Diskussion um Sterbehilfe
„Suizide sind ansteckend“
Aktive Sterbehilfe ist verboten, der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen hingegen rechtens. Doch auch bei dieser Regelung gibt es noch einiges zu klären.
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Lars Castellucci (SPD) bei einer Rede im Bundestag
Von Norbert Wallet
Der Tod der Kessler-Zwillinge Alice und Ellen hat jüngst Betroffenheit ausgelöst. Das liegt nicht nur an der Popularität der Künstlerinnen. Es ist vielmehr die Art des Todes, die für Diskussionen gesorgt hat. Die Schwestern hatten sich im Alter von 89 Jahren zu einem assistierten Suizid entschlossen. Sie wandten sich an die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS).
Zunächst klärt ein Jurist, ob Sterbewillige tatsächlich ohne Druck entscheiden. Ein Arzt legt einen Zugang, über den die Sterbewilligen sich selbst ein hoch dosiertes Narkosemittel spritzen. Die Zwillinge hatten der Gesellschaft ausdrücklich erlaubt, über die Umstände ihres Todes zu sprechen. Sie wollten offenbar eine Diskussion über den assistierten Suizid. Die kam in Gang.
Regeln und Grenzen
Muss es verbindliche Regeln und Grenzen geben, wenn es um das selbst gewählte Sterben geht? Und wenn ja, welche? Darum geht es. Die Rechtslage in Deutschland ist eigentlich klar. Aktive Sterbehilfe ist verboten. Niemand darf einen Menschen töten, auch nicht auf dessen ausdrückliches Verlangen hin. Lebenserhaltende Maßnahme können jedoch auf Wunsch des Patienten hin abgebrochen werden. Und auch die assistierte Selbsttötung ist straffrei, wenn der Sterbende voll entscheidungsfähig ist.
Warum also gibt es dennoch anhaltende Debatten? Eigentlich sollte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 2020 Rechtsfrieden bringen. Es bekräftigte nicht nur das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, sondern auch den Rückgriff auf die freiwillige Hilfe Dritter. Das, sagten die Richter, gelte nicht nur für unheilbar Kranke, sondern für jeden Menschen. „Die Entscheidung, sich das eigene Leben zu nehmen, kann auch die Inanspruchnahme fremder Hilfe einschließen. Der Staat darf diese Hilfe nicht unter Strafe stellen, wenn sie auf einer frei verantwortlichen Entscheidung des Suizidenten beruht“, heißt es in der Begründung. Das geltende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe wurde für nichtig erklärt. Wobei „geschäftsmäßig“ nichts mit Geld zu tun hat, sondern darauf abzielt, dass das Angebot „auf Wiederholung angelegt“ ist.
Das Urteil ist hoch umstritten. „Suizide sind ansteckend. In organisierter, jederzeit verfügbarer Form entsolidarisieren sie die Gesellschaft“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nicht nur die Kirchen befürchteten, dass ein gesellschaftlicher Druck etwa auf chronisch Kranke entstehen könnte, ihren Angehörigen nicht länger „zur Last zu fallen“. Aus der Luft gegriffen ist das nicht. Die Zahlen assistierten Suizids steigen seit dem Urteil stetig. Allein die DGHS verzeichnete eine Zunahme von 229 Fällen in 2022 auf 623 in 2024.
Ein Problem blieb nach dem Urteil der Zugang Sterbewilliger zu lebensbeendenden Medikamenten. Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte Anfang 2020 dafür gesorgt, dass das zuständige Bundesamt systematisch Anträge auf Freigabe des Mittels Natrium-Pentobarbital für Suizidzwecke blockierte. An der Praxis hat sich bis heute im Prinzip nichts geändert.
Es gibt also noch einiges zu klären. In der vergangenen Wahlperiode hatte es zwei Gruppenanträge gegeben, die aber beide im Bundestag keine Mehrheit fanden. Der eine, maßgeblich vom SPD-Politiker Lars Castellucci formuliert, setzte auf Sanktionen und wollte die Hilfe zur Selbsttötung wieder stark einschränken. Der wesentlich liberalere Entwurf konzentrierte sich darauf, den Betroffenen einen sicheren Zugang zu bestimmten Betäubungsmitteln zu eröffnen.
Vier Leitplanken
Castellucci bestätigte, dass er sich derzeit um einen neuen Anlauf bemüht. Der grüne Rechtspolitiker Helge Limbach nennt vier Leitplanken, die ein Gesetz aus seiner Sicht berücksichtigen müsse: Der assistierte Suizid müsse grundsätzlich möglich bleiben. Der Zugang zu Medikamenten, die den Suizid ermöglichen, müsse klar geregelt sein. Beratungspflichten müssten festgelegt werden. Beratung dürfe „nie nur technisch sein“, sondern müsse ausdrücklich auf Alternativen zum Suizid hinweisen. Wichtig sei zudem, dass kein Arzt verpflichtet werden darf, Medikamente zu verschreiben, von denen er weiß, dass sie zu einem Suizid verwendet werden sollen.
Aber es gibt weiterhin die Vertreter einer sehr zurückhaltenden Linie. Dazu gehört Susanne Hierl, die rechtspolitische Sprecherin der Union. Sie sagte dieser Zeitung: „Wir schulden allen, die sich in einer solchen extremen Ausnahmesituation befinden, einen Schutz vor Beeinflussung, vor übereilten Entscheidungen und vor einer schleichenden Normalisierung.“ Gleichzeitig müsse verhindert werden, „dass besonders verletzliche Menschen unter Druck geraten.“
Hilfe bei Suizidgedanken
Hilfetelefon Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie mit Freunden und Familie darüber. Hilfe und Beratung bietet auch die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar – unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 oder per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de. Bundesweite Hilfestellen listet zudem die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention.
