Streit um Ganztagsbetreuung: Kretschmann macht Druck

dpa/lsw Berlin/Stuttgart. Der Streit ums Geld für den Ganztag gewinnt an Schärfe. Ministerpräsident Kretschmann pocht darauf, unverzüglich Gespräche zu führen. Scheitert das Gesetzesvorhaben am Ende?

Winfried Kretschmann spricht bei einem Interview. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Winfried Kretschmann spricht bei einem Interview. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Im Streit um die künftige Finanzierung der Ganztagsbetreuung von Grundschülern verliert Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Geduld. Er wundere sich, dass der Vermittlungsausschuss noch nicht einberufen worden sei, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „So wie das Thema gerade ausgesessen wird, stelle ich mir schon die Frage, ob alle Beteiligten ein ernsthaftes Interesse an einer guten Lösung haben.“

In einem Brief an die Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD), fordert Kretschmann nun, unverzüglich in ernsthafte Gespräche mit dem Bund einzusteigen. „Meines Erachtens ist es essenziell, dass wir das Vermittlungsverfahren bis zum 7. September erfolgreich abschließen, damit das Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden kann“, heißt es in dem Schreiben, das der dpa vorliegt.

Worum geht es genau? Eigentlich war geplant, dass jedes Kind, das ab Sommer 2026 eingeschult wird, in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommt. Derzeit wird davon ausgegangen, dass dafür bundesweit bis zu eine Million zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen. Doch der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler in Deutschland wackelt. Der Bundesrat verweigerte Ende Juni dem Gesetz - auch auf Initiative Baden-Württembergs - die Zustimmung und rief den Vermittlungsausschuss an. Der kann angerufen werden, wenn vom Bundestag bereits beschlossene Gesetze keine Zustimmung im Bundesrat finden. Das gemeinsame Gremium beider Häuser versucht dann, eine Einigung herbeizuführen.

Es geht vor allem ums liebe Geld. Die Bundesländer fordern, dass der Bund deutlich mehr Mittel für das milliardenschwere Vorhaben zur Verfügung stellt. Ob es bis zur Bundestagswahl noch eine Lösung gibt, ist ungewiss. „Wir müssen beim Ausbau der Ganztagsplätze richtig Gas geben“, sagte Kretschmann. „Aber wenn der Bund einen Rechtsanspruch formuliert, muss er sich auch um die Frage kümmern, wer die Lasten dieses Rechtsanspruchs trägt, also wer zahlt.“ Ein Rechtsanspruch sei einklagbar, der müsse deshalb finanziell unterfüttert sein. Sonst dürfe man ihn nicht in die Welt setzen.

Der Bund will den Ländern nach bisherigen Plänen 3,5 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen und sich langfristig mit knapp einer Milliarde Euro jährlich an den laufenden Betriebskosten beteiligen. Allerdings werden die Personal- und Betriebskosten auf bis zu 4,5 Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Aus Kretschmanns Sicht ist die geplante Lastenverteilung deshalb alles andere als fair. Er befürchtet, dass allein auf Baden-Württemberg im Endausbau Kosten von jährlich einer Milliarde Euro zukommen könnten. Die Länder fordern, dass sich der Bund zur Hälfte an den Betriebskosten beteiligt. „Fifty-fifty“ sei die Verhandlungsbasis, sagte Kretschmann. Nun müsse man verhandeln.

Kretschmann sieht hinter der Debatte aber ein grundsätzlicheres Problem. Der Bund locke die Länder mit hohen Investitionen. „Und anschließend bei den Betriebs- und Personalkosten engagiert er sich zu einem viel zu geringen Teil.“ Länder oder Gemeinden blieben dann auf dem Großteil der Kosten sitzen. „Das führt zu Föderalismusverdruss.“ Der Grünen-Politiker fordert eine dritte Föderalismuskommission, um die die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern neu zu justieren. Die Länder besäßen fast keine eigenen Steuererhebungsrechte. Deswegen sei das Geld unentwegt ein Streitpunkt.

© dpa-infocom, dpa:210730-99-610972/3

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Erstellt:
30. Juli 2021, 05:05 Uhr

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