Taxifahrgast muss 900 Euro blechen

Gericht: Es gibt Ausnahmen der Beförderungspflicht – Mit 90 Tagessätzen à zehn Euro ist der verurteilte Lackierer nicht vorbestraft

Taxifahrgast muss 900 Euro blechen

© VRD - stock.adobe.com

Von Florian Muhl

BACKNANG. Ein 57-jähriger Maler und Lackierer aus Backnang ist gestern wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Beleidigung vom Amtsgericht Backnang zu 90 Tagessätzen à zehn Euro – also zur Zahlung von 900 Euro – verurteilt worden. Wie berichtet, hatte sich der Verurteilte bei der bestellten Fahrt nach Stuttgart geweigert, bereits in Backnang wieder aus dem Taxi auszusteigen. Dazu war er vom Taxifahrer aufgefordert worden, nachdem sein Gast nicht bereit war, Vorkasse zu leisten.

Der Verteidiger, der einen Freispruch für seinen Mandanten beantragt hatte, bezeichnete das Urteil dennoch als kleines Geschenk. Einerseits, weil ein Verurteilter bei einer Strafe ab 91 Tagessätzen als vorbestraft gilt; sein Mandant blieb gerade noch unter dieser Grenze. Zudem sei ein Tagessatz in Höhe von zehn Euro im Rahmen des Erträglichen. Zumal der Vater von drei Kindern Schulden habe. Wie viel, wurde während des dreitägigen Verfahrens nie deutlich. Gestern allerdings wurde nebenbei angemerkt, dass es wohl einige Hunderttausend Euro seien.

Gestern war noch ein Zeuge gehört worden: ein Polizeibeamter der zweiten Streife, die von der ersten Streifenwagenbesatzung als Unterstützung zum Ort des Geschehens, der Agip-Tankstelle in der Stuttgarter Straße in Backnang, hinzugerufen worden war. Der Beamte allerdings konnte mit keinen neuen Erkenntnissen aufwarten.

Nach der Anhörung aller Zeugen hatte sich folgendes Bild ergeben: An einer Kneipe in Backnang hatte der Taxifahrer seinen angetrunkenen Fahrgast aufgenommen. Zunächst wusste dieser nicht genau, wo er hin wolle, später sagte er, dass es nach Stuttgart gehen solle. Der Taxifahrer fuhr schließlich bis zur besagten Tankstelle und hielt. Der Chauffeur hegte Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Kunden. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Sein Gast war flüssig, er hatte 471 Euro in bar dabei.

Allerdings führte der Angetrunkene auch noch ein Messer mit sich. Kein auffälliges und keines mit einer überlangen Klinge, eines, das Maler und Lackierer bei ihrer Arbeit durchaus verwenden, so der 57-Jährige. Das Messer spielte während der Taxifahrt auch keine Rolle. Nur die Polizei fand es später beim Festgenommenen. Und das Mitführen eines solchen Messers ist strafbar. Aber das ahnte der Taxifahrer ja nicht. Er machte sich Sorgen, dass er am Ende kein Geld von seinem Fahrgast erhalten würde und verlangte deshalb Vorkasse. Ansonsten sollte der Angetrunkene doch bitte schön das Taxi verlassen. Jetzt stellte der Fahrgast auf stur. Standhaft weigerte er sich, aus dem Gefährt auszusteigen. Noch immer wollte er nach Stuttgart. Ohne Vorkasse zu leisten. Wie der Verteidiger im Verfahren sagte, komme mit dem Einsteigen in ein Taxi ein Beförderungsvertrag zustande. Den hätte der Taxifahrer erfüllen müssen.

Dann kam die Polizei. Erst eine Streife, dann zur Unterstützung eine zweite. Vier Beamte hatten reichlich damit zu tun, den widerwilligen Fahrgast aus dem Auto zu holen. Gezielte Schläge und Pfefferspray kamen zum Einsatz. Der Fahrgast trug etliche Blessuren davon. Um ihn zum Revier zu transportieren wurde ein weiteres Fahrzeug geordert, ein größeres, ein VW-Transporter.

„Wenn ein Mieter nicht zahlt, kann man ihn auch nicht herausprügeln“

Um zu sehen, was sich genau an der Tankstelle abgespielt hat, soll das Überwachungsvideo angefordert werden. Doch als die Polizei das Video abholen will, ist es zu spät. Nach drei Tagen sind die Daten gelöscht. Da hat die Polizei schlampig gearbeitet, ärgert sich der Verteidiger. Aber er lässt auch am Pächter der Tankstelle kein gutes Haar. Denn als der Verteidiger fordert, die Mitarbeiter zu verhören, die in jener Nacht Dienst hatten, wird ersichtlich, dass diese Personen nicht mehr benannt werden können.

Auch die Polizei kommt im Plädoyer des Verteidigers nicht gut weg. Er zieht Vergleiche heran: „Wenn ein Mieter keine Miete mehr zahlt, kann der Wohnungsbesitzer diesen auch nicht herausprügeln.“ Genauso nicht ein Kinobesitzer, wenn sich ein Gast im Saal danebenbenimmt. Da seien die gezielt vermittelten Schläge der Beamten völlig fehl am Platz gewesen. Erfahrene Polizisten hätten die Sache anders gelöst. Rein biologisch. Die hätten einfach gewartet. Irgendwann hätte der Fahrgast auch mal austreten müssen. Dann wäre er sicher freiwillig aus dem Taxi geklettert. Es hätte sich hier im Übrigen um eine zivilrechtliche Auseinandersetzung gehandelt, bei der die Polizei unzulässigerweise handgreiflich geworden ist. Kein Polizist sei verletzt worden, höchstens beleidigt. So forderte der Verteidiger Freispruch.

Die Vorsitzende Richterin sah das anders. Es gebe im Taxigewerbe auch Ausnahmen von der Beförderungspflicht. Beispielsweise wenn der Fahrer Sorge habe, dass der Fahrgast am Ende zahlen würde, wie im vorliegenden Fall. Zudem hätten die Polizeibeamten unter zeitlichem Druck gestanden und hätten handeln müssen. Sie hätten den Fahrgast oft genug gewarnt und alles unternommen, um keine Gewalt anwenden zu müssen.

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Erstellt:
9. August 2019, 06:00 Uhr

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