Südweststädte: Nur wenige haben sich als divers umgemeldet

dpa/lsw Stuttgart. Seit Januar 2019 können Menschen in Deutschland das dritte Geschlecht eintragen lassen. Wenige haben das bislang in den größten Städten des Südwestens beansprucht. Ein Bundesverband versucht zu erklären, warum der große Ansturm ausblieb.

Blick auf ein Plakat mit der Aufschrift „Dritte Option“. Foto: Jan Woitas/zb/dpa/Archiv/Illustration

Blick auf ein Plakat mit der Aufschrift „Dritte Option“. Foto: Jan Woitas/zb/dpa/Archiv/Illustration

Nur wenige Menschen in den fünf einwohnerreichsten Städten Baden-Württembergs haben bisher das dritte Geschlecht eintragen lassen. In Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim und Freiburg hat jeweils ein Mensch das vorherige zum dritten Geschlecht geändert. In Heidelberg sind zwei Menschen als divers gemeldet. Seit Januar 2019 können intersexuelle Menschen neben männlich und weiblich im Geburtenregister auch die Option divers nutzen.

Mit dem politischen Ja für das dritte Geschlecht im Januar 2019 hatte der Bundestag eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Die davor übliche Einordnung in männlich oder weiblich wurde als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot gesehen.

Asta Dittes ist Sprecherin bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). „Die Zahlen sind in den Medien oft zu gering angesetzt“, sagt sie. Dittes schätzt die Zahl der Intersexuellen in Deutschland auf 100 000 bis 200 000 Menschen.

Sie erklärt die wenigen Divers-Einträge auch mit vielen Unklarheiten, die im Alltag auftreten. Etwa machten manche Versicherungen Probleme und zahlten Leistungen nicht - oder wichtige Formulare seien nicht mit der dritten Option ausgestattet. Bei der Stadt müssen Menschen für die diverse Option Meldebescheinigung, einen Ausweis und die Bestätigung eines Arztes einreichen.

Nach Ansicht des Verbands gibt es Situationen im Alltag, in denen das dritte Geschlecht teils negativ angesehen wird. „Viele nehmen deshalb den Personenstand Frau oder Mann an, auch wenn es nicht dem eigenen Empfinden entspricht“, sagt Dittes.

Auch Menschen mit Transidentitäten können bei den Städten ihr Geschlecht ändern lassen, etwa von Frau zum Mann oder umgekehrt. Seit Januar 2019 wurden in Karlsruhe 11 Geburtenregister geändert. Hier könne man aber nicht genau sagen, ob die Menschen in Karlsruhe leben, weil die Gerichtsentscheidungen aus ganz Deutschland einträfen, hieß es von der Stadt. In den anderen Städten sieht das ähnlich aus: Freiburg erfasste zwischen Januar 2019 und Ende August dieses Jahres 19 Menschen, die von einem zum anderen Geschlecht gewechselt sind. Die Stadt Mannheim hat nach Angaben eines Sprechers im laufenden Jahr bislang neun Gerichtsentscheidungen berücksichtigt. In Stuttgart gab es seit Anfang des vergangenen Jahres 27 solcher Änderungen.

Transidente und Transsexuelle fühlen sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig. Der Begriff transsexuell kommt aus einem medizinischen Kontext. Heutzutage bevorzugen viele Betroffene den Begriff der Transidentität. Und die müssen laut dgti bei den Städten einen noch höheren Aufwand als bei der Divers-Option in Kauf nehmen: Sie benötigen zwei medizinische Gutachten und müssen ihren Änderungswunsch vom Amtsgericht beglaubigen lassen. Die Standesämter stützen sich dann auf die Gerichtsentscheidungen.

Laut dgti ist vor allem der sogenannte Alltagstest belastend - Betroffene müssten dabei ein Jahr in der Rolle des angestrebten Personenstands leben, ohne mit passenden Dokumenten wie Ausweis, Bankkarte und Versichertenkarte ausgestattet zu sein. Und auch der finanzielle Aspekt komme erschwerend hinzu: „Man muss die Gutachten selbst bezahlen“, sagt Dittes.

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Erstellt:
13. September 2020, 09:40 Uhr

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