Statt Handball steht Latein auf dem Plan

Erfolgreich in der Fremde (6): Katharina Winger macht im Sport Pause und konzentriert sich nun aufs Studium der Tiermedizin

Richtig viel Stress kann manchmal gut für einen sein. Katharina Winger zum Beispiel lenkt er davon ab, dass sie mit gerade mal 24 Jahren zumindest vorläufig die Handballschuhe schweren Herzens an den Nagel gehängt hat. Statt mit dem HSC Kreuzlingen in der Schweizer Premium League um Punkte zu kämpfen, studiert die frühere Junioren-Nationalspielerin seit zwei Monaten in München Tiermedizin.

Hat den kleinen Ball zumindest vorübergehend aus der Hand gelegt: Katharina Winger. Foto: Imago

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Hat den kleinen Ball zumindest vorübergehend aus der Hand gelegt: Katharina Winger. Foto: Imago

Von Uwe Flegel

„Einfach war es nicht, schließlich spiele ich Handball, seit ich vier bin“, gesteht die junge Frau aus dem Weissacher Tal. Trotzdem hat sie vor nicht ganz acht Wochen den Ball zur Seite gelegt und Bücher in die Hand genommen. Statt täglichem Training steht „viel Latein, viel Anatomie, viel Chemie und viel Physik“ auf dem Pflichtprogramm. Ein Ausstieg, der einerseits von jetzt auf nachher kam und andererseits gut geplant war. „Ich habe so lang auf diesen Studienplatz gewartet“, macht Katharina Winger klar, dass sich die sportliche Liebe der beruflichen Sehnsucht unterzuordnen hatte. Tierärztin zu werden, das ist für sie die Erfüllung eines großen Traumes.

Momentan hat die Weissacherin allerdings kaum Zeit, der Karriere als Handballerin nachzutrauern. Lernen ist angesagt. Das ist nicht wenig, wenn es um Medizin geht und man die Schule schon ein paar Jahre hinter sich hat – so wie Katharina Winger. Zu Gute kommt ihr als Leistungssportlerin, dass sie Druck gewohnt ist und weiß, erst kommt der Schweiß, dann der Preis. Entsprechend konzentriert und diszipliniert geht die gebürtige Stuttgarterin ihre neue Aufgabe an. Sie weiß, wer sich etwas aufbauen will, der muss zuvor „Grundlagen erarbeiten“. Das gilt für Sport und Beruf.

Nicht nur dem Sport servus gesagt, sondern auch den Freundinnen

Teilweise hört es sich allerdings an, als sei sie ganz froh, dass das Studium sie so fordert. Denn bei aller Freude über den ergatterten Platz in München war der Abschied nach zweieinhalb schönen Jahren aus Kreuzlingen nicht ganz so einfach. „Ich hatte mir dort ein Leben aufgebaut, habe dort ja noch Freundinnen.“ Die meisten selbstverständlich im Sport. Doch Katharina Winger hat am Bodensee nicht nur Handball gespielt, sondern in Kreuzlingen auch als Tiermedizinische Fachangestellte gearbeitet. Auch weil die Kenntnisse, die sie sich im Rahmen der Ausbildung in der väterlichen Tierarztpraxis in Cottenweiler erworben hatte und für die sie mit einem Preis ausgezeichnet worden war, genutzt werden sollten. Denn da gab es ja stets den großen Wunsch, Tierärztin zu werden.

Deshalb „wusste der Verein von Anfang an Bescheid, dass ich schnell weg sein kann, wenn ich einen Studienplatz bekomme“, erzählt die frühere Jugend-Nationalspielerin, die selbst nie richtig wusste, an welchem Studienort sie am Ende landet. „In Deutschland ist es so, dass man sich an allen fünf Standorten bewerben muss.“ Zur Wahl standen Gießen, Leipzig, Hannover, Berlin und eben München. Dass das dann ausgerechnet die einzige Stadt wird, bei dem weit und breit weder ein Erst- noch ein Zweitligist existiert, spielt für die 1,84 Meter große Rückraumspielerin keine Rolle. Denn bei der Frage, an welcher Stelle der Handball bei ihr gerade steht, da kommt die Antwort: „Eigentlich nirgends. Dafür fehlt mir einfach die nötige Zeit.“

Wobei das nur ein Teil der Wahrheit ist. Ein bitterer Teil, sagt die Rechtshänderin doch auch: „Würde ich in Kreuzlingen in die Handballhalle gehen und dort zuschauen müssen, dann wäre das nicht leicht.“ Vielleicht ist es ein Glück, dass die eidgenössische Seite des Bodensees von München aus nicht so einfach zu erreichen ist. Positiv ist zudem, dass die ehemaligen Mitstreiterinnen in der Schweiz die Deutsche nicht vergessen haben: „Zu meiner Trainerin Kristina Ertl-Hug habe ich noch guten Kontakt und es tröstet mich, wenn sie mir sagt, dass ich fehle – auch menschlich.“ Entsprechend froh ist die Weissacherin, dass ihre Mannschaft auch ohne ihre Torschützin aus dem linken Rückraum das wichtige Spiel gegen Herzogenbuchsee mit 30:29 gewonnen hat und in der Achterliga weiterhin auf Rang fünf liegt.

Ganz abgehakt hat Katharina Winger den Handball, der so lange einen großen Teil ihrer Zeit bestimmt hat, auf jeden Fall noch nicht. Sie sagt: „Aktuell ist das kein Thema, aber ich schließe nicht aus, dass es das doch mal wieder wird.“ Bis dahin muss das Fitnessstudio reichen. Allerdings: „Das mannschaftliche fehlt mir da schon.“ Dagegen hilft eigentlich nur, fleißig zu lernen, rasch im Studium zurecht zu kommen, um dann schnell wieder die Kugel in den Fingern haben zu können. Zwar hält die 24-Jährige ein Engagement in der ersten oder zweiten Liga für zu zeitaufwendig, aber im Münchner Speckgürtel gibt es mit dem ASV Dachau und HDC Gröbenzell immerhin zwei Drittligisten. Das wäre weniger Stress. Zudem: Vielleicht hilft ihr der Sport ja, den Kopf für Dinge wie Latein oder Anatomie freizubekommen.

Mit der Serie stellen wir Sportler vor, die bei Vereinen aus der Region als Kinder und Jugendliche am Ball waren und mittlerweile bei hochklassigen Teams erfolgreich sind.

Info
Mit vier Jahren los-, mit 24 zumindest einen Zwischenstopp eingelegt

Mit vier Jahren begann Katharina Winger beim TSV Allmersbach mit dem Handball. Über die SG Weissach im Tal, den TV Großbottwar, die SG Schorndorf und den VfL Waiblingen ging es 2013 nach Nellingen zu den Schwaben Hornets. Mit dem Team aus Ostfildern stieg die Weissacherin 2016 von der zweiten in die erste Liga auf. Im Sommer 2017 wechselte Winger zum Schweizer Erstligisten HSC Kreuzlingen. Dort brachte sie es in dieser Saison in sechs Spielen auf immerhin 21 Tore (18/3). In ihrem letzten Spiel für Kreuzlingen erzielte sie am 4. Oktober beim 26:38 gegen den LK Zug sieben Treffer.

Die Frage, bei welchem Verein es ihr am besten gefallen hat, sagt die frühere Jugend- und Junioren-Nationalspielerin: „Schön war es irgendwie überall. Aber Kreuzlingen war schon was Besonderes. Ich habe das erste Mal alleine gewohnt und am Bodensee zu leben, ist auch nicht so schlecht.“

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Erstellt:
23. November 2019, 06:00 Uhr

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