Holocaust-Überlebende gestorben
„Tiefe Menschlichkeit“ – Trauer nach Tod von Margot Friedländer
Wie kaum eine andere verkörperte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer die Stimme des Gewissens für die Gesellschaft. Nun starb sie im gesegneten Alter von 103 Jahren. Der Bundestag ehrt sie auf besondere Weise.

© dpa//Britta Pedersen
Noch mit über 100 Jahren sprach die Holocaust-Überlebende in Schulklassen.
Von red/KNA
Der Tod der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer (103) hat große Trauer ausgelöst. „Sie hat unserem Land Versöhnung geschenkt - trotz allem, was die Deutschen ihr als jungem Menschen angetan hatten. Für dieses Geschenk können wir nicht dankbar genug sein“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag. Am selben Tag wollte er ihr eigentlich das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik verleihen. Der Termin war schon im Vorfeld abgesagt worden – auf Bitten von Friedländer, wie es hieß.
„Margot Friedländers Vermächtnis ist uns Mahnung und Verpflichtung, gerade in einer Zeit, in der die Demokratie angefochten wird und sich Antisemitismus wieder unverhohlen zeigt, bleibt es unsere Verantwortung, die jüdische Gemeinschaft in unserem Land nie wieder im Stich zu lassen“, betonte das Staatsoberhaupt. Nie habe Friedländer angeklagt. Sie habe jeden, der ihr begegnete, mit ihrer Wärme, ihrer Zugewandtheit, ihrer ungeheuren Kraft beeindruckt. Ihre tiefe Menschlichkeit habe ihn im Innersten berührt.
„Gesellschaft ohne sie kaum vorstellbar“
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, würdigte Friedländer als mutige und starke Frau. „Eine Gesellschaft ohne sie ist für mich kaum vorstellbar.“ Friedländer habe das Menschsein zu ihrem zentralen Anliegen gemacht.
„Sie war nicht nur eine mahnende Stimme unserer Zeit, sondern besaß auch die Gabe, stets das Beste in ihrem Gegenüber zu sehen“, betonte Schuster. „Margot Friedländers Tod zeigt uns die Vergänglichkeit der Erinnerung; er verweist auf die große Verantwortung, die wir gegenüber dieser mutigen und starken Frau und ihrer ganzen Generation haben.“ Die Überlebende habe den Glauben an eine gerechte, friedliche Welt niemals aufgegeben. „Ehren wir sie, indem wir diesen Glauben weitertragen.“
Margot Friedländer war eine der stärksten Stimmen unserer Zeit: für ein friedliches Miteinander, gegen Antisemitismus und Vergessen. Sie hat uns ihre Geschichte anvertraut. Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, sie weiterzutragen. Wir trauern mit ihrer Familie und Freunden. pic.twitter.com/tVLA1M55rh — Bundeskanzler Friedrich Merz (@bundeskanzler) May 9, 2025
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bezeichnete Friedländer auf der Plattform X als eine „der stärksten Stimmen unserer Zeit“. Sie sei für ein friedliches Miteinander, gegen Antisemitismus und Vergessen eingetreten.
Kondolenzbuch im Bundestag
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner betonte, Friedländer habe ihre Erinnerungen als einen Auftrag für die Zukunft verstanden: „‚Seid Menschen!’ – mit dieser schlichten aber eindringlichen Botschaft verdichtete sich ihre Lebensweisheit, gewonnen im Angesicht von Unmenschlichkeit.“ Am Donnerstag habe sie leider nicht mehr an der Gedenkfeier zum Kriegsende vor 80 Jahren im Bundestag teilnehmen können.
Vor dem Hintergrund ihrer außergewöhnlichen Lebensleistung habe sie, Klöckner, sich entschieden, zu Beginn der kommenden Sitzungswoche im Bundestag für die Abgeordneten ein Kondolenzbuch auslegen zu lassen. „Diese Entscheidung, die einer Persönlichkeit gilt, die dem Parlament nicht angehörte, habe ich als besondere Ausnahme getroffen.“ Damit wolle der Bundestag seinen Respekt und seine Dankbarkeit gegenüber Margot Friedländer bekunden.
„Versuche, dein Leben zu machen“
Friedländer war am Freitag im Alter von 103 Jahren in Berlin gestorben, wie die Margot Friedländer Stiftung mitteilte. Friedländer wurde 1921 in Berlin als Margot Bendheim geboren. Nach der Schule arbeitete sie in einer Schneiderei, ab 1940 musste sie Zwangsarbeit leisten. Ihre Familie hatte versucht, vor den Nationalsozialisten in die USA zu fliehen, jedoch vergeblich. Ihre Familie wurde in Auschwitz ermordet. Margot Friedländer selbst wurde im Untergrund in Berlin entdeckt und 1944 nach Theresienstadt gebracht. Ihre Erlebnisse schrieb sie in ihrer Autobiografie „Versuche, dein Leben zu machen“ nieder.
Nachdem sie 1946 mit ihrem Ehemann in die USA ausgewandert war, kehrte Margot Friedländer im Jahr 2010 wieder dauerhaft nach Berlin zurück. Immer wieder war sie als Zeitzeugin unterwegs, um über ihre Erlebnisse zu berichten und vor Antisemitismus zu warnen - vor allem auch im Gespräch mit Schülern. Im Rahmen ihres Engagements erhielt sie 2021 für besondere Verdienste im christlich-jüdischen Dialog die Jeanette-Wolff-Medaille. 2011 bekam sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Friedländer gründete zudem eine nach ihr benannte Stiftung, die 2024 erstmals einen Preis verlieh. Im selben Jahr bekam sie den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin.