Stand auf dem Markt? „Nichts für mich“

Jörg Bauer ist begeisterter Triathlet, auch sein OB-Wahlkampf erfordert viel Ausdauer. Der 51-Jährige hat ausgerechnet, was ihm sein Anspruch abverlangt, jede Straße in Backnang abzugehen. Er ist auf eine Strecke zwischen 900 und 1000 Kilometer gekommen.

Wieder einer weniger: Jörg Bauer will alle 12000 Wahlkampfflyer persönlich in die Briefkästen der Backnanger Bürger werfen. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Wieder einer weniger: Jörg Bauer will alle 12000 Wahlkampfflyer persönlich in die Briefkästen der Backnanger Bürger werfen. Foto: J. Fiedler

Von Steffen Grün

BACKNANG. Sich die Beine in den Bauch zu stehen, passt nicht zu einem Mann, der mit 1,75 Meter einst 104 Kilogramm auf die Waage brachte, dann aber den Sport für sich entdeckte und es mit viel Disziplin bis zum weltberühmten Ironman auf Hawaii schaffte. Ein Wahlkampfstand auf dem Wochenmarkt blieb deshalb eine einmalige Sache. Viel lieber ist Jörg Bauer in Bewegung, darauf ist seine Kampagne zugeschnitten. Er konzentriert sich neben dem Meinungsaustausch etwa mit Vertretern des Einzelhandels, der Vereine oder der Gastronomie auf sein Vorhaben, jede einzelne Straße in Backnang auf Schusters Rappen zu erkunden. Bereut hat Bauer diese vollmundige Ankündigung bislang nicht. „Das ist ein guter Weg, um auch in Coronazeiten möglichst viele Leute zu treffen“, sagt der Boss einer Baufirma, der am Ende seiner Tour zudem „jedes Schlagloch und jeden anderen Missstand“ persönlich in Augenschein genommen haben will. Der Schwerpunkt lag in den ersten Wochen auf den Weilern und Stadtteilen – als ihn die Zeitung ein Stück weit begleitet, ist Maubach an der Reihe.

Am frühen Freitagnachmittag zieht der Kandidat los. Unter dem Arm ein Korb, in dem die Flyer mit den wichtigsten Informationen zur Person und zu seinen Zielen liegen. Einer nach dem anderen wandert in die Briefkästen, bevor Jörg Bauer zum ersten Mal auf eine Klingel drückt. „Unter der Woche sind die Leute seltener daheim, am Wochenende kommt es öfter zu direkten Kontakten“, sagt er und wartet. Dann meldet sich jemand, doch die Zeit oder die Lust für ein Gespräch fehlt. „Bei uns ist es gerade schlecht“, tönt es aus der Sprechanlage. Bauer nimmt es nicht persönlich, hinterlässt trotzdem sein Schriftstück und geht weiter. Keineswegs entmutigt, denn er hat schon ganz andere Erfahrungen gemacht: „In Strümpfelbach sagte eine Frau, sie habe schon zwei Wochen darauf gewartet, dass ich vorbeikomme.“

Ohnehin ist der OB-Anwärter in seiner Geburts- und Heimatstadt bekannt wie ein bunter Hund, das zeigt sich auch in Maubach. Etwa als eine Frau um die Ecke guckt und sagt: „Diese Stimme kenne ich doch.“ Small Talk, dann setzt sich Bauer wieder in Marsch und verrät, welche Frage ihm oft gestellt wird: „Kochen Sie als OB beim Weihnachtsmarkt keinen Glühwein mehr für uns?“ Jahr für Jahr schiebt er Dienst am Stand des Bürgerforums, für das er als Nachrücker für seinen Vater Alfred Bauer Anfang 2019 in den Gemeinderat einzog und im selben Jahr auch ins neue Kommunalparlament gewählt wurde. „Ich mache das weiterhin“, verspricht Jörg Bauer und sähe darin auch bei einem Wahlsieg kein Problem. „Man muss zu Idealen stehen. Das Bürgerforum Backnang entstand aus dem Kampf gegen die Krankenhausschließung und ist ein eingetragener Verein, sonst dürften wir überhaupt keinen Glühwein ausschenken.“

Für die Premiere in puncto stadtpolitische Themen sorgt Andrea Wenzler, die dem Kandidaten die Tür zu einem Mehrfamilienhaus öffnet. Ihr sind die Parkgebühren ein Dorn im Auge. Trinke sie noch einen Kaffee, „ist das zu viel“. Bauer hört sich den Ärger an, verweist aber darauf, dass die Parkhäuser privatisiert sind. Ein Konzept verspricht er dagegen, als es ums Straßenfest und den Wunsch geht, dass es wieder mehr von den Vereinen geprägt sein soll und „weniger kommerziell, so wie es früher einmal war“. Klar sei für ihn, dass der verstorbene Eventmanager Jürgen M. Häfner mehr hätte verlangen können, „das war für die Stadt fast geschenkt. Da wird sich die Stadt umgucken, wenn sie die Organisation neu ausschreibt.“

Jetzt macht Bauer wieder Meter. Flyer um Flyer wird er los und findet es „interessant, wie viele verschiedene Briefkästen es gibt. Für manche braucht es fast eine Betriebsanleitung, um sie zu öffnen. Da wird einem klar, wie schwer es Zeitungsausträger oder Postboten haben.“ Auf das Läuten bei einem alten Schulkameraden verzichtet er, sonst käme der Zeitplan ins Wanken. Noch viele Straßen sind alleine an diesem Tag zu beackern und es stellt sich die Frage, wie er den Überblick behält, wo er schon war und wo er noch hinmuss. „Ich habe ein phänomenales räumliches Vorstellungsvermögen“, lobt sich der 51-Jährige und lacht: „Ich finde überall hin und wieder zurück, auch im Auto brauche ich kein Navi.“ Am Abend werden die erledigten Straßen und Wege zudem noch auf einer Karte markiert.

Für ihn habe der Wahlkampf heute übrigens nicht mit dem Pressetermin angefangen, sondern schon viel früher. Er berichtet von Telefonaten mit Bürgern, die sich vorher bei ihm gemeldet hätten – und vom Besuch bei der Backnanger Bau-Geno, „dort ist Herr Friedrich nach mir gekommen“. Das Selbstvertrauen, diesem sowie allen anderen Rivalen und der einen Rivalin auch bei der Wahl das Nachsehen zu geben, hat Jörg Bauer. Das FDP-Mitglied, das jedoch betont, als unabhängiger Kandidat anzutreten, bewertet seine Siegchancen als „gut. Ich bin ein Macher und ein bodenständiger Backnanger, meine Mitbewerber sind Karrieristen. Sie verwenden Backnang nur als Sprungbrett.“

Jörg Bauer kann eine Stimme fest auf seinem Konto verbuchen.

Im ersten Wahlgang am 14. März oder gegebenenfalls zwei Wochen später zeigt sich, ob seine Zuversicht berechtigt ist. An Heidrun Durweiler soll es nicht scheitern. „Meine Stimme kriegt er“, verspricht die Maubacherin, die Bauer in ihre Wohnung gebeten hat. Vielleicht liegt es daran, dass sie mit den Radwegen in der Stadt unzufrieden ist und es zu seinen Versprechen gehört, einige dieser Ärgernisse zu beseitigen. Eventuell hat sie auch der Stadtturm aus Vollmilchschokolade überzeugt, den ihr der Bewerber überreicht hat. Oder es ist doch die Tatsache, die etwas beiläufig offenbar wird – nämlich dass Bauer Durweiler kennt, seit er beim Bau des Hauses vor rund 18 Jahren die Bauleitung hatte.

Klar ist, dass eine Stimme nicht reicht. Er muss weitere Wähler überzeugen. Auf seiner To-do-Liste stehen etwa die Digitalisierung der Schulen, die Glasfaseranbindung auch weit abseits der Kernstadt, ein Freizeitgelände für Jugendliche mit Kletterparcours, BMX-Strecke und Skatepark sowie die Sanierung maroder Straßen und Fußwege. Als groben Missstand sieht es Bauer, „dass es zwischen den Stiftsgrundhöfen und Waldrems und Maubach keinen Fußweg gibt“. Auch für die Autofahrer hat er noch ein Detail im Angebot: „Nach 100 Tagen muss der Bleichwiesenkreisel staufrei sein.“ Wie er das schaffen will, bleibt vorerst aber sein Geheimnis. Er wolle seine Idee „nicht verraten, sonst laufen die anderen hinterher“. Möglicherweise verrät Jörg Bauer zu diesem und anderen Punkten ja mehr Einzelheiten, wenn er „demnächst“ seinen Maßnahmenplan vorstellt. Er wolle auf alle Fälle „nichts versprechen, was ich nicht halten kann, zumal ich nicht nach acht Jahren wieder weg bin“.

Um überhaupt ins Rathaus einzuziehen, setzt Bauer seine Tour unverdrossen fort. Er versucht es auch beim Alt-OB Frank Nopper. Der Kandidat klingelt, niemand öffnet. Dabei steht der Dienstwagen da, bemerkt ein Nachbar und liefert Bauer so eine Steilvorlage: „Ich brauche nur ein Fahrrad, da kann die Stadt Geld sparen.“ Knapp vier Wochen bleiben ihm, um alle Straßen der Stadt abzulaufen. Knapp 500 Kilometer hat er in den Beinen, etwa die Hälfte ist geschafft. Für die 12000 Flyer, die er allesamt selbst in die Briefkästen stecken will, gilt das noch nicht, denn „die dicht besiedelten Gebiete in der Kernstadt kommen erst noch“. Da geht’s dann ratzfatz, in den Stadtteilen und Weilern liegen die Häuser zum Teil weit auseinander.

Stand auf dem Markt? „Nichts für mich“

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Erstellt:
16. Februar 2021, 06:00 Uhr

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