Tausche Stift gegen Rebschere

Serie: Ein Jahr im Weinberg (1) BKZ-Redakteurin Silke Latzel lernt, worauf es beim Rebschnitt ankommt

Raus aus der Redaktion und rein in den Weinberg: So lautet in diesem Jahr die Devise von BKZ-Redakteurin Silke Latzel. Zumindest immer mal wieder für ein paar Stunden, denn sie betreut für eine Saison ihren eigenen kleinen Weinberg mit 175 Weinstöcken in Kleinaspach. Gleich zu Beginn tauscht sie den Stift gegen die Schere, denn im Januar steht der Rebschnitt an.

Günther Ferber steht BKZ-Redakteurin Silke Latzel mit Rat und Tat zur Seite, damit das Projekt „Ein Jahr im Weinberg“ auch ein voller Erfolg wird. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Günther Ferber steht BKZ-Redakteurin Silke Latzel mit Rat und Tat zur Seite, damit das Projekt „Ein Jahr im Weinberg“ auch ein voller Erfolg wird. Foto: T. Sellmaier

Von Silke Latzel

ASPACH. „Oh Hilfe, das werd ich nie verstehen“ ist mein erster Gedanke, als mir Günther Ferber, Vorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Aspach, erklärt, was beim Rebschnitt zu beachten ist. Denn was ein Profi auf den ersten Blick sieht, ist für einen Laien gar nicht so einfach zu erkennen.

Natürlich darf ich nicht wild drauflosschneiden und einfach alles kürzen, was mir unter die Schere kommt. „Kein Weinstock gleicht dem anderen, jeder ist ganz individuell und deshalb müssen wir uns auch anschauen, welche Ruten wir stehen lassen und welche wir abschneiden“, erklärt Ferber mir. Pro Stock lassen wir zwei Ruten stehen, die wir nur am oberen Ende etwas kürzen, manchmal auch eine dritte als sogenannten Zapfen: Sie wird fast ganz abgeschnitten und ist quasi eine Art Sicherung, falls eine der beiden großen Ruten es doch nicht über den Winter schafft. Das sieht für mich auf den ersten Blick nach sehr wenig aus und ich überlege, wie das zu den prächtigen Weinstöcken voller Laub passt, die ich im vergangenen Herbst in Kleinaspach gesehen habe. „Natürlich könnten wir auch mehr Ruten stehen lassen und damit mehr Ertrag bekommen, aber es geht uns um Qualität, nicht um Quantität“ so Ferber. Jede Rute hat etwa acht bis zehn „Augen“, dort wachsen später die Triebe. Und das macht pro Weinstock gleich zwischen 16 und 20 Triebe – genug, um viele Trauben wachsen zu lassen und den Stock trotzdem nicht zu überfordern. Denn je weniger Trauben er zu versorgen hat, desto mehr Kraft und Qualität kann er in die Früchte stecken. Außerdem brauchen die Ruten Platz, um sich ausbreiten zu können. Das heißt also in jeder Hinsicht: Weniger ist mehr.

Jetzt gilt es, herauszufinden, welche Ruten wir stehen lassen – grob gesagt soll eine Rute den Weinberg „hinauf“ wachsen, die andere in die entgegengesetzte Richtung, also „nach unten“. Auch müssen wir darauf achten, ob die Ruten, die wir stehen lassen möchten, nicht verletzt oder vertrocknet sind. Und: Die Ruten sollten so nah wie möglich aus dem oberen Ende des Rebstammes herauswachsen.

Meine Finger werden müde, das Schneiden kostet Kraft

Eigentlich logisch – und das alles hört sich auch erst einmal einfach an. Aber für ein ungeschultes Auge wie meines ist es wirklich nicht leicht, zu erkennen, was wir abschneiden und was wir stehen lassen. Vor allem mit Vollprofi Ferber neben mir, der ganz gespannt darauf ist, ob ich mein theoretisches Wissen jetzt in die Praxis umsetzen kann. „Und, welche beiden Ruten lassen wir stehen?“, fragt er mich. Ich fühle mich etwas ratlos, will aber nicht zugeben, dass für mich alle Ruten gerade ziemlich gleich aussehen, irgendwie nicht wirklich mit großen Unterschieden aus dem Stamm herauswachsen und ich mir nicht sicher bin, welche wir abschneiden und welche nicht. Also rate ich – und voilà, es ist richtig!

Und dann darf ich auch die Rebschere in die Hand nehmen und loslegen. Ich setze an und schneide so nah es geht am Stamm. Gar nicht so leicht, der Winkel stimmt nicht, ich komme schlecht mit der Schere an das Holz und muss es von der anderen Seite versuchen. „Die Schere so weit wie möglich öffnen, die Rute so tief wie es geht in die Schere nehmen und dann erst schneiden, so braucht man weniger Kraft“, rät Ferber mir.

Tatsächlich merke ich recht schnell, dass meine Hand die Arbeit mit der Rebschere nicht gewohnt ist – ist halt kein Stift, der locker in der Hand liegt, ich brauche wirklich Kraft – und manchmal beide Hände gleichzeitig –, um gut zu schneiden. Immer wieder muss ich die Schere loslassen und meine Finger bewegen, weil sie müde werden. Ich habe vergessen, mir Handschuhe einzupacken, immerhin arbeiten wir bei etwa drei Grad Celsius. Aber durch die Bewegung mit der Rebschere macht mir die Kälte gar nichts aus, meine Hände sind wunderbar warm. Handschuhe hätten mich vermutlich sowieso nur gestört, ich merke, dass ich den direkten Kontakt zum Rebstock brauche, um sicherzugehen, dass ich alles richtig mache und nicht aus Versehen mit der Schere abrutsche und ihn verletze.

Je länger wir arbeiten, desto sicherer werde ich im Erkennen der beiden Ruten, die wir stehen lassen. Ferber ist ganz begeistert und bescheinigt mir ein „natürliches Talent“. Juhu – ein Lob! Er geht sogar noch weiter: Wenn ich Lust habe, könne ich gleich weitermachen, er sei mit seinem Weinberg noch nicht ganz fertig, Arbeit gebe es genug. Wir lachen beide, die Stimmung ist locker und angenehm und nachdem der Knoten bei mir geplatzt ist, werde ich auch immer selbstbewusster. Ich genieße es, an der frischen Luft zu sein und denke an die Kollegen, die jetzt im Büro vor ihren Rechnern sitzen und fleißig tippen – die Armen.

Ab und an sind die Ruten zu dick, um sie abzuschneiden. Oder wir müssen dem Stock eine „Verjüngungskur“ verpassen und einen Teil des Rebstockkopfes entfernen, immerhin sind die Stöcke schon 20 Jahre alt. Für diese Fälle hat Ferber eine kleine Säge dabei, die er mir in die Hand drückt – wenn schon für ein Jahr im Weinberg, dann muss ich auch alles einmal gemacht haben. Und bei diesem einen Mal bleibt es dann auch. Ich verletze mich zwar zum Glück nicht, aber brauche eine gefühlte Ewigkeit, bis ich fertig gesägt habe. Und muss zwischendurch sogar kurz Pause machen – echt anstrengend, wenn man sonst nie sägt. Die nächsten Sägearbeiten übernimmt dann gnädigerweise Lehrer Ferber. Und braucht dafür nur ein paar Sekunden.

Beim nächsten Mal geht es mit dem Biegen weiter

Ferber hat mir zwei seiner eigenen Reihen zur Verfügung gestellt: eine Reihe Schwarzriesling und eine Reihe Bio-Regent. „Im Unterschied etwa zum Riesling oder Trollinger lassen diese Sorten sich gut schneiden, die Ruten ,krallen‘ sich nicht so sehr an den Draht, um den sie herumwachsen“, erklärt er. Und das ist im nächsten Schritt wichtig: Wir entfernen die gekappten Ruten von den gespannten Drähten, zerschneiden sie und werfen sie auf den Boden zwischen den Reihen. Sie werden gehäckselt und zu Humus verarbeitet, der erstens als Stickstoffquelle für den Boden dient und zweitens verhindert, dass starke Regenfälle die Erde unter den Weinstöcken wegspülen.

Als wir fertig sind mit dem Rebschnitt, dämmert es bereits leicht. Wir haben allerdings ein bisschen geschummelt und einige der gekappten Ruten an den Drähten hängen gelassen. Ferber will sie später mit seinen Söhnen entfernen, denn „für den ersten Tag im Weinberg war das heute genug, sonst haben Sie vielleicht keine Lust mehr, wiederzukommen“, sagt er lachend. Da braucht er sich allerdings keine Sorgen machen, denn ich freue mich schon auf unsere nächsten Arbeiten: Bald werden die Ruten gebogen, so nennt man das Befestigen des Fruchtholzes im Drahtrahmen. „Da dann am besten auch keine Handschuhe mitbringen, da braucht man viel Gefühl in der Hand.“ Ich bin jetzt schon gespannt.

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Erstellt:
9. Januar 2019, 06:00 Uhr

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