Stress und kaum Perspektive: Verband kritisiert Ausbildungen

dpa Berlin. Die meisten Auszubildenden sind mit ihrer Berufsbildung zufrieden. Doch an einigen Stellen ist durchaus Luft nach oben, mahnt der Deutsche Gewerkschaftsbund. Aber wo genau soll nachgebessert werden?

Viele Auszubildende leiden laut DGB unter Stress. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Viele Auszubildende leiden laut DGB unter Stress. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Überstunden, Unsicherheit, fehlende Perspektive - viele Auszubildende im Deutschland stehen unter reichlich Stress. Wie der Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zeigt, kann sich ein knappes Viertel nach dem Arbeitstag nicht mehr richtig erholen.

Ein Blick auf die Zahlen lässt vermuten, warum: Zwar ist der Anteil der Auszubildenden, die regelmäßig Überstunden machen müssen, gesunken. Trotzdem sind es aktuell noch ein gutes Drittel, wie die DGB-Studie unter mehr als 13.000 Auszubildenden in den 25 häufigsten Ausbildungsberufen zeigt. Die allermeisten von ihnen müssen demnach etwa fünf Stunden die Woche länger im Betrieb bleiben.

Extremfälle gibt es auch: Rund ein Prozent der Befragten muss regelmäßig 20 Überstunden die Woche leisten. Der DGB nennt dieses Ergebnis erschreckend. Und: etwa jede und jeder zehnte Auszubildende bekommt laut Bericht weder Geld noch freie Tage als Ausgleich für die zusätzliche Arbeit, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist.

Für zahlreiche Auszubildende kommt zu der hohen Stundenzahl Unsicherheit. Mehr als ein Drittel von ihnen hat laut Studie keinen Ausbildungsplan, weiß also gar nicht, wie die Lehre ablaufen soll. Ohne Plan wissen viele nicht genau über die Lerninhalte Bescheid. Das macht es auch schwerer, ausbildungsfremde Tätigkeiten zu erkennen. Dem DGB zufolge muss etwa jede achte Person in der Ausbildung immer oder häufig solche Arbeiten verrichten - etwa Putzen oder Privatdienste für die Vorgesetzten erledigen.

Auch wie es nach der Ausbildung weiter geht, ist für viele lange unklar. Fast 40 Prozent der Auszubildenden wissen selbst im letzten Ausbildungsjahr nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Und während sich insgesamt die allermeisten Auszubildenden zufrieden mit der Lehre zeigen, geht mit der Zahl der Lehrjahre auch der Anteil derer zurück, die ihren Ausbildungsbetrieb weiterempfehlen würden. Sind es im ersten Jahr noch 70,6 Prozent, sackt die Zahl im vierten und letzten Jahr auf 48,2 Prozent ab.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht sich durch das hohe Maß an allgemeiner Zufriedenheit mit der Ausbildung von etwa 70 Prozent bestätigt. „Dieses gute Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen der Industrie- und Handelskammern“, sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.

Mit Blick auf die Corona-Krise mahnt der DGB an, die Ausbildungsqualität aufrecht zu erhalten. Betriebe hätten dafür zu sorgen, dass Auszubildende trotz Kurzarbeit Lehrinhalte vermittelt bekämen, fordert DGB-Jugendsekretärin Manuela Conte.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sieht auch bei der Ausstattung der Berufsschulen Nachholbedarf. Die Pandemie zeige, dass diese technisch nicht auf Distanzlernen vorbereitet seien. „Wenn jetzt Mittel aus dem Digital-Pakt fließen und Soforthilfen für Schulen bereitgestellt werden, muss sicher sein: Auch die Berufsschulen profitieren von diesen Mitteln.“

Unterstützung kommt aus der FDP: „Die Berufsschulen brauchen einen Digitalpakt 2.0, der auch in IT-Kräfte und Lehrerfortbildungen investiert“, sagt Jens Brandenburg, Sprecher für berufliche Bildung der FDP-Bundestagsfraktion. Um Betriebe und Auszubildende zu entlasten, solle die Ausbildung bis zum Jahresende zudem vollständig steuer- und abgabenfrei sein.

Während der Krise droht laut Hannack auch eine Verschärfung des Trends, dass Jugendliche keine Ausbildung finde. Im Handwerk etwa seien bis Ende Juli 13 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen worden als im Vorjahr. „Das Nebeneinander von Fachkräftemangel und hoher Ausbildungslosigkeit ist Gift für unsere Gesellschaft“, sagte sie. Sie fordert eine gesetzliche Ausbildungsgarantie. Jeder Jugendliche müsse ein Angebot auf einen Ausbildungsplatz oder eine überbetriebliche Ausbildung erhalten.

Einer Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge könnte die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge dieses Jahr auf etwa 460.000 sinken. Hannack sprach von 456 000 Verträgen und sagte: „Das wäre der niedrigste Stand, den wir seit Gründung der Bundesrepublik jemals hatten.“ Noch im vergangenen Jahr seien mehr als 100 000 zusätzliche Verträge geschlossen worden. Der Ausbildungsmarkt sei aber schon vor der Krise angespannt gewesen. Die Zahl der ausbildenden Betriebe etwa liege bei nur noch unter 20 Prozent.

Der DIHK verweist in diesem Zusammenhang auf sinkenden Zahlen von Schulabsolventen und steigende Zahlen bei Studienanfängern sowie Anfängern im Gesundheits- und Erziehungsberufen. „Jetzt die besondere Corona-Situation zum Aufhänger für eine Diskussion über einen langjährigen Trend zu machen, ist nicht sinnvoll.“ Hauptursache sei die Demografie.

© dpa-infocom, dpa:200827-99-331146/3

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Erstellt:
27. August 2020, 14:56 Uhr

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