Streikanfällig

Die Bahn hat sich die Wirkung der Proteste selbst zuzuschreiben

Einst war er der Schreck aller Bahnkunden: Deutschlands berüchtigster Gewerkschafter Claus Weselsky. Doch heute – man glaubt es kaum – spottet der Chef der Lokführergewerkschaft GDL über die streikende Konkurrenz von der Eisenbahngewerkschaft EVG und verhält sich ansonsten mustergültig gegenüber dem Arbeitgeber. Womöglich kann er bis Mittwoch sogar eine Einigung verkünden. Geht es also auch ohne die früher so oft zelebrierte Kraftmeierei? Es sieht so aus.

Die EVG hat dies zuletzt freilich anders gesehen und dem Vorstand gezeigt, dass sie nicht nur Schmusekurs kann. Es fällt auf, wie sehr sich die Bahnverantwortlichen von ihren Warnstreiks haben überraschen lassen. Darauf waren sie offenbar nicht vorbereitet. Die Annahme, sie müssten nur die GDL mit einer Schlichtungsvereinbarung ruhigstellen und seien ansonsten vor Gewerkschaftsattacken sicher, hat getrogen. Weselsky wiederum kann es nicht ruhen lassen, wenn der Mitstreiter wegen seiner Offensive ein besseres Ergebnis herausholen sollte. Dann wird er seinerseits bei nächster Gelegenheit wieder vorpreschen. Der Tariffrieden bei der Bahn ist somit ein allzeit brüchiges Konstrukt. Gegen diesen Wettbewerb helfen auch keine gesetzgeberische Eingriffe – was letztendlich gut so ist.

Ihre Verletzlichkeit bei Streiks hat die Bahn schließlich selbst zu verantworten. Angesichts der Personalnot infolge eines jahrzehntelangen Sparkurses vermag sie Ausfälle nicht mehr zu kompensieren. Dagegen helfen nur verstärkte Investitionen in Belegschaft und Technik. Nichts anderes als moderne, sichere und ordentlich bezahlte Arbeitsbedingungen sollen die Tarifverhandlungen bewirken. Wenn die Gewerkschaften dabei erfolgreich sind, profitieren auch die Kunden von einem verlässlichen Bahnbetrieb.

matthias.schiermeyer@stzn.de

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Erstellt:
11. Dezember 2018, 13:40 Uhr

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