Sündenböcke

Bei der Migration versagen nicht die Behörden, sondern die Politik

Auch das gehört zu den bitteren Folgen von Merkels Flüchtlingspolitik: Das Verhältnis zwischen Politik und Sicherheitsbehörden ist schwer belastet. Die monatelange Grenzöffnung im Jahr 2015 können nur wenige Beamte nachvollziehen. Und noch weniger Verständnis haben sie dafür, dass am Ende immer die Behörden schuld sind, wenn etwas schiefläuft.

Am Donnerstag wurde eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Angeblich gibt es zahlreiche unbearbeitete Hinweise auf Kriegsverbrecher. Dies zu skandalisieren ist wohlfeil. Was hätten denn die völlig überforderten Flüchtlings- und Sicherheitsbehörden tun sollen? Die meisten dieser Hinweise bezogen sich auf Vorfälle in den jeweiligen Herkunftsländern. So etwas lässt sich so gut wie nicht verifizieren. Das Ausermitteln von Kriegsverbrechen zählt ohnehin schon zu den aufwendigsten und mühsamsten Jobs.

Unbearbeitete Hinweise – dürften die Beamten offen reden, könnten sie da auch einige Beispiele nennen. Ihre Warnungen bezüglich einer Grenzöffnung wurden allesamt ignoriert. Und jetzt, wo die Folgen zu spüren sind, macht sich die Politik einen schlanken Fuß. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat einen Bericht zu den Vorwürfen angefordert. Warum gibt er nicht zu, was er selbst noch vor Kurzem festgestellt hat: Der Staat hat in der Flüchtlingspolitik zeitweise die Kontrolle verloren. Nein, in Sachen Mi­gration haben nicht die Behörden versagt, sondern die Politik. Und nichts deutet darauf hin, dass die Politik daraus etwas gelernt hat. Die so dringend nötige einheitliche EU-Linie ist nicht in Sicht. Vor der Europawahl wird es vermutlich nur noch zur Gründung einer neuen Behörde reichen, der EU-Asylagentur. Wozu? Damit die Politik, wenn wieder etwas schiefläuft, einen Sündenbock mehr hat?

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de

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Erstellt:
8. März 2019, 03:04 Uhr

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