Tiefe Einblicke in die Seele Europas

Klaus Erlekamm beleuchtet in seinem Buch „Engagiert für Europa – Gedanken, Geschichte und Geschichten“ die Städtepartnerschaften Backnangs, die Arbeit der Europa-Union und der Heinrich-Schickhardt-Kulturstraße.

Die EU-Flagge steht für Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Klaus Erlekamm richtet seinen Blick auf all diejenigen, die sich dafür einsetzen. Symbolfoto: Adobe Stock/hydebrink

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Die EU-Flagge steht für Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Klaus Erlekamm richtet seinen Blick auf all diejenigen, die sich dafür einsetzen. Symbolfoto: Adobe Stock/hydebrink

Von Ingrid Knack

BACKNANG. „Macht Europa nicht kaputt! Europas Chance bleibt seine Einheit. Die europäische Einigung steht auf dem Spiel. (...) Die Flucht mancher europäischer Regierungen zurück in den nationalen Egoismus kann nur im Abgrund der Ratlosigkeit und im Chaos enden. Es gibt nur eine vernünftige Antwort auf die aktuellen Schwierigkeiten: Europas Stärkung durch seine Einheit!“ So lautet ein Appell der Europa-Union, der auf einem Handzettel zu lesen ist. Sätze, die nicht aus dem 21., sondern aus dem 20. Jahrhundert stammen. Der Zettel ist in dem Buch „Engagiert für Europa – Gedanken, Geschichte und Geschichten“ von Klaus Erlekamm abgedruckt. Der Autor erklärt dazu: „Im Vorfeld der Diskussion um die Direktwahl eines Europäischen Parlaments hakt es in Europa wieder gewaltig, was die Europa-Union Deutschland als überparteiliche Organisation 1976 zu einem flammenden Appell veranlasst.“

Und wie sieht es heute aus? Bei der geplanten Konferenz zur Zukunft Europas soll die Seele des Europaprojekts neu entdeckt werden. Dies sagte David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments, in seiner elften Europa-Rede der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Mercator-Stiftung und der Stiftung Zukunft Berlin am 9. November 2020. Bei der „Erneuerung des europäischen Projekts“ (Sassoli) kommt man auch jetzt an der Auseinandersetzung mit antieuropäischen Stimmungen innerhalb Europas nicht vorbei.

Klaus Erlekamm ist ein Europäer durch und durch. In seiner Zeit als Hauptamtsleiter und später Kulturamtsleiter der Stadt Backnang hat er sich an der Basis für den europäischen Gedanken eingesetzt und Europa dort mitgestaltet, wo es ihm möglich war: bei den Partnerschaften Backnangs mit dem französischen Annonay, dem ungarischen Bácsalmás und dem englischen Chelmsford. Von den jeweiligen Oberbürgermeistern sei er nach entsprechenden Beschlüssen des Gemeinderats quasi als „Außenminister“ auf die Reise geschickt worden, um diese Partnerschaften vorzubereiten und mit Leben zu erfüllen, führt er im Editorial aus. Dazu gehört zudem die Jubiläumspartnerschaft mit Berlin-Charlottenburg. Überdies macht sich Erlekamm in der Europa-Union Rems-Murr, bei der er bis heute als Vorstandsmitglied dabei ist, sowie seit 1998 bei dem deutsch-französischen Verein „Heinrich Schickhardt – Kulturstraße des Europarats“ für die Staatengemeinschaft stark. Bei dem Verein war er 15 Jahre Vorstandsmitglied.

Erlekamms Buch gibt tiefe Einblicke in die Seele Europas, die es zu bewahren gilt. Der Autor nimmt die Leser hinter die Kulissen mit. Er erzählt von Schritten und organisatorischen Maßnahmen, die dabei notwendig waren, spricht darüber, wie viel Kraft, diplomatisches Geschick und Gespür für das Machbare dies gekostet hat, und von Mitstreitern, die sich ebenfalls unermüdlich für die Aufbauarbeit der EU eingesetzt haben, die mit dem Vertrag von Maastricht 1992 gegründet worden war, deren Anfänge aber auf die 1950er-Jahre zurückgehen. „Nur gemeinsam war es möglich, dem europäischen Traum eines geeinten friedlichen Europa, von der lokalen Ebene aus betrachtet, näherzukommen. Europa benötigt aus aktuellem Anlass unsere volle Solidarität und Unterstützung. Der Jugend rufe ich mit dem Slogan der Europa-Union zu: Europa braucht Dich jetzt!“, so Erlekamm.

Aussöhnung hat viele Facetten.

Zu Beginn des Buches, das Erlekamm in einer „Kleinauflage für private Zwecke und für das Backnanger Stadtarchiv“ drucken ließ, erinnert er an die berühmte Ludwigsburger Rede des damaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle am 9. September 1962. „Ich fühlte mich damals als 24-Jähriger, der soeben die erfolgreiche Staatsprüfung für den württembergischen gehobenen Verwaltungsdienst in der Tasche hatte, durchaus auch persönlich von dieser Rede angesprochen.“ Neben in den Geschichtsbüchern nachlesbaren Aussöhnungsakten wie dem 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast unterzeichneten Élysée-Vertrag geht es Erlekamm aber nicht nur um die klassische Geschichtsschreibung, die diese „Männer machen Geschichte“-Sichtweise liebe. Erlekamm: „Doch sie trübt zugleich den Blick auf die anderen Helden, die unermüdlich an diesem deutsch-französischen Erfolgskapitel mitgeschrieben haben. Es sind die Heldinnen und Helden des Alltags, die über den Rhein hinweg Freundschaften (und nicht selten Ehen) schlossen: Schüler und Studenten, Lehrer und Professoren, Feuerwehrleute und Fußballspieler, Chorsänger und Künstler, Praktikanten und Lehrlinge, Handwerker und Kaufleute, Ratsvertreter und Bürgermeister.“

Erlekamm erzählt abenteuerliche Geschichten rund um die Vorbereitungen für die Verschwisterungsfeier mit Annonay 1967 in Backnang – von einem Budget ohne Deckelung bis hin zu einem geplatzten Reifen auf der Autobahn in partnerschaftlicher Mission. Die erste Partnerschaft Backnangs nimmt einen breiten Raum in dem Buch ein. Nicht nur wegen des Pioniergeists in den Anfangsjahren, sondern auch wegen der unzähligen Begegnungen über all die Jahre hinweg. 1997 wurde Backnang sogar mit der Europaplakette ausgezeichnet, die beim Festakt zum 30-jährigen Bestehen der Partnerschaft mit Annonay während des Straßenfests verliehen wurde. Vom 5. Oktober bis 1. November bedankten sich die Stadt, die Europa-Union, Schulen und Vereine mit Europäischen Wochen. Auch in den folgenden Jahren gab es in Backnang Europawochen. 1999 lag der Schwerpunkt auf Finnland. Mit der Provinz Oulu in Finnland hatte die Stadt Backnang eine wirtschaftliche Kooperationsvereinbarung geschlossen.

Hoch interessant sind auch die Hintergründe und Begebenheiten im Zusammenhang mit der Partnerschaft mit Bácsalmás. Ein Kapitel ist mit dem Satz überschrieben: „Wir feiern in Bácsalmás, über der Grenze fallen Bomben auf Serbien.“ Das war 1999. Und wer weiß heute noch, dass Chelmsford als dritte Partnerstadt Backnangs mit dem italienischen Sestri Levane konkurrierte?

Am Ende des Buches geht Erlekamm auf die aktuellen Herausforderungen in Europa ein, streift Themen wie Populismus, Nationalismus, Brexit und Coronapandemie. Und reiht sich ein in die Riege derer, die sich unbeirrt für die Stärkung Europas einsetzen.

Klaus Erlekamm

© © Edgar Layher

Klaus Erlekamm

Willy Stirm, Karl Euerle und Klaus Erlekamm (von links) mit einer Annonayer Hostess bei einem Besuch um das Jahr 1970 in Backnangs französischer Partnerstadt. Foto: privat

Willy Stirm, Karl Euerle und Klaus Erlekamm (von links) mit einer Annonayer Hostess bei einem Besuch um das Jahr 1970 in Backnangs französischer Partnerstadt. Foto: privat

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Erstellt:
19. Januar 2021, 16:00 Uhr

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