Totgesagte leben länger: Bibliotheken im Internet-Zeitalter

dpa/lsw Geislingen an der Steige. Das Internet ist der Untergang der Bibliotheken? So manchem galt das als ausgemacht. Doch viele Lesetempel setzen heute selbst auf die Digitalisierung. Und Bibliothekare sind auch dabei gefragte Partner.

Welche Bilder hat Rubens gemalt? Wo hat Beethoven seine Sinfonien komponiert? Wie geht es weiter mit der Millennium-Saga? Dafür muss man in Zeiten des Internets doch nicht in eine Bibliothek gehen. Stimmt zwar. Doch längst schon sind auch die guten alten Lesetempel auf den Digitalisierungszug aufgesprungen. Auch mit Hilfe des Internets behaupten sie sich als wichtige Anbieter von Wissen und Unterhaltung. Die Stadtbücherei in Geislingen an der Steige im Südosten der Region Stuttgart hat das vorgemacht. Sie wird dafür mit der - erstmals vergebenen - Auszeichnung „Bibliothek des Jahres Baden Württemberg“ geehrt.

Anlass ist der bundesweite Tag der Bibliotheken an diesem Donnerstag. Übergeben wird der mit 10 000 Euro dotierte Preis an den Geislinger Büchereileiter Benjamin Decker und seine Kollegen am Freitag bei einer Feierstunde in Stuttgart. Förderpreise in Höhe von jeweils 3000 Euro erhalten die Stadtbücherei Münsingen (Kreis Reutlingen) und die Stadtbibliothek Mannheim, wie der Landesverband im Deutschen Bibliotheksverband und die Sparkassen in Baden-Württemberg mitteilten.

Dass die Stadtbücherei auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Geislingen (MAG) als erste Einrichtung mit dem neu geschaffenen Titel gewürdigt wird, hat der einstimmigen Juryentscheidung zufolge maßgeblich mit ihrem innovativen Angebot zu tun. Schon seit zehn Jahren bietet die Stadtbücherei unter anderem E-Book-Ausleihe, E-Learning-Kurse und Gaming an.

„Es ist ja schon lange klar, dass Bibliotheken nicht mehr wie früher über ein Informationsmonopol verfügen“, sagt Büchereileiter Decker. „Das hat unseren Beruf und unsere Arbeitsweise stark verändert.“ Für die Bibliotheken sei längst die „Onleihe“ unverzichtbarer Bestandteil - also die Ausleihe digitaler Inhalte von E-Books bis hin zu Computerspielen.

Zugleich ist Decker überzeugt, dass die haptische Erfahrung von Büchern als schönen Gegenständen der Wissensvermittlung und der Unterhaltung bestehen bleiben wird. „Denken Sie nur an Kinderbücher und an das Erlebnis des Vorlesens aus einem schön gestalteten Buch.“ Zudem sei die Rolle der Bibliothekare als fachlich versierte Berater und Wegweiser auch angesichts einer Flut von digitalen Angeboten gefragt. Der Preisgeld wollen die Geislinger unter anderem für neue Notebooks für die Kunden nutzen.

Ungeachtet aller Unkenrufe sind Bibliotheken auch im Südwesten nach wie vor „die am meisten verbreiteten und am häufigsten genutzten Bildungs- und Kultureinrichtungen“, heißt es in einem 2018 veröffentlichten Positionspapier des Landesverbandes im Deutschen Bibliotheksverband. Er vertritt mehr als 240 Mitgliedseinrichtungen mit rund 400 hauptamtlich geleiteten öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken. Damit repräsentiert er eigenen Angaben zufolge „ein Informations-, Wissens- und Kulturangebot für sieben Millionen Bürger in 180 Städten und Gemeinden sowie für 360 000 Studierende und 30 000 Wissenschaftler“.

Ein Grund für den anhaltenden Erfolg sei die inzwischen fast schon symbiotische Beziehung zwischen digital und in Buchform verfügbaren Angeboten, sagt Alexander Ewald, Vorstandsmitglied des Landesverbandes und Leiter der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Eine Schlüsselrolle komme der digitalen Zusammenarbeit möglichst aller Bibliotheken zu. Von der Landesregierung erwartet Landesverband, dass sie die Bibliotheken konsequent in ihre Programme zur Förderung der Digitalisierung und ebenso zur Förderung des ländlichen Raums einbezieht.

Dass Bibliotheken weiterhin auch als Orte gefragt sind, die man real und nicht nur digital aufsucht, zeigen bundesweite Zahlen: Demnach ist die Zahl der Bibliothekenbesuche in Deutschland 2018 auf 220 Millionen leicht gestiegen. 2017 waren es 218 Millionen Besuche, wie der Deutsche Bibliotheksverband mitteilte. Rund 340 Millionen Bücher, Filme und Musiktitel wurden 2018 ausgeliehen. Dabei sei die Entwicklung allerdings leicht rückläufig. Das hänge maßgeblich damit zusammen, dass es online immer mehr Informationsplattformen gebe, die beispielsweise die Ausleihe von Sachbüchern sinken lasse.

Für den Bundesvorsitzenden Andreas Degkwitz sind Bibliotheken in Zeiten von Falschinformationen und Populismus als Orte freier Information und freier Meinungsäußerung wichtiger denn je. „Mit Sorge sehen wir, dass immer häufiger versucht wird, politischen Einfluss auf Bibliotheken zu nehmen. Um diesen Entwicklungen spürbar entgegenzuwirken, tun wir gut daran, unsere Bibliotheken in ihrer Arbeit zu stärken.“

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Erstellt:
23. Oktober 2019, 08:21 Uhr

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