Steigende Stadtmieten verdrängen Händler und Handwerker

dpa Frankfurt/Berlin. Der Bäcker oder Schneider an der Ecke, der Kfz-Betrieb oder Blumenverkäufer in der Nachbarschaft: Viele Handwerker und Händler können sich hohe Mieten in Innenstädten nicht mehr leisten, klagen Verbände. Sie fürchten ein Ausbluten der Zentren.

Steigende Mieten und Immobilienpreise machen zunehmend dem Handwerk in Großstädten zu schaffen. In viele Quartieren verschwinden Bäcker, Fleischer und Schuster. Foto: Martin Schutt

Steigende Mieten und Immobilienpreise machen zunehmend dem Handwerk in Großstädten zu schaffen. In viele Quartieren verschwinden Bäcker, Fleischer und Schuster. Foto: Martin Schutt

Der Immobilienboom in Deutschland wird zur Gefahr für Händler und Handwerker in teuren Städten. Verbände warnen, steigende Mieten und Preise verdrängten alteingesessene Geschäfte und Betriebe aus den Innenstädten.

„Die Gewerbemieten in gefragten Städten gehen durch die Decke und treffen vor allem inhabergeführte Händler“, teilte der Deutsche Städte- und Gemeindebund am Freitag mit. „Es droht eine Verödung der Zentren.“

Bernd Düsterdiek, Referatsleiter für Stadtentwicklung bei dem Verband warnte: „Alteingesessene Spiel- oder Haushaltswarenläden sind oft schon weg.“ Selbst umsatzstarke Filialisten seien teils nicht mehr bereit, die hohen Mieten in Top-Lagen der Innenstädte zu bezahlen. Auch dort komme es daher schon zu Leerstand. „Und fehlt ein Publikumsmagnet, geht es schnell mit ganzen Straßen bergab“, sagte Düsterdiek.

Die steigenden Mieten in vielen Städten träfen auch das Handwerk, klagte der Branchenverband ZDH. „In gentrifizierten Quartieren verschwinden Bäcker, Fleischer, Schuster oder Änderungsschneider aus den Straßen, weil sie sich die Miete der Geschäftsräume nicht mehr leisten können“, sagte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.

„Vielerorts erleben wir einen Rückzug von Handwerkern aus den Innenstädten und Wohnvierteln an die Ränder der Stadt, da spielt sich ein echter Verdrängungswettbewerb ab“, sagte Schwannecke. Er nannte Kfz-Betriebe oder Tischlerwerkstätten, die dem Wohnungsbau weichen müssten. Auch Konflikte mit Nachbarn etwa wegen Lärms nähmen zu. Expansionsmöglichkeiten gebe es vielerorts nur noch am Stadtrand.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks stützt sich auf eine Umfrage unter 5000 Firmen, wonach knapp jeder zehnte Betrieb in den kommenden beiden Jahren den Standort wechseln will. In Innenstädten sei es fast jeder fünfte (17 Prozent). Gründe seien steigende Mieten, Kündigungen durch den Eigentümer und Streitigkeiten mit Nachbarn. Denn mit dem Wachstum der Ballungsräume rücken Wohnungen näher an Gewerbegebiete. Firmen verließen aber nicht nur wegen der Mieten die Zentren, so der ZDH. Viele bräuchten auch mehr Platz für Wachstum.

Auch dem Einzelhandel macht der Immobilienboom zu schaffen. „Gerade in Großstädten sehen wir seit Jahren steigende Mieten. Für kleine Geschäfte sind sie kaum noch erträglich“, kritisierte Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Einige Händler könnten sich nicht mehr halten und müssten raus aus den Fußgängerzonen. „Das geht quer durch die Bank“, sagte Falk. Doch wer die Innenstädte verlasse, stehe schnell vor dem nächsten Problem - dann fehle Laufkundschaft. Zusätzlichen Druck erzeuge der Online-Handel, der etwa Buchhändlern Umsatz koste. Immerhin habe die gute Konjunktur das Problem kletternder Mieten abgefedert.

Um weitere Anstiege zu begrenzen, macht sich nun Berlin für eine bundesweite Mietpreisbremse im Gewerbe stark. Der rot-rot-grüne Senat beschloss am Dienstag eine entsprechende Bundesratsinitiative. Stark steigende Gewerbemieten verdrängten oft inhabergeführte kleine Geschäfte aus den Innenstädten, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Das gelte auch für soziale Einrichtungen wie Kindergärten.

Zwischen 2009 und 2018 seien Preissteigerungen um mehr als 40 Prozent bei Gewerbemieten in Berlin keine Seltenheit. „Mit unserer Gewerbemietpreisbremse wollen wir diesen Negativtrend stoppen.“ Auch örtliche Faktoren sollen laut Antrag eine Rolle spielen: Der Bund soll demnach den Ländern ermöglichen, Gebiete mit angespannten Märkten für Geschäftsräume zu bestimmen, wo die Mietpreisbremse gilt.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lehnt den Vorstoß ab. Eine Gewerbemietpreisbremse sei „wenig zielführend und zu bürokratisch“, hieß es von dem Verband. So lasse sich schwer abgrenzen, wo ein „angespannter Gewerberaummarkt“ vorliege. Zudem seien die vorgeschlagenen Regelungen streitanfällig. „Eine Mietpreisbremse für das Gewerbe löst das Problem nicht“, sagte Referatsleiter Düsterdiek. „Das zeigen die Erfahrungen mit der Mietpreisbremse für Wohnraum.“

Ohnehin gebe es das Problem der steigenden Mieten nur in gefragten Städten. „Andernorts haben wir viel Leerstand, weil den Geschäften Umsatz und Kundschaft fehlt“, sagte Düsterdiek. Dort seien eher Online-Händler und nicht die steigenden Mieten das zentrale Problem.

Anstelle einer Mietpreisbremse seien richtige Rahmenbedingungen für gemischte Quartiere aus Wohnen und Gewerbe der bessere Weg, meint der Städtebund. Kommunen müssten Händlern und Betrieben genug Flächen zur Verfügung stellen - gerade in Zentren. Und auch Vermieter hätten eine Verantwortung. „Manche legen es lieber darauf an und lassen ein Geschäft für ein paar Monate leer stehen, als dass sie die Miete senken“, sagte Düsterdiek. Gewinnmaximierung durch überzogene Mieten nutze aber niemandem, meint der Städtebund. „Sie führt zu Leerständen und einer Abwärtsspirale ganzer Straßenzüge.“

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Erstellt:
16. August 2019, 14:53 Uhr

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