Vor der Hessen-Wahl

Tritt Nancy Faeser als Innenministerin zurück?

Die SPD-Politikerin gilt als große Hoffnung ihrer Partei für die Landtagswahlen in Hessen. Wird sie Spitzenkandidatin, ließe sich das kaum mit dem Amt einer Bundesministerin vereinbaren.

Sie gewinnt in ihrem Amt allmählich an Statur, dennoch könnte sie es bald aufgeben: Bundesinnneministerin Nancy Faeser (SPD).

© dpa/Michael Kappeler

Sie gewinnt in ihrem Amt allmählich an Statur, dennoch könnte sie es bald aufgeben: Bundesinnneministerin Nancy Faeser (SPD).

Von Norbert Wallet

Langsam läuft es. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine ganze Weile gebraucht, um politisch erkennbar zu werden. Erstaunlich ist das nicht. Die 52-jährige Überraschungskandidatin im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz hatte ein Großministerium kennenzulernen, das zuvor 16 Jahre lang fest in der Hand der Union war und das im politischen Berlin im Ruf steht, ein ausgeprägtes Eigenleben zu führen. Faeser aber hat inzwischen erheblich an Sichtbarkeit gewonnen. Sie versteht sich auf Symbole. Im Sommer reiste sie durchaus auf Außenwirkung bedacht nach Kiew. Bei der Fußball-WM saß sie neben Fifa-Präsident Infantino auf der Tribüne – unübersehbar mit One-Love-Binde am Arm. Und politisch führt sie gerade mit dem schon beschlossenen „Chancen-Aufenthaltsrecht“ und ihrem Plan der schnelleren Einbürgerung gut integrierter Zuwanderer die Debatten an.

Aufhören, wenn’s am schönsten ist?

Und jetzt? Soll sie aufhören, wo es doch gerade am schönsten ist? Das ist durchaus möglich, denn im Herbst des kommenden Jahres finden Landtagswahlen in Hessen statt. Faeser ist dort Landesvorsitzende. Die Partei hat sich verabredet, im Februar festzulegen, wer die Spitzenkandidatur übernimmt. Das ist für die gesamte SPD eine ungemein wichtige Frage, denn die Hessen-Wahl ist von außerordentlicher Bedeutung. Dort regiert die CDU mit den Grünen. Diesmal haben sich die Grünen vorgenommen, mit Tarek al-Wazir das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Gelänge das, hätte das auch bundespolitisch für das Konkurrenzverhältnis von Grünen und SPD große Auswirkungen. Beide Parteien liegen in Hessen derzeit bei 22 Prozent gleichauf. Würde die SPD die stärkere Partei, wäre Rot-Grün unter sozialdemokratischer Führung möglich. Dazu braucht es ein populäres Zugpferd für den Wahlkampf – bekannt, in Hessen verwurzelt und darüber hinaus erfolgreich. Weit und breit ist nur eine Person zu sehen, die das Profil erfüllt: Nancy Faeser. Von 2001 bis 2021 war sie Abgeordnete im hessischen Landtag. Sie kennt das Terrain und die Hessen kennen sie.

Geht Faeser, könnte Lambrecht wechseln

Läuft also alles auf sie hinaus? Manche Beobachter meinen, dass Olaf Scholz Faeser bereits mit dem Plan ins Bundeskabinett geholt hatte, der Hessin eine nationale Plattform zu schaffen, damit sie im Landeswahlkampf mit dem Promi-Bonus punkten kann. Das muss nicht so sein, denn die Personalie bringt auch den Kanzler in Nöte. Obwohl auf den ersten Blick ein Abgang Faesers gar nicht so ungelegen käme. Um das zu erkennen, muss man ein bisschen „um die Ecke denken“.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fremdelt noch immer in ihrem Amt, das keineswegs ihren Wünschen zur Zeit der Regierungsbildung entsprach. Ginge Nancy Faeser nach Hessen, könnte Lambrecht ins Innenressort wechseln, was immer schon ihre Idealvorstellung war. Alles gut also? Nicht ganz. Scholz hatte sich hoch und heilig verpflichtet, dass sein Kabinett paritätisch besetzt sein soll. Das Verteidigungsressort müsste also weiter weiblich geführt bleiben, falls Lambrecht ginge. In der SPD gilt da eigentlich nur ein Name als präsentabel: die Ex-Ministerin und heutige Europa-Abgeordnete Katarina Barley. Ob sie will und ob Scholz das gut fände, ist unklar.

Vielleicht wäre ein einfacher Austausch im Amt der Innenministerin problemloser zu bewerkstelligen. Es gibt Gerüchte, dass die SPD-Vorsitzende Saskia Esken Interesse hätte. Diese Spekulationen hat sie jüngst selbst befeuert, als sie auf eine Interview-Frage, ob ihr der Job Spaß machen würde, antwortete: „Das ist auf jeden Fall eine spannende Aufgabe.“ Man kann das als Bewerbung interpretieren. Esken, sicher kein bedingungsloser Scholz-Fan, hat sich seit seiner Kanzlerschaft sehr loyal verhalten und alle Querschüsse vermieden. In der Partei wird das anerkannt. Sie könnte nun versucht sein, eine Gegenleistung einzufordern. Ohne Schwierigkeiten ist auch das nicht, schließlich brächte die Kombination von Ministeramt und Parteivorsitz eine gewisse Unwucht in das Verhältnis zu Co-Parteichef Lars Klingbeil, der kein Kabinettsmitglied ist.

Faser steht vor einer schweren Wahl

Natürlich ist das Lesen im Kaffeesatz. Noch ist ja gar nicht sicher, ob Faeser den Sprung wagt. Sie müsste dann wohl schon im Februar aus dem Kabinett ausscheiden, da Wahlkampf und Ministeramt kaum miteinander vereinbar scheinen. Im Februar allerdings dürfte Deutschland noch mitten im Krisenmodus stecken. Zu gehen, wenn die Not am größten ist – das wäre allerdings auch kein schöner Start für eine Spitzenkandidatin. Faeser steht also in jeder Hinsicht vor einer schweren Wahl.

Zum Artikel

Erstellt:
2. Dezember 2022, 17:38 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen