Polizei rüstet im Kampf gegen Krawallmacher kräftig auf

dpa/lsw Stuttgart. Die Stuttgarter Chaos-Nacht soll sich niemals wiederholen. Die Politik rätselt, welche Ursachen hinter der Gewalt stecken. Und inwieweit die Randale mit gescheiterter Integration zu tun hat.

Ein beschädigtes Schaufenster nach den schweren Ausschreitungen in Stuttgart. Foto: Silas Stein/dpa/Archivbild

Ein beschädigtes Schaufenster nach den schweren Ausschreitungen in Stuttgart. Foto: Silas Stein/dpa/Archivbild

Nach den Ausschreitungen in Stuttgart in der Nacht zum Sonntag will die Polizei an den kommenden Wochenenden mit mehreren Hundertschaften Präsenz zeigen und Stärke demonstrieren. Die Polizei wolle nachts mit einer guten dreistelligen Anzahl an Beamten unterwegs sein, berichtete der Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses, der Abgeordnete Karl Klein (CDU), am Mittwoch. Geplant seien mehrere Einsatzhundertschaften, Polizeireiter, Polizeihundeführer und Ermittlungsbeamte.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) berichtete den Parlamentariern am Mittwoch in einer nicht öffentlichen Sitzung von der Aufarbeitung der Krawallnacht. Die Ermittlungsgruppe ist inzwischen von 40 auf 75 Personen erweitert worden. Nach Angaben Kleins sind die zusätzlichen Beamten unter anderem nötig, um die Vielzahl an Fotos und Videos der Ausschreitungen auszuwerten. Die Menge des zu sichtenden Materials bewege sich inzwischen im Gigabyte-Bereich. Ziel sei es, weitere Tatverdächtige zu finden und festzunehmen.

In der Nacht zum vergangenen Sonntag waren Hunderte Menschen durch die Einkaufsstraße Stuttgarts gezogen, sie hatten Schaufenster zerstört und Geschäfte geplündert. Nach Angaben der Polizei waren 400 bis 500 Menschen an der Randale beteiligt. Darunter waren nach Angaben Strobls vom Dienstag aber nicht nur Gewalttäter, sondern auch Menschen, die anfeuerten, anstachelten und klatschten - und den Gewalttätern möglicherweise Schutz boten.

Die Zahl der Tatverdächtigen hat sich inzwischen um mindestens einen mutmaßlichen Randalierer erhöht. Nach Angaben der Polizei handelt es sich um einen 15-Jährigen, der an den Plünderungen beteiligt gewesen sein soll. Der deutsche Jugendliche sollte einem Haftrichter vorgeführt werden. Insgesamt sind bislang 26 Tatverdächtige festgenommen worden. Mehrere davon sitzen in Untersuchungshaft, einer wegen Verdachts auf versuchten Totschlag, mindestens 16 wurden inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt.

Auch im Plenum debattierten die Parlamentarier am Mittwoch die Hintergründe der Krawallnacht. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz betonte, die Gewalt habe keinen politischen Hintergrund. Er forderte kommunale Prävention und Jugendarbeit. Dem widersprach FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke: „So ganz aus dem Nichts scheint das nicht gekommen zu sein.“ Es sei eine Verharmlosung, wenn man im Zusammenhang mit den Tätern von Party- und Eventszene spreche. „Diese Subjekte sind kriminelle Schwerverbrecher.“ Rülke führte die Krawalle auch auf die Corona-Politik der Landesregierung zurück. Die Beschränkungen führten in gewissen Bevölkerungskreisen dazu, dass die Aggression steige.

Für den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Uli Sckerl, haben die Ausschreitungen auch mit Integrationsproblemen zu tun. Es gebe in Stuttgart mittlerweile eine heterogene Stadtgesellschaft, sagte Sckerl der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, warum die Gewalt ausgerechnet dort eskalierte. Und es gebe offensichtlich Konflikte, die vielleicht nicht von allen gesehen oder die bisher ignoriert worden seien. „Da spielt sicherlich auch Migration eine Rolle. Das wollen wir gar nicht verheimlichen.“

Etwa jeder zweite bislang Festgenommene aus der Krawallnacht hat einen deutschen Pass, darunter haben mehrere Personen einen Migrationshintergrund. Neun der Festgenommenen weisen nach aktuellem Kenntnisstand einen Flüchtlingsbezug auf. Sckerl sagte, es gehe aber nicht immer nur um Flüchtlinge. „Wir haben junge Leute in der dritten oder vierten Generation, die auch von der Gesellschaft nicht anerkannt werden und dann in Parallelwelten abtauchen“, sagte er. Das müsse man tabulos und kritisch aufarbeiten.

Die Mannheimer Bundestagsabgeordnete und migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gökay Akbulut, kritisierte Sckerl für die Äußerungen. „Mehr als die Hälfte der Beteiligten hatten einen deutschen Pass und auch die Polizei sprach von einer heterogenen Gruppe“, teilte sie mit. „Angesichts eines Migrationsanteils von 45 Prozent in der Stuttgarter Bevölkerung ist das auch wenig verwunderlich.“ Akbulut spricht hingegen von Prekarisierung, Perspektivlosigkeit und fehlender sozialer Sicherheit als Ursachen.

Die Präsidentin des DRK-Landesverbands Baden-Württemberg beklagte am Mittwoch massive Behinderungen und Übergriffe gegenüber Einsatzkräften des Rettungsdienstes. Angriffe wie am vergangenen Wochenende in Stuttgart offenbarten eine neue Qualität, teilte Barbara Bosch mit: „Es kann doch nicht sein, dass wir nur unter Polizeischutz helfen können.“

Mit emotionalen Worten bedankte sich indes die Stuttgarter Polizei für den Zuspruch nach dem Einsatz in der Randale-Nacht. Sie warb zudem um Verständnis: Beamte in Uniform seien zwar die Vertreter des Staates. „Wir sind aber ebenso selbstverständlich auch Menschen mit Herz und Verstand, wir haben Familie und wollen am Abend, wie jeder andere in unserer Gesellschaft, wieder heil zu Hause ankommen“, heißt es in einer Stellungnahme der Polizisten.

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Erstellt:
24. Juni 2020, 10:12 Uhr

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