Stadtwerke betreiben Stromnetz erst ab 2027 selbst

Vor fünf Jahren hat das städtische Tochterunternehmen die Infrastruktur gekauft, für den Betrieb braucht es aber weiter die Hilfe der Syna.

Foto: A. Becher

© Alexander Becher

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Von Kornelius Fritz

Backnang. Als „Beginn einer neuen Ära“ hat der damalige Oberbürgermeister Frank Nopper den Kauf des Backnanger Stromnetzes durch die Stadtwerke vor fünf Jahren gefeiert. Der Übergang des Netzes zum
1. Oktober 2017 von der Süwag Energie AG zu den Stadtwerken bringe „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger einen sehr starken Kommunaleinfluss sowie die Versorgung im Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmebereich aus einer Hand“. Die Stadt Backnang hält 51 Prozent der Anteile an den Stadtwerken, 49 Prozent gehören dem Energieversorger EnBW. Bereits 2013 hatte sich der Gemeinderat bei der Neuvergabe des Konzessionsvertrags für das eigene Tochterunternehmen entschieden. Verbunden war damit nicht zuletzt die Hoffnung, künftig selbst von den Gewinnen zu profitieren, die das Stromgeschäft verspricht.

Mittlerweile hat sich allerdings gezeigt: Ein Stromnetz zu kaufen ist wesentlich einfacher als eines zu betreiben. Auch fünf Jahre nach dem Kauf sehen sich die Stadtwerke dazu alleine jedenfalls noch nicht in der Lage. Nachdem sie die Infrastruktur direkt nach dem Kauf wieder an die Süwag-Tochter Syna zurückverpachtet hatten, haben sie nun für weitere vier Jahre einen Betriebsführungsvertrag mit der Syna abgeschlossen. Mindestens bis Ende 2026 bleiben damit weiterhin alle wichtigen operativen Aufgaben im Bereich der Stromversorgung in der Hand des früheren Netzeigentümers. Während der kaufmännische Syna-Geschäftsführer Timm Dolezych den Vertragsabschluss als „klares Signal für unsere operativen Einheiten im Rems-Murr-Kreis“ wertet, fragt sich in Backnang mancher, wann die Stadtwerke sich denn nun endlich selbst um ihr Eigentum kümmern wollen. Schließlich wäre das die Voraussetzung für die erhofften Einnahmesteigerungen. Bisher hat der Netzkauf nämlich vor allem Geld gekostet: Knapp zehn Millionen Euro flossen dafür 2017 an die Süwag, die Stadt Backnang als Mehrheitseigentümerin unterstützte den Kauf damals mit einer Kapitaleinlage von 2,8 Millionen Euro.

Stadtwerke-Geschäftsführer Thomas Steffen, der selbst erst seit einem halben Jahr im Amt ist, versichert, es bleibe das Ziel, das Stromnetz ab 2027 komplett in Eigenregie zu betreiben. Doch auch der jetzt beschlossene Wechsel vom bisherigen Pachtmodell zum Betreibervertrag sei schon ein Fortschritt. Steffen spricht von einem Zwischenschritt auf dem Weg zur vollständigen Autarkie. Technisch sei das Backnanger Stromnetz schon von denen der Nachbargemeinden entflochten worden und bereits ab dem kommenden Jahr seien die Stadtwerke der Ansprechpartner für die Endkunden, etwa wenn es um neue Netzanschlüsse geht. Die Syna agiere als Dienstleister nur noch im Hintergrund. Auch die Einnahmen aus dem Netzgeschäft sollen bereits ab 2023 steigen, konkrete Summen will Thomas Steffen aber noch nicht nennen. Die Verhandlungen mit der Syna seien dazu noch nicht abgeschlossen.

Der Geschäftsführer räumt allerdings auch ein, dass die Übernahme des Stromnetzes komplizierter ist als gedacht. „Wir hatten uns das schneller vorgestellt, aber das ist nichts, was man mal nebenher macht.“ Die größte Schwierigkeit bestehe darin, geeignetes Personal zu finden, denn bei den Stadtwerken gibt es zwar genügend Experten für Gas- und Wassernetze, aber bisher nur einen Elektroingenieur. „Wir spüren den Fachkräftemangel“, sagt Steffen. Weil der Arbeitsmarkt leer gefegt sei, werde man das Personal zum Teil selbst ausbilden müssen. Aber das dauert nun mal drei bis vier Jahre. Dank des Vertrags mit der Syna habe man nun Zeit gewonnen, um 2027 mit einem eigenen Team die Regie zu übernehmen.

Auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke, Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, findet es nicht problematisch, dass die Stadtwerke noch bis 2026 die Unterstützung der Syna brauchen. „Die Stadtwerke Backnang gehen mit der Vergabe der Betriebsführung ihres Stromnetzes ab 2023 einen weiteren Schritt in Richtung eines eigenständigen Stromnetzbetriebs. Parallel wird in dieser Zeit die Stromnetzsparte bei den Stadtwerken weiter personell und prozessual ausgebaut, um einen reibungslosen Übergang in 2027 zu gewährleisten“, erklärt der OB. Kritischer äußert sich Willy Härtner, der ebenfalls dem Aufsichtsrat der Stadtwerke angehört: „Ich bin nicht begeistert davon. Eigentlich wollten wir doch schon lange weg sein von der Syna“, sagt der Fraktionschef der Grünen im Gemeinderat.

Die Entscheidung, das 450 Kilometer lange Leitungsnetz samt 200 Trafostationen und 7700 Hausanschlüssen zu kaufen, stellt allerdings niemand infrage. Durch den Ausbau der Elektromobilität und der Stromproduktion vor Ort werde die Bedeutung des Stromnetzes in den kommenden Jahren weiter zunehmen, prophezeit Stadtwerke-Chef Steffen. Da sei es ein großer Vorteil, alle wichtigen Entscheidungen selbst treffen zu können. Auch der Aufsichtsratschef ist davon überzeugt: „Öffentliche Netze ermöglichen zukunftsweisende Investitionen vor Ort, da alle in die Daseinsvorsorge einzahlen und die Investitionen somit wichtige Handlungsfelder wie beispielsweise den Klimaschutz berücksichtigen werden“, macht Maximilian Friedrich deutlich.

Stadtwerke betreiben Stromnetz erst ab 2027 selbst

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„Wir hatten uns das schneller vorgestellt, aber das ist nichts, was man mal nebenher macht.“

Thomas Steffen, Stadtwerke-Chef

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Erstellt:
9. April 2022, 06:00 Uhr

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