„Historischer Tag“ - Afghanische Friedensgespräche beginnen

dpa Doha. Der Afghanistankonflikt gilt als tödlichster weltweit. Jahrelang lehnten die aufständischen Taliban Verhandlungen mit der vom Westen unterstützten Regierung ab. Nun wird erstmals über Frieden verhandelt. Die Atmosphäre am ersten Tag ist positiv.

Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad (l) und Mullah Abdul Ghani Baradar, Vertreter der Taliban, haben ein Abkommen über Wege zu einem Frieden zwischen den USA und der militant-islamistischen Taliban unterzeichnet. Foto: Hussein Sayed/AP/dpa

Der US-Sondergesandte Zalmay Khalilzad (l) und Mullah Abdul Ghani Baradar, Vertreter der Taliban, haben ein Abkommen über Wege zu einem Frieden zwischen den USA und der militant-islamistischen Taliban unterzeichnet. Foto: Hussein Sayed/AP/dpa

Fast zwei Jahrzehnte nach der US-geführten Militärinvasion Afghanistans haben in Katar innerafghanische Friedensgespräche begonnen. Delegationen der Taliban und der Regierung Afghanistans kamen am Samstag in Doha zum Beginn der lange geplanten Friedensverhandlungen zusammen.

Delegationen beider Seiten trafen sich nach dem Auftakt bereits in großer Runde, wie die Deutsche Presse-Agentur aus gut informierten Diplomatenkreisen erfuhr. Die Atmosphäre soll entspannt gewesen sein, es seien sogar Witze gemacht und gelacht worden. Dennoch war der Ernst während der öffentlichen Veranstaltung zu spüren, beide 21-köpfigen Teams hatten sich in den vergangenen Wochen akribisch vorbereitet.

Vertreter der Konfliktparteien sprachen beim Auftakt der Gespräche im Gastgeberland Katar von einem „historischen Tag“. Dieser werde als Ende der Gewalt in die Geschichte eingehen, sagte der Vorsitzende des afghanischen Hohen Rats für Versöhnung, Abdullah Abdullah. Doch ob es schnell zu einer Waffenruhe in den Verhandlungen kommt, wurde von Experten am Rande der Veranstaltung mit Skepsis gesehen. Immer noch herrsche viel Misstrauen zwischen den Taliban und der Regierung.

US-Außenminister Mike Pompeo forderte, den historischen Moment zu nutzen und den Friedensprozess zu schützen. „Wir hoffen, dass dieses Kapitel ein Kapitel der Versöhnung und des Fortschritts ist und nicht eine weitere Chronik der Tränen und des Blutvergießens“, sagte Pompeo in Doha. Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte, dass Frauenrechte und Minderheiten geschützt werden. Doch „nur das afghanische Volk kann über seine Zukunft entscheiden“, sagte Maas per Video.

Der Beginn der Gespräche ist mit großen Hoffnungen verbunden. Die Regierung hat einen Waffenstillstand als Forderung zur obersten Priorität gemacht, wie der Chef-Unterhändler der afghanischen Regierung, Masum Staneksai, in Doha sagte.

Auch die Taliban blicken gespannt auf das nächste Treffen, das bereits an diesem Sonntag in kleiner Runde stattfinden soll. „Wir sind hoffnungsvoll für die künftigen Verhandlungen und hoffen, dass beide Seiten zeigen, dass sie sich auf gemeinsame Werte einigen, um die Probleme Afghanistans zu lösen“, sagte ein Mitglied der Taliban-Delegation, Suhail Schahin, der Deutschen Presse-Agentur.

Das Golfemirat Katar als Gastgeber ist eines von fünf Ländern, die sich für die Friedensgespräche engagieren. Auch Deutschland, Norwegen, Usbekistan und Indonesien gehöre zu der Gruppe. Die Nationen unterstützen den Friedensprozess als Vermittler, wollen aber in die direkten Verhandlungen nicht eingreifen. Bereits im Juli 2019 wurde eine von Katar und Deutschland ausgerichtete Konferenz in Doha veranstaltet. Katar betonte, dass ihnen Neutralität wichtig sei.

Ein Abkommen der Taliban mit den USA von Ende Februar verpflichtete die Islamisten zur Aufnahme der Friedensverhandlungen mit Kabul. Die Vereinigten Staaten wollen ihre Soldaten abziehen; erst am Donnerstag kündigte US-Präsident Donald Trump einen weiteren Truppenabbau an. Trump wirbt im derzeitigen US-Wahlkampf damit, die „endlosen Kriege“ der USA in Übersee zu beenden. Dass die Gespräche nun beginnen, ist das wichtigste Zugeständnis, dass die Amerikaner den Taliban im Gegenzug für ihr Abzugsversprechen abringen konnten.

Von der Entwicklung hängt auch die Zukunft des Einsatzes der Bundeswehr und anderer ausländischer Truppen in Afghanistan ab. Die Bundeswehr ist seit 2002 am Hindukusch. Seit dem 1. Januar 2015 ist sie dort im Rahmen des Ausbildungseinsatzes Resolute Support. Der Bundestag hatte das Mandat zuletzt am 13. März 2020 bei einer Obergrenze von 1300 Soldaten verlängert. Die meisten deutschen Soldaten sind in Masar-i Scharif stationiert.

Bis zuletzt ging der Konflikt in Afghanistan brutal weiter. Ein Gefangenenaustausch, der vor den Gesprächen eigentlich Vertrauen aufbauen sollte, hatte für erhebliche Verzögerungen geführt. Die Taliban hatten seit dem Abkommen mit den USA zwar keine Nato-Soldaten mehr getötet, ihren Kampf gegen die afghanischen Sicherheitskräfte aber intensiv weitergeführt. Jahrelang hatten die Islamisten Gespräche mit Kabul abgelehnt und die Regierung als „Marionette des Westens“ bezeichnet.

© dpa-infocom, dpa:200912-99-530105/7

Abdullah Abdullah (l), Vorsitzender des Hohen Rats für Versöhnung, spricht mit den Medien am Internationalen Flughafen Kabul. Foto: Uncredited/Sapidar Palace/AP/dpa

Abdullah Abdullah (l), Vorsitzender des Hohen Rats für Versöhnung, spricht mit den Medien am Internationalen Flughafen Kabul. Foto: Uncredited/Sapidar Palace/AP/dpa

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Erstellt:
12. September 2020, 08:37 Uhr

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