Künstliche Intelligenz

Südwesten soll KI-Vorreiter werden

Wirtschaft und Politik mahnen zu mehr Vorwärtsdrang bei der Verbreitung von KI. Das Land müsse seine Möglichkeiten ausnutzen, heißt es bei einer Diskussion von Flip und L-Bank.

Sind sich weitgehend einig über die großen Chancen von KI: Tim Wenniges (UBW), Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs, Codefy-Gründer Tianyu Yuan und Ex-Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz (von links).

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Sind sich weitgehend einig über die großen Chancen von KI: Tim Wenniges (UBW), Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs, Codefy-Gründer Tianyu Yuan und Ex-Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz (von links).

Von Matthias Schiermeyer

Künstliche Intelligenz müsse behandelt werden wie Elektrizität – „das erreicht alle Lebensbereiche in einer rasanten Geschwindigkeit und wird unser aller Leben leichter machen“, sagt Martina Merz, die frühere Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp. Und die Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut stellt fest: „Alleine der deutsche Markt für generative KI wächst jährlich um 20 Prozent.“ Wie die Unternehmen im Südwesten den Boom für sich nutzen können, darüber haben beide Teilnehmerinnen eines hochkarätig besetzten Podiums auf Einladung des Softwareentwicklers Flip und der L-Bank in Stuttgart diskutiert.

Nur jedes fünfte Unternehmen nutzt KI – „zu wenig“

Zwei Drittel (67 Prozent) der Bundesbürger ab 16 Jahren nutzen zumindest hin und wieder generative KI wie ChatGPT, wurde in einer aktuellen Bitkom-Umfrage ermittelt. „Allerdings beschäftigt sich erst etwa jedes fünfte Unternehmen intensiv mit künstlicher Intelligenz“, sagt die Ministerin. „Das ist einfach zu wenig.“ Die Differenz zeige, dass es keine einfache Aufgabe sei, Strukturen zu schaffen, die den digitalen Aufbruch garantieren. Baden-Württemberg sollte aber der Pionier sein und ein „international anerkanntes Gütesiegel für menschenzentrierte KI mit europäischen Werten gestalten“.

Das Land habe „alle Trümpfe in der Hand“, um ein international führender Standort für innovative KI-basierte Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zu werden. Dafür müsse man künftig „all in“ gehen: „Wenn wir da nicht volle Kraft voraus streben, haben wir keine Perspektive mehr.“

Befragt vom Moderator Joachim Dorfs, dem Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, zeigt sich auch Martina Merz nicht zufrieden: Baden-Württemberg sei ein guter Forschungsstandort – nun müsse das Land „aus diesem Zeitvorteil Aktion ableiten, nämlich Rahmenbedingungen früher gestalten“. Die Aufsichtsrätin wichtiger Unternehmen wie der Robert Bosch GmbH mahnt zudem eine besser koordinierte Industriepolitik an. Dafür brauche es Unterstützung aller Institutionen und Organisationen für die Politik.

Gleichwohl hat das Land mit seiner Förderung junger Gründer auf dem Feld neuer Technologien schon einiges zu bieten: „Wir sind sehr glücklich in Baden Württemberg“, sagt Tianyu Yuan, Chef des Heidelberger Digitaldienstleisters Codefy, der vor fünf Jahren mit dem Förderprogramm Start-up BW gestartet und heute vor allem im Verwaltungsbereich erfolgreich unterwegs ist. Das Land sei sehr forschungsstark, und der erste Anschub funktioniere sehr gut, sagt Yuan. Die nächste Frage sei jedoch: „Wie kriegt man die PS auf die Straße?“ Wie bekommt man Unternehmen, die sich fürs Erste etabliert haben, „auf das nächste Level geschoben“ – ohne dass sie sich an Investoren in den USA wenden, die dann „mit amerikanischem Interesse die Dinge beeinflussen“?

KI-Greifarm für Datensätze mit zigtausenden Seiten

Codefy hat knapp 50 Beschäftigte und unterstützt Justizbehörden bei der Dokumentenanalyse – beim „intelligenten Lesen“, wie der gebürtige Stuttgarter Yuan sagt. Er vergleicht die KI mit einem Greifarm, mit dem ein Richter beispielsweise für ihn relevante Themen aus einem sehr komplexen Datensatz von zigtausend Seiten zieht, um mit relativ geringem Aufwand eine fundierte Entscheidung zu fällen. Ferner unterstützt Codefy die Kriminalpolizei bei der Ermittlung in komplexen Fällen. „Das erspart ihr Arbeitszeit zwischen 20 und 50 Prozent.“

Der Gastgeber des „Netzwerkabends“, der Digitaldienstleister Flip, bietet eine KI-basierte Mitarbeiter-Plattform für operativ Beschäftigte, um Mitarbeitende ohne festen PC-Arbeitsplatz digital mit ihren Organisationen zu verbinden. Schichtpläne, Wissenstransfers, Feedbackerfassung oder Onboarding-Programme werden für die Bedürfnisse der Belegschaft konzipiert und automatisiert, um Zeit und Kosten zu sparen. Dank eines Kundenstamms von gut 500 Unternehmen wie Porsche, Mahle und Bosch ist Flip eng mit der Industrie vernetzt. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart beschäftigt europaweit gut 160 Mitarbeitende.

Tim Wenniges, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), verweist auch auf die andere Seite der Medaille: Zwar erzähle er mit Blick auf die KI „voller Überzeugung“ eine nachweisbar positive Geschichte. Doch „diejenigen, die daran glauben und KI nutzen, sind davon überzeugt, dass man sie in ihrer Funktion weiter benötigen wird“. Zugleich werde es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben, die die neue Technologie als „Webstuhl des 21. Jahrhunderts“ fürchten und sich fragen: „Was passiert mit meinem Job?“ KI erreiche „Bereiche im Unternehmen, die nie damit gerechnet haben“, sagt Wenniges und nennt die Programmierer, deren Aufgaben teils schon von Künstlicher Intelligenz übernommen werden.

Großes Interesse bei den Mittelständlern

Die Frage, wer unter Veränderungsdruck gerät, „muss man sehr ernst nehmen“ und diese Leute sehr frühzeitig einbinden. Sein Verband bringe in kleinen Formaten KI-Startups mit mittelständischen Unternehmen zusammen. Dort gebe es ein enormes Interesse der Geschäftsführer, von anderen Unternehmen zu lernen, was bei denen mit KI (nicht) funktioniert und wie sie ihre Mitarbeiter mitnehmen können.

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Erstellt:
15. Mai 2025, 15:24 Uhr

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