Regierung muss Corona-Auflagen verteidigen

dpa/lsw Stuttgart. Die Politik will die Corona-Ausbreitung mit massiven Beschränkungen stoppen - auch mit Blick auf die Kliniken. Nicht überall trifft sie auf Verständnis. Ministerpräsident Winfried Kretschmann will sich erneut erklären, dieses Mal im Landtag.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Nach den Entscheidungen über weitere drastische Corona-Auflagen schlägt der Landesregierung eine Welle der Kritik aus Kultur, Wirtschaft und politischer Opposition entgegen. Dagegen verteidigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Beschlüsse. Er baut trotz der Kritik nach eigenen Angaben auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung: „In Wirklichkeit wissen wir aus Umfragen: Es sind nur 12 Prozent, die die Maßnahmen für zu scharf halten“, sagte der Regierungschef am Donnerstag dem Südwestrundfunk (SWR). „Fast 30 Prozent halten sie nicht für scharf genug.“

Es komme nun auf das Verhalten der Menschen an, sagte Kretschmann. Die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin hätten zwar die Beschlüsse gefasst. „Aber ohne, dass die Bevölkerung auch mitmacht und sich auch daran hält, können wir die Welle nicht brechen.“ Bereits in einer Erklärung am Vorabend hatte der Grünen-Politiker gemahnt, die befristeten Einschränkungen so bald wie möglich umzusetzen. „Glauben Sie mir, es kommt auf jeden Tag an“, sagte er. „Es geht jetzt um Schnelligkeit, es geht um Entschlossenheit und Konsequenz.“

Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigte konsequente Kontrollen und Sanktionen an. „Es wird auch Schwerpunktkontrollen geben – etwa, ob der Maskenpflicht nachgekommen wird oder ob die maximal zugelassene Personenanzahl eingehalten wird“, sagte er.

Unter Zeitdruck steht nun auch die Politik: Die bundesweit geltenden Einschränkungen sollen am Montag in Kraft treten, zuvor müssen sie aber noch auf Länderebene formuliert und beschlossen werden. Nach Angaben aus dem Staatsministerium sollen die Entscheidungen nach der Verabschiedung im Kabinett in Verordnungen formuliert und „zum Wochenende hin“ in den Umlauf der Ministerien gebracht werden. Verkündet werden sollen sie nach dpa-Informationen am Sonntag. Zuvor wird der Landtag an diesem Freitag (13.00) zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Eine Abstimmung über die Einschränkungen ist nach bisheriger Planung aber nicht vorgesehen.

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Wolfgang Reinhart, sagte: „Die Corona-Krise ist nicht nur die Stunde der Exekutive, sondern auch die des Parlaments.“ Zuvor hatten auch Grüne, FDP und SPD eine Sitzung des Plenums zum Thema gefordert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten am Mittwoch die weiteren Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen, um die stark steigenden Infektionszahlen in den Griff zu bekommen. Unter anderem sollen sich in Baden-Württemberg wie bundesweit auch nur noch Angehörige von höchstens zwei Hausständen in der Öffentlichkeit treffen dürfen bei insgesamt maximal zehn Personen. Die Beschränkung auf zwei Haushalte soll nach dpa-Informationen und bisheriger Planung auch für private Treffen gelten. Eine Beschränkung auf eine Personenzahl soll es im Südwesten demnach nicht geben.

Offen bleiben sollen lediglich Schulen, Kindergärten, der Groß- und Einzelhandel und Friseurläden. Nach Ablauf von zwei Wochen wollen Kanzlerin und Länderchefs die erreichten Ziele beurteilen und notwendige Anpassungen vornehmen.

Diese Frist bis Ende November ist aus Sicht des Städtetags zu lang. „Einen sehr kurzen Lockdown von einer Woche, maximal zwei Wochen könnten wir akzeptieren“, sagte Vorstandsmitglied Gudrun Heute-Bluhm der dpa. Insbesondere die Gastronomie, Kultureinrichtungen und Sportvereine treffe die Maßnahme sehr stark. Anders als private Kontakte seien diese aber nicht die treibenden Kräfte hinter den bundesweit voranschreitenden Corona-Infektionszahlen.

Dagegen lässt sich die Politik aus Sicht des Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, zu viel Zeit mit den neuen Corona-Maßnahmen. „Nach meiner Auffassung kommen sie auf den allerletzten Drücker. Ich frage mich auch, warum wir dem Virus jetzt noch bis Montag Zeit geben müssen“, sagte der Mediziner dem Südwestrundfunk (SWR) in Baden-Baden.

Der Intendant der Württembergischen Staatstheater wirft der Politik Symbolpolitik vor. „Wir werden in Mithaftung genommen für eine Symbolpolitik“, kritisierte der Geschäftsführende Intendant des Stuttgarter Drei-Sparten-Hauses, Marc-Oliver Hendriks. „Das schmerzt.“ Der Allgemeine Deutsche Tanzlehrer-Verband (ADTV) sprach von einem Schock sprechen“.

Für die vorübergehende Schließung von Museen wegen der Corona-Pandemie fordert der Deutsche Museumsbund zudem einen finanziellen Ausgleich. „Auch Museen arbeiten wirtschaftlich, es gibt zudem viele private und vereinsgeführte Museen, die laufende Kosten haben“, sagte der Präsident des Deutschen Museumsbundes und Direktor des Badischen Landesmuseums, Eckart Köhne, in Karlsruhe. Er wies darauf hin, dass Museen freie Mitarbeiter und Solo-Selbstständige beschäftigen. „Da sehen wir uns als Museen genauso wie Wirtschaftsunternehmen.“

Eingeschränkt werden bereits von Freitag an die Besuche in Krankenhäusern des Klinikverbunds Südwest. Die Besuchszeiten in den sechs Kliniken aus den Landkreisen Böblingen und Calw werden auf maximal eine Stunde pro Tag gekürzt. Ältere und schwerkranke Patienten sowie das Pflegepersonal sollen so vor Corona-Infektionen geschützt werden, teilte der Verbund mit. Zudem begegneten sich dadurch weniger Besucher.

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Erstellt:
28. Oktober 2020, 18:46 Uhr

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