Übergriffe auf DRK-Kräfte und Polizisten nehmen zu

Ein verunglückter Mann schlägt eine Sanitäterin, Autofahrer blockieren die Zufahrt zum Unfall: Entsetzen beim DRK

Übergriffe auf DRK-Kräfte und Polizisten nehmen zu

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Von Pia Eckstein

WAIBLINGEN. Das Rote Kreuz geht mit einer ungewöhnlichen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. Der Anlass: eine verletzte Notfallsanitäterin und schiere Hilflosigkeit. Wie sollen die Retter jenen beikommen, die ihre Helfer beschimpfen, bespucken und gar mit Schlägen traktieren? Wie umgehen mit enthemmtem Verhalten, egal ob auf der Bundesstraße, in der Kneipe oder im Krankenhaus? Der Mann hatte zu viel getrunken und war gestürzt. Es war Donnerstag, der 13. Juni, gegen 13 Uhr. Die herbeigerufenen Sanitäter vom Roten Kreuz legten den 48-Jährigen auf eine Trage und schirmten ihn gegen die Blicke von Umstehenden ab. Als eine Sanitäterin sich um seine Behandlung kümmern wollte, schlug der Mann ihr mit der Faust ins Gesicht. „Das war ein gezielter Schlag“, erklärt Marco Flittner, Rettungsdienstleiter beim Roten Kreuz Rems-Murr.

Die Gesellschaft enthemmt sich. Offenbar schwindet das Gefühl für das, was früher mit dem Satz beschrieben wurde: „Das tut man nicht.“ Man beschimpft und bespuckt niemanden, man macht die Dinge der anderen nicht kaputt und man prügelt auch nicht und niemals auf die Menschen ein, die einem gerade helfen. Wer ist man? Das Wörtchen „man“ hat seine allgemeingültige Bedeutung für das Ich verloren. Denn längst tun diverse Individuen das, was man nicht tut, ganz offensiv doch.

Am Montag, 24. Juni, um kurz vor 11 Uhr verunglückten auf der B29 bei Hebsack ein VW und ein Mercedes. Der Mercedes-Fahrer wurde verletzt und musste behandelt werden. Der Rettungswagen versuchte, zum Unfall vorzudringen. Eine Zeugin schildert die Zustände so: Die Zufahrt sei regelrecht verstopft gewesen, weil Autofahrer versuchten, rechts auf dem Standstreifen voranzukommen. Es habe Manövrierversuche gegeben, der Rettungswagenfahrer habe sogar aussteigen müssen. Vom Roten Kreuz ist diesbezüglich keine Bestätigung zu bekommen. Der Sprecher erklärt aber, dass Rettungsgassen per se nach wie vor ein schwieriges Thema seien.

Wer die Arbeit von Rettungsdiensten behindert, weil eine Rettungsgasse nicht gebildet wurde, muss inzwischen ein Bußgeld von 300 bis 320 Euro bezahlen, bekommt zwei Punkte in Flensburg und womöglich noch ein Fahrverbot. Wer einem Einsatzwagen mit Blaulicht und Martinshorn nicht sofort Platz macht, zahlt 240 bis 320 Euro, bekommt zwei Punkte und auf jeden Fall einen Monat Fahrverbot.

Die Kriminalitätsstatistik des Polizeipräsidiums Aalen kommt seit rund fünf Jahren immer besser daher: Im Rems-Murr-Kreis sinkt seit 2015 die Zahl der Straftaten insgesamt stetig. Die Zahl der Körperverletzungen bleibt recht konstant. Doch das Gefühl auf der Straße ist ein anderes.

Nun ist Aggression ja auch Definitionssache: Raser, die mit über hundert durch Ortschaften rauschen, überhaupt Nötigungen im Straßenverkehr, selbst zerkratzte Autos, Farbschmierereien und andere Sachbeschädigungen sollen an dieser Stelle außen vor bleiben. Es geht um körperliche Gewalt. Da sammelt sich so einiges: Erst kürzlich, es ist Juni, schlägt ein Mann in Urbach vor dem Lidl einen anderen mit einer Metallstange. Ein Mann wird in Waiblingen von einer ganzen Gruppe angegriffen, ihm wird das Handy geklaut. Zwei Männer in Schorndorf greifen nachts einen Anwohner mit Pfefferspray an, der nachschaut, was die zwei da draußen Eigenartiges tun.

Ein Mann zerlegt in einem Arztzimmer sämtliches Mobiliar und die EDV-Anlage. Der Mann befand sich allerdings in einem psychischen Ausnahmezustand. Im Mai attackieren drei Jugendliche in Waiblingen ein zehnjähriges Mädchen, schlagen es auf den Hinterkopf. Eine 69 Jahre alte Frau beleidigt zunächst mehrere spielende Kinder und entblößt mehrfach ihre Brüste. Der Alkoholtest ergibt rund 2,5 Promille. Das sind sechs Fälle in zwei Monaten.

Bei vielen Vorfällen ist Alkohol im Spiel

Derartige Übergriffe sind längst regelmäßig in den Polizeipressemitteilungen. Doch wie sieht es mit Gewalt gegen Menschen aus, die in dem Moment für eine Institution arbeiten, quasi einen Auftrag haben? Im Mai beleidigen und bespucken zwei Männer Polizisten auf einem Parkplatz in Backnang. Die Männer sind betrunken. Eine stark betrunkene Frau randaliert in der Notaufnahme in Winnenden so sehr, dass sich das Klinikpersonal nicht mehr zu helfen weiß und die Polizei ruft. Ein Mann schlägt in Waiblingen einen Polizisten mit der Faust ins Gesicht. In Schorndorf verletzt ein 21-Jähriger zwei Polizisten.

Im April belästigen und provozieren zwei Betrunkene in Winnenden erst Passanten, dann beschimpfen und bepöbeln sie auch noch die Polizisten. In der S-Bahn bei Waiblingen wehrt sich eine betrunkene Frau gegen eine Ticketkontrolle. Die herbeigerufene Polizei sieht sich einem 15 Zentimeter langen Küchenmesser gegenüber, das die Frau griffbereit im Stiefel trägt. Am Karfreitag ist in Kirchberg ein Mann so betrunken, dass er nicht selbstständig laufen kann. Doch er kann noch um sich schlagen und die Polizei aufs Unfeinste beleidigen. Ein stark betrunkener junger Mann schläft im Bus am Bahnhof Remshalden seinen Rausch aus. Als die Polizei ihn wecken will, beschimpft er die Beamten. Der Mann hat ein Hakenkreuz sowie weitere verbotene Symbole auf seinen Personalausweis geritzt. Im März bespuckt ein Fahrgast einen Busfahrer. Ein Mann zeigt einem Polizisten den Stinkefinger. Ein Betrunkener beleidigt und bespuckt Polizisten. Ein 31-Jähriger verletzt zwei Polizisten. Im Februar tritt eine betrunkene 16-Jährige nach Polizisten. Schwer verletzt wird eine Polizistin im Januar: Ein Betrunkener ist handgreiflich geworden. Außerdem greift ein Randalierer Polizisten mit dem Messer an.

Es geht allerdings auch andersrum: Im Januar verprügelt ein Busfahrer einen Fahrgast, weil der eine Pizza mit in den Bus genommen hatte. „Alkohol entschuldigt nicht alles“, aber die Hemmschwelle sinkt. Die Notfallsanitäter beim Roten Kreuz wissen längst, so Rettungsdienstleiter Marco Flittner, dass „verbale Gewalt seit Jahren“ zunimmt. Man habe sich daran „mittlerweile gewöhnt“. Oft seien es „Alkohol und Drogen, die die Hemmschwelle sinken lassen“. Doch Flittner betont: „Alkohol entschuldigt nicht alles.“ Und ein gezielter Schlag, wie ihn die Notfallsanitäterin jetzt verkraften musste, stelle, so Flittner, eine neue „Qualität der Gewalt“ dar.

Das Rote Kreuz trainiert die Mitarbeiter seit dem Jahr 2008 in Sachen Deeskalation. Das Gefühl, im Einsatz einem steigenden Risiko ausgesetzt zu sein, nehme zu. Das Misstrauen, die Angst wachse. Der Notfallsanitäterin übrigens musste nach dem Faustschlag selbst Hilfe geleistet werden. Die Frau wurde im Krankenhaus behandelt.

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Erstellt:
26. Juni 2019, 06:00 Uhr

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