Täter wird gleichzeitig Opfer von Anlagebetrügern

Backnanger fällt auf Kryptobörse herein. Weil der 66-Jährige den Anbietern sein Konto zur Verfügung stellt, wird er wegen Geldwäsche verurteilt.

Ein Augenarzt im Ruhestand und eine 72-Jährige sind um hohe Geldbeträge gebracht worden, auch weil der Angeklagte den Betrügern sein Konto zur Verfügung gestellt hatte. Symbolfoto: BilderBox/Erwin Wodicka

© BilderBox - Erwin Wodicka

Ein Augenarzt im Ruhestand und eine 72-Jährige sind um hohe Geldbeträge gebracht worden, auch weil der Angeklagte den Betrügern sein Konto zur Verfügung gestellt hatte. Symbolfoto: BilderBox/Erwin Wodicka

Von Florian Muhl

Backnang. Am Ende der zweistündigen Verhandlung fällt es Marco Siever schwer, wie der Amtsrichter selbst eingesteht, ein Urteil zu fällen. „Das ist ein Verfahren, bei dem man nicht klar sagen kann, da ist das Opfer, da ist der Täter.“ Siever kommt zum Schluss und wendet sich dabei zum Angeklagten: „Sie sind in gewisser Hinsicht beides.“ Letztlich spricht er den 66-Jährigen der Geldwäsche schuldig. Er verurteilt den Backnanger zu 4800 Euro Geldstrafe (120 Tagessätze zu jeweils 40 Euro). Zusätzlich wird der entstandene Schaden in Höhe von knapp 30000 Euro eingezogen und der Verurteilte muss die Gerichtskosten tragen.

„Ich weiß, das ist ein Haufen Geld“, sagt Siever zu dem Mann, der selbst um über 80000 Euro gebracht wurde. Allerdings habe er es den Betrügern ermöglicht, zwei anderen Personen jeweils vier- bis fünfstellige Geldbeträge abzuknöpfen, indem er einer Kryptobörse sein Konto zur Verfügung gestellt hatte und so betrügerische Transaktionen abgewickelt werden konnten.

Bei den Kryptogeschäften geht es um hohe Summen

Dass es bei den Kryptogeschäften um immense Summen geht, die man verlieren kann, hat der Verurteilte am eigenen Leib erlebt, so der Richter in seiner Urteilsbegründung. „Sie haben zu spät die Reißleine gezogen.“ So seien auch noch ein Augenarzt im Ruhestand aus Berlin und eine 72-jährige Frau um hohe Geldbeträge gebracht worden. Deshalb wäre auch eine Freiheitsstrafe angebracht gewesen, meint Siever.

Andererseits ist der Richter, wie er sagt, überzeugt davon, dass der Mann auf der Anklagebank, der bislang auch nicht vorbestraft ist, an den eigentlichen Betrugstaten überhaupt gar nicht beteiligt war. „Sie waren einfach nur eingebunden als kleines Rädchen in der ganzen Betrugsmaschinerie, um diese Gelder, die da von anderen Leuten betrügerisch erlangt worden sind, in der Gegend zu verteilen.“ Strafbar hatte sich der Mechanikermeister dadurch gemacht, dass er den Betrügern sein Konto zur Verfügung gestellt hatte. „Ohne ihr Zutun hätte das Ganze nicht funktioniert“, so Siever.

Zudem hätte es dem Backnanger, der bereits im Ruhestand ist, spanisch vorkommen müssen, wenn erhebliche Geldbeträge von Leuten auf seinem Konto landen, die er gar nicht kennt. „Da muss man sich doch die Frage stellen: Warum sollte jemand mir diese Summe zur Verfügung stellen?“ Letztlich hat der Richter seine Strafe etwa in der Mitte von dem verortet, was die Staatsanwältin forderte, nämlich 150 Tagessätze à 50 Euro, und der Vorstellung des Verteidigers (Freispruch beziehungsweise 90 Tagessätze à 40 Euro).

Gauner verschaffen sich Zugriff über eine Fernwartungssoftware auf Rechner

Um etwas Geld anzulegen, hatte sich der Backnanger vor einigen Jahren gutgläubig an eine Kryptobörse gewandt. So wie der Arzt aus Berlin und die 72-jährige Frau auch. „Die Masche ist immer dieselbe“, sagt ein Polizeibeamter von der Kriminaldirektion Waiblingen als Zeuge. „Die Geschädigten suchen beim Anlagebetrug, speziell im Kryptobereich, am Anfang im Internet nach gewissen Anlageformen. Dann stoßen sie über Facebook oder andere Seiten auf Angebote, wo sie anschließend auf eine Homepage gelangen , die relativ gut einer echten Kryptobörse nachgebaut ist.“

Dort würden sie ihre persönlichen Daten hinterlegen und anschließend würden sich die angeblichen Anbieter der Kryptowährung telefonisch melden, welche die Anleger freundlich, aber bestimmt dazu auffordern, ein Konto zu eröffnen. Am Anfang sollten eigene Gelder eingezahlt werden.

Und dann komme der Knackpunkt: Die Anleger seien meist unerfahren. Deswegen seien sie dankbar für die Unterstützung, die ihnen von den vermeintlichen Beratern angeboten wird. „Die verschaffen sich dann Zugriff über eine Fernwartungssoftware wie Anydesk auf die Rechner der Geschädigten“, so der Beamte. So könnten die Betrüger dann Überweisungen oder Bitcoin-Käufe aus der Ferne steuern.

Dass das genauso auch bei ihnen abgelaufen ist, bestätigten nicht nur der Angeklagte und die 72-jährige Geschädigte, sondern auch der Arzt. Der Senior sei gern aus Berlin angereist, um bei der Aufklärung mitzuwirken. „Ich habe gar nicht gewusst, in was in da hineintrete“, sagt er. Einen Teil seiner Gesundheit habe ihn das gekostet. Selbstkritisch merkt der Augenarzt an: „Ich bin selbst schuld. Dass ich bei so einer Situation nicht eher misstrauisch geworden bin, werde ich mir nie verzeihen.“ Er hätte auf einen Freund hören sollen, der ihm geraten habe: „Fass keine Sachen an, von denen Du keine Ahnung hast. Guck Deine Augen an.“

Zum Artikel

Erstellt:
25. Oktober 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Stadt & Kreis

Gesellinnen und Gesellen im Rems-Murr-Kreis werden ausgezeichnet

In dieser Woche hat die Lossprechungsfeier der Kreishandwerkerschaft Rems-Murr stattgefunden. In der Barbara-Künkelin-Halle in Schorndorf sind bei dieser Gelegenheit auch die Auszeichnungen an die besten Junghandwerkerinnen und Junghandwerker verliehen worden.

Stadt & Kreis

Das Bildhafte der Kinderkreuzwege spricht Kinder im Herzen an

Viele Kirchengemeinden im Raum Backnang organisieren Kinderkreuzwege und versuchen so, die Leidensgeschichte Jesu auf kindgerechte Art und Weise zu vermitteln. Der Schwerpunkt der Verkündigung liegt dabei nicht auf der grausamen Passion, sondern auf der frohen Osterbotschaft.

Maria Török ist eine von über 100 Pflegekräften im Staigacker. Sie kümmert sich liebevoll und gern um die Bewohner. Foto: Alexander Becher
Top

Stadt & Kreis

Personalnotstand setzt Pflegeheimen im Raum Backnang zu

Weil offene Stellen nur schwer besetzt werden können oder Pflegekräfte krankheitsbedingt ausfallen, kommt es in Pflegeeinrichtungen immer wieder zu Personalengpässen. Trotzdem muss die Versorgung weiterlaufen. Heime greifen deshalb auf Zeitarbeitsfirmen oder Springer zurück.