spacecom, Harro Höfliger, Tasko, d&b Audio, CDA IT-Systems und Wir-machen-Druck.de. Der Kreis der Firmen werde ständig erweitert, so Wirtschaftsförderer Reiner Gauger.

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Erstellt:
18. Juni 2022, 06:00 Uhr

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