Türkei schiebt deutsche mutmaßliche IS-Mitglieder ab

dpa Berlin. Etwa jeder dritte der Islamisten, die aus Deutschland ins IS-Gebiet ausgereist waren, ist tot. Von denen, die den Niedergang des Pseudo-Kalifats überlebt haben, kommen jetzt einige zurück. Abgeschoben aus der Türkei.

Im Lager Al-Haul in Syrien stehen Frauen für Hilfsgüter an. Nach dem Fall der letzten IS-Bastion Ende März befinden sich Tausende IS-Kämpfer und ihre Angehörigen in Gefangenenlagern. Foto: Maya Alleruzzo/AP/dpa

Im Lager Al-Haul in Syrien stehen Frauen für Hilfsgüter an. Nach dem Fall der letzten IS-Bastion Ende März befinden sich Tausende IS-Kämpfer und ihre Angehörigen in Gefangenenlagern. Foto: Maya Alleruzzo/AP/dpa

Angesichts der türkischen Ankündigung, mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz (IS) nach Deutschland abzuschieben, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer die volle Wachsamkeit der deutschen Behörden zugesagt.

„Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass jeder Einzelfall von den deutschen Behörden sorgfältig geprüft wird“, erklärte der CSU-Politiker am Montagabend. „Wir werden alles tun, um zu verhindern, dass Rückkehrer mit Verbindungen zum IS zu einer Gefahr in Deutschland werden.“ Zuerst hatte die „Süddeutsche Zeitung“ (Dienstag) darüber berichtet.

Die Türkei schiebt in dieser Woche mindestens sieben mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit zwei Kindern nach Deutschland ab. Es ist das erste Mal, dass militante Islamisten auf diesem Weg nach Deutschland zurückkehren. Bisher hatte die Bundesregierung nur bei der Rückholung einiger weniger IS-Kinder assistiert. Dutzende Anhänger der Terrormiliz kamen in den vergangenen Jahren auf eigene Faust zurück - viele von ihnen landeten später vor Gericht.

Dass einige der in Syrien inhaftierten deutschen IS-Anhänger eines Tages zurückkehren würden, wusste die Bundesregierung. Die Abschiebungen aus der Türkei kommen für die hiesigen Sicherheitsbehörden nun dennoch etwas plötzlich. Außenminister Heiko Maas forderte die Türkei auf, zügig weitere Informationen zur geplanten Abschiebung mutmaßlicher IS-Anhänger nach Deutschland zu liefern.

Wenn betroffene Personen einen „Bezug zu IS-Kampfhandlungen“ hätten, wolle man dafür sorgen, dass sie sich in Deutschland vor der deutschen Gerichtsbarkeit verantworten müssen, sagte der SPD-Politiker am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Es brauche aber „ausreichend gerichtsfeste Beweise“, um jemanden in Haft zu nehmen oder vor Gericht zu stellen.

Zum aktuellen Stand sagte der Außenminister: „Wir befinden uns zurzeit im Dialog mit den türkischen Behörden.“ Man wisse, dass in dieser Woche zehn Menschen nach Deutschland überführt werden sollten. Es handele sich dabei im Wesentlichen um Frauen und Kinder.

Die Türkei hatte zuvor angekündigt, mindestens sieben mutmaßliche Anhänger der Terrormiliz IS mit zwei Kindern nach Deutschland abzuschieben. Es ist das erste Mal, dass militante Islamisten auf diesem Weg nach Deutschland zurückkehren. Bisher hatte die Bundesregierung nur bei der Rückholung einiger weniger IS-Kinder assistiert. Mehrere andere europäische Staaten haben es bisher abgelehnt, IS-Anhänger zurückzuholen, die von den SDF in Nordsyrien gefangen genommen worden waren.

Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte der Deutschen Presse-Agentur, vor der Abschiebung nach Deutschland müsse nicht nur in jedem Fall die Staatsangehörigkeit geklärt werden, sondern auch, „wohin zum Beispiel Doppelstaatler gehen“. Außerdem bräuchten die deutschen Behörden Zeit, um mögliche Ermittlungen und Strafverfahren vorzubereiten. Diesen diplomatischen Ablauf sollte der Bundesaußenminister mit seinen guten Kontakten in die Türkei gewährleisten können, sagte Schuster.

Die Grünen forderten, dass Deutschland mutmaßliche IS-Mitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit zurücknimmt und sie vor Gericht stellt. Bereits seit Jahren machten die Türkei, aber auch der Irak und die Kurden deutlich, dass sie diese Menschen nicht sicher unterbringen und die Strafverfahren nicht durchführen könnten, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Es könne nicht sein, dass Deutschland von anderen Ländern fordere, Straftäter zurückzunehmen, aber im Fall von Menschen, die ein „Hochsicherheitsrisiko für die gesamte Weltgemeinschaft“ seien, nichts mit diesen zu tun haben zu wollen.

Das Auswärtige Amt teilte am Montag mit, dass am Donnerstag sieben deutsche Staatsangehörige aus der Türkei ankommen sollen, am Freitag dann noch einmal zwei weitere Deutsche. Insgesamt kämen in dieser Woche fünf Frauen, drei Männer und zwei Kinder an. Bei einem Mann, der bereits am Montag aus der Türkei nach Deutschland abgeschoben werden sollte, gibt es nach Angaben der Bundesregierung keine Beziehung zu der Terrormiliz. Bei zwei der Frauen gebe es Anhaltspunkte, dass sie sich in Syrien aufgehalten hätten, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Bei den anderen Deutschen könne dies ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Noch sei aber nicht klar, ob es einen Bezug zum IS gebe.

Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, sollen mindestens zwei der Frauen aus dem Lager Ain Issa in Syrien ausgebrochen sein. Vier der insgesamt fünf Frauen sollen in der vergangenen Woche in der Türkei festgenommen worden sein. Eine von ihnen ist dem Vernehmen nach eine Konvertitin aus Hamburg. Der Mann, mit dem sie einst ins IS-Gebiet ausgereist war, soll schon vor Jahren getötet worden sein.

Zwei der Deutschen seien in Syrien gefasst worden, sagte der Sprecher des türkischen Innenministeriums, Ismail Catakli, nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Wo die anderen aufgegriffen wurden, sagte er nicht.

Neben den Deutschen sind demnach 15 weitere ausländische IS-Mitglieder betroffen. Ein Amerikaner und ein Däne wurden nach Angaben Cataklis bereits abgeschoben. Die Rückführung elf französischer IS-„Kämpfer“ und zweier Iren sei geplant. Sie seien ebenfalls in Syrien gefasst worden.

Die Türkei hatte am 9. Oktober eine Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in begonnen, die sie als Terrororganisation betrachtet. Dabei wurden nach offiziellen Angaben 287 IS-Anhänger festgenommen, darunter Frauen und Kinder. Nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sitzen derzeit mehr als 1000 Anhänger des IS in türkischen Gefängnissen, darunter 737 ausländische Staatsbürger.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, es befänden sich - außer den Menschen, deren Abschiebung für diese Woche avisiert wurde - noch „weniger als 20 Personen“ in türkischer Abschiebehaft, bei denen noch geprüft werden müsse, ob sie tatsächlich Deutsche seien.

Auch Frauen, die nicht selbst für die Terrormiliz gekämpft haben, müssen in Deutschland mit Strafverfolgung rechnen. Sie könnten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung belangt werden. Etwa wenn sie versucht haben, Menschen aus der Heimat zur Ausreise in von der Terrormiliz kontrolliertes Gebiet zu bewegen.

Die von der YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) hatten vor Beginn des türkischen Einmarschs die Kontrolle über Tausende IS-Gefangene. Schätzungsweise 10.000 IS-Kämpfer waren in mehreren SDF-Gefangenenlagern im Nordosten Syriens untergebracht, davon etwa 2000 ausländische Kämpfer sowie etwa 8000 syrische und irakische Staatsbürger.

Die Kurdenmilizen hatten außerdem die Kontrolle über mehrere Lager, in denen rund 70.000 Frauen und Kinder untergebracht waren. Tausende von ihnen sollen Angehörige von IS-Mitgliedern sein. Die SDF haben sich nach russischen Angaben inzwischen zurückgezogen. Die Türkei und Russland einigten sich, den Grenzstreifen gemeinsam zu kontrollieren.

Griechenland hat derweil einem angeblichen IS-Kämpfer die Einreise aus der Türkei nach einem außergewöhnlichen Zuständigkeitszwist zwischen Grenzpolizisten verweigert. Die griechische Polizei teilte mit, türkische Polizisten hätten den Mann zunächst auf die griechische Seite des Grenzübergangs von Kastanies/Edirne im Nordosten Griechenlands gebracht.

Den griechischen Grenzpolizisten sagten sie demnach, dass die Aufenthaltserlaubnis des Mannes in der Türkei abgelaufen sei und er das Land verlassen müsse. Gegen den US-Bürger arabischer Abstammung lag in den Akten der griechischen Polizei nach deren Angaben nichts vor.

Der Mann habe sich zunächst geweigert in Griechenland einzureisen, hieß es weiter. Daraufhin hätten die türkischen Polizisten ihn wieder in die Türkei mitgenommen. Wenig später sei der Mann jedoch wieder auf der griechischen Grenzseite erschienen und habe doch in Griechenland einreisen wollen. Diesmal hätten ihm die griechischen Grenzbehörden die Einreise verweigert und seinen Pass mit einem entsprechenden Verbot gestempelt. Der Mann sei anschließend zurück in die Türkei gegangen. Eine offizielle Stellungnahme von türkischer Seite gab es zunächst nicht.

Die türkische Nachrichtenagentur DHA hatte zuvor berichtet, ein von der Türkei abgeschobener Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sei zwischen der griechisch-türkischen Grenze gestrandet. Dabei handele es sich vermutlich um einen amerikanischen IS-Anhänger, den türkische Kräfte während ihrer Offensive in Nordsyrien gefasst hatten. Auf einem Video war zu sehen, wie der Mann zwischen den beiden Grenzpfosten herumläuft, ruft und winkt.

Zwar hatten die türkischen Stellen zuvor erklärt, einen amerikanischen IS-Kämpfer abgeschoben zu haben. Details zum Vorgang nannte die Regierung jedoch nicht.

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Erstellt:
11. November 2019, 21:21 Uhr

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