Tontopf von Generation zu Generation weitergegeben

Die Murrhardter Familie Rössle hat das Erbstück aus dem 17. Jahrhundert jetzt dem Carl-Schweizer-Museum vermacht.

Anneliese Rössle hat das gute Stück an Christian Schweizer übergeben. Im Carl-Schweizer-Museum können nun Besucher den Tontopf besichtigen. Foto: E. Klaper

Anneliese Rössle hat das gute Stück an Christian Schweizer übergeben. Im Carl-Schweizer-Museum können nun Besucher den Tontopf besichtigen. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Das Haus für Natur und Geschichte ist um eine Attraktion reicher: einen jahrhundertealten Tontopf, dessen Materialwert zwar gering, der historische Wert aber umso höher ist. Ein einfacher, aber unentbehrlicher Gebrauchsgegenstand, der seit vielen Generationen im Gebrauch war. Er ist nach Einschätzung von Museumsleiter Christian Schweizer wahrscheinlich in der Walterichstadt von Hafnern, sprich Töpfern, gefertigt worden.

Der Topf ist eine Spende von Anneliese Rössle aus dem Nachlass von Frieda Rössle, der Großmutter ihres verstorbenen Mannes und befand sich in deren Wohnung in der Gartenstraße außerhalb der Stadtmauer. Christian Schweizer nimmt an, dass man ihn als Kochgeschirr benutzte. Beim Anblick dieses unscheinbaren, offensichtlich uralten Tontopfs mit einem geflickten Sprung und beschädigtem Rand denkt man zunächst nicht daran, dass sich hinter diesem Haushaltsgegenstand eine jahrhundertealte Kulturgeschichte verbirgt, zumal nicht mit europäischem Hintergrund.

Der Topf kann seine reiche Geschichte jedoch erst nach etwas intensiveren Recherchen erzählen. Heimatgeschichtsexperte Rolf Schweizer zeigte sich zugleich überrascht und verwundert über das hohe Alter des Stücks. Demnach stammt der Topf aus der Epoche vom Ende des 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, sprich aus der Zeit um den Dreißigjährigen Krieg, somit weit über 100 Jahre vor dem Murrhardter Stadtbrand am 24. August 1765. Der Topf ist kein Bodenfund, sondern überstand all die Jahrhunderte in den Häusern der Walterichstadt und ging durch die Hände vieler Generationen. Es ist der Aufmerksamkeit von Anneliese Rössle zu verdanken, dass das historische Gefäß nicht bei einer Haushaltsauflösung in den Müll wanderte, sondern jetzt nach Jahren ins Carl-Schweizer-Museum kam. Anneliese Rössle erzählt, dass der Topf aus dem Vorbesitz der Vorfahren der Familie Rössle stammt, vielleicht aber auch aus einer familiären Verbindung zur Familie Zügel, den Vorfahren des Kunstmalers Heinrich von Zügel. „Mitglieder der Familie Rössle sind als Hafner seit mehreren Generationen in Murrhardt bezeugt und die Zügels als eine der ältesten Familien unserer Stadt bekannt, beide also seit Jahrhunderten und damit seit weit vor dem Stadtbrand hier ansässig“, erläutert Museumsleiter Schweizer.

Irgendwann bekam der Topf einen Sprung: Heute würde man ein solch beschädigtes Geschirr wahrscheinlich entsorgen, früher aber war das unter Umständen gar keine Option, da der Ersatz je nach sozialer Lage zu teuer war. Wenn nur der Tontopf erzählen könnte: Der Heimatgeschichtsforscher hält es auch für möglich, dass die Rußspuren gar nicht vom Gebrauch, sondern von einem Brand stammen. Vielleicht hatte man den Topf aus dem Schutt eines ausgebrannten Hauses geborgen? Jedenfalls ist das ihn umgebende, kunstvoll gewirkte Drahtnetz nicht geschwärzt. Der gesprungene Topf wurde meisterhaft von einem stabilisierenden Drahtgeflecht umgeben und der Sprung mit einem kleinen Metallstück und hitzebeständigem Klebstoff – vermutlich Harz – abgedichtet, sodass das Gefäß weiter benutzt werden konnte.

Das Drahtgeflecht ist ein Hinweis auf ein bedeutendes Detail der europäischen Kultur- und Sozialgeschichte. Denn laut Schweizer berichteten unsere Vorfahren von umherziehenden, armen Wanderarbeitern. Neben Scherenschleifern und Händlern, gab es auch Fachleute, die die lebenswichtigen Küchengeschirre wieder reparierten. Dazu zählten die Kesselflicker, aber auch die im Volksmund sogenannten Schlawaken (Slowaken) und Rastelbinder, abgeleitet vom Fachbegriff für Geflecht. Diese spezielle Handwerkstechnik der Drahtbinderei zur Reparatur von Ton- oder Glasgefäßen wurde im 16. Jahrhundert in der Slowakei und Ungarn erfunden.

Der Topf zeugt von einer reichen und internationalen Kulturgeschichte

Diese Drahtbinder entwickelten sich zu einem eigenen Handwerkerstand, der speziell bei den armen Hausständen auf dem Land gefragt war, da man sich nicht so einfach wieder einen Tontopf beim Hafner besorgen konnte. Ein zerbrochener Krug wurde von den „Drotarn“, den Drahtern, kunstvoll zur Sicherung mit einem Drahtgeflecht umwirkt. Bis ins 19. Jahrhundert stellten diese Wanderarbeiter diverse Haushaltsartikel her, darunter auch Schöpfkellen und Siebe. Die Drahtbinder waren als Hausierer und fahrendes Volk unbeliebt, und das Handwerk lohnte sich mit der aufkommenden Industrialisierung, besseren Werkstoffen und dem allgemeinen sozialen Aufschwung nicht mehr. So starb dieser Beruf schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg vollends aus. Der Topf zeugt also von einer reichen Kultur- und Sozialgeschichte. Und die Moral von der Geschicht’: Die als sparsam bekannten Schwaben werfen nichts weg.

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Erstellt:
9. Oktober 2021, 16:00 Uhr

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