Genuss-Kolumne

Zweitrestaurants, die das Herz erobern

Ein Bistro in Cancale verändert alles: Tintenfischringe wie Offenbarungen, Austern am Meer. Warum Zweitrestaurants oft die wahren Lieblinge sind - eine kulinarische Liebeserklärung

Bei den Roellingers, bei Caminada und bei Niederkofler kann man nicht nur Sternemenüs goutieren. Die Bistros und Gasthäuser sind die Tipps schlechthin.

© Schlemmerbäch

Bei den Roellingers, bei Caminada und bei Niederkofler kann man nicht nur Sternemenüs goutieren. Die Bistros und Gasthäuser sind die Tipps schlechthin.

Von Anja Wasserbäch

Der Sommer ging natürlich viel zu schnell vorbei. Und ganz wider meine Natur habe ich mehr Romane als Speisekarten gelesen, was beides auf eigene Weise sättigt. Es wurde gegrillt, am Strand aus Plastikboxen gegessen, Baguette gebrochen und Käse dazu. Fertig!

Das Bistrot de Cancale ist quasi die kleine Schwester des 3-Sterne-Lokals

Es gab aber ein Essen, das mir ewig in Erinnerung bleiben wird. Das war in einem Bistro in Cancale: vorne das Meer, der Strand mit Plastiktieren und sonnengegerbter Haut, eine kleine Straße, dann die Terrasse, über die das sehr adrette Servicepersonal in seinen Vans schwebte. Alles war herrlich unkompliziert, die Karte übersichtlich. Dass es ein Ableger der Roellingers ist, verpflichtet – und das schmeckt man. Das Bistrot de Cancale ist quasi die kleine Schwester des 3-Sterne-Lokals, und hier gibt es einfache, traditionelle Gerichte. Man kann Menschen beobachten, wie sie sich Lätzchen für den Hummer umbinden lassen, und dabei viel eleganter als bei der Zahnreinigung aussehen, wie sie von den schönsten Austern überhaupt schwärmen. Man bekommt Tintenfischringe, die sich nicht als gummiartige Armreife tarnen, sondern als kulinarische Offenbarung, Steinbutt, der am Knochen gegart wurde, dazu dünne Pommes und das tollste Profiterole zum Dessert. Alles hat eine Qualität, die so gut ist, weil die Gastronomen-Familie für das Bistro denselben Qualitätsmaßstab anlegt wie für das Gourmetrestaurant.

Und es gibt davon noch mehr Beispiele: die Casa Caminada etwa in Fürstenau. In dem Gasthaus von Spitzenkoch Andreas Caminada werden Bündner Klassiker, einfach und sinnlich, aufgefahren: Capuns, Pizzoccheri, Dörrbirnenravioli und Maluns mit Apfelkompott. In der Meierei der Familie Reitbauer in Wien bekommt man das beste Gulasch und die großartigen Mohnnudeln. Norbert Niederkofler hat oben auf dem Kronplatz in Südtirol mit dem AlpiNN das ungewöhnlichste Touristenlokal etabliert, in dem es eben keine Pommes und Cola gibt.

Wenn man aber genau hinschaut, gibt es noch viel mehr solcher Beispiele. Jürgen Wolfsgruber, Münchner Tausendsassa, hält mit seinem Sparkling Bistro einen Michelin Stern, mit seinen Gaststätten Tschecherl und Das Obers bietet er Neo-Wirtshausküche mit bestem Produktverständnis. Ebenso Alina Meissner-Bebrout, die in Ulm neben ihrem Gourmettempelchen in der Brasserie Edda bestes Schnitzel und wohlig schmeckende Pilzmaultaschen mit Morcheltrüffelrahm und Parmesan serviert. In das kleine fränkische Wirsberg reisen Schlemmers, um im Aura auf höchstem Niveau zu speisen (zwei Michelin-Sterne), im Bistro des Posthotels namens Oma & Enkel aber gibt es die weltbesten Pommes – hergestellt aus Kloßteig. Klar, man kann die Gourmetküche abgehoben finden. Wenn das die Nebenwirkungen sind, dann bitte mehr davon.

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Erstellt:
21. September 2025, 07:12 Uhr
Aktualisiert:
21. September 2025, 07:30 Uhr

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