Krieg in der Ukraine

Ukraine tötet Kriegsverbrecher

Im russischen Hinterland haben ukrainische Agenten einen russischen Polizisten liquidiert, einen mutmaßlich Mörder der Gräueltaten in Butscha und Irpin.

Präsident Volodymyr Zelenskyj zeichnet Geheimdienstchef Kyrylo Budanov (li.) aus. Der 39-jährige Generalleutnant diente in einer Spezialeinheit, wurde mehrfach im Donbass und auf der Krim verwundet.

© Regierung der Ukraine

Präsident Volodymyr Zelenskyj zeichnet Geheimdienstchef Kyrylo Budanov (li.) aus. Der 39-jährige Generalleutnant diente in einer Spezialeinheit, wurde mehrfach im Donbass und auf der Krim verwundet.

Von Franz Feyder

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR hat am vergangenen Samstag tief im russischen Hinterland einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher gezielt liquidiert. Nach einer Mitteilung des Dienstes wurde unweit der Stadt Kemerowo im Westen Sibiriens der Oberstleutnant der Polizei Veniamin Wladimirowitsch Mazzherin mit einer Autobombe auf einer Landstraße getötet. Der 45-Jährige war Einheitsführer in der Spezialeinheit OMON, die direkt dem russischen Innenministerium untersteht. Die in dieser Region stationierte Einheit der russischen Nationalgarde mit dem Namen „Obereg“ – russisch für Beschützer, Glücksbringer – nahm spätestens seit dem Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine am 22. Februar 2022 an dem Überfall teil.

Bis zum Rückzug der russischen Armee aus diesem Raum Anfang April soll der Verband nach übereinstimmenden Recherchen der ukrainischen Sicherheitsbehörden, der UNO und mehrerer Nichtregierungsorganisationen an den Massakern russischer Streitkräfte in den Vororten Kiews beteiligt gewesen sein: vor allem in Butscha, Irpin und Hostomel. Bei den Gräueltaten starben mindestens 1100 Frauen und Männer, eine ungezählte Anzahl wurden zudem gefoltert, missbraucht, vergewaltigt und verschleppt.

Ermittlungsverfahren eingeleitet

Ermittlungsverfahren eingeleitet

Bereits am 14. April 2022 veröffentlichte der HUR eine Liste mit den Namen von 61 Angehörigen der „Obereg“. An vierter Stelle taucht der Name Mazzherins auf: Passnummer 3215 542114, ausgestellt am 21.05.2015 durch die Stadt Kemerowo. Der ukrainische Generalstaatsanwalt hatte ein Ermittlungsverfahren gegen diesen und weitere russische Angehörige von Streitkräften eingeleitet. Nachgewiesen wurde den Polizisten der Einheit, dass sie illegal Häuser und Wohnungen durchsucht haben, Zivilisten festnahmen, folterten, vergewaltigten, verschleppten oder töteten. Allerdings konnten die jeweiligen Einzeldelikte bislang nicht konkret einzelnen Polizisten der „Obereg“ zugeordnet werden. Täter und Opfer werden also forensisch nicht eindeutig miteinander verknüpft. Die Befehlskette innerhalb der Einheit ist bislang lückenhaft dokumentiert.

Eigene Recherchen unserer Zeitung in offenen Quellen belegen, dass Oberstleutnant Mazzherin sich im Februar und März 2022 sowohl in Butscha als auch in Irpin aufhielt und mindestens einen Zug von 30 Polizisten anführte. Videos und Fotos von Kennzeichen der von „Obereg“ genutzten Fahrzeuge zeigen die Ziffern 42, die Kennung für die 544 000 Einwohner zählende Stadt Kemerowo. Abzeichen an den Uniformen der Polizisten weisen sie dem „Obereg“-Verband zu. In sozialen Medien veröffentlichte Fotos zeigen zudem, wie Angehörige der Einheit, unter ihnen Mazzherin, für ihren Ukraine-Einsatz in Russland ausgezeichnet wurden. Der Kraftsportler selbst lebte offenbar in Kemerowo. Unklar ist, ob seine Einheit immer noch in der Ukraine eingesetzt ist oder zwischenzeitlich dauerhaft nach Sibirien zurückgekehrt ist.

Im Westen Sibiriens gezielt getötet

Liquidiert im russischen Hinterland

Die gezielte Tötung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers 3200 Kilometer von der ukrainisch-russischen Grenze entfernt durch Agenten der HUR, wird in der Ukraine als Husarenstück gefeiert. Die Aktion wirft gleichzeitig aber auch die Frage auf, ob sie nicht selbst ein Kriegsverbrechen darstellt. Unbestritten ist, dass die Gräueltaten von Butscha, Irpin, Hostomel und anderen Orten in der Ukraine Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem Genfer Abkommen darstellen. Unbestritten ist auch, dass Mazzherin als Polizeiführer am Krieg in der Ukraine teilnahm und somit Kombattant, also Kämpfer, und daher ein legitimes militärisches Ziel ist.

Selbst wenn Mazzherin Kriegsverbrechen beging, rechtfertigt dies selbstverständlich nicht seine guerillaartige Tötung. Unklar ist, auf welcher klaren rechtlichen Grundlage hin Mazzherin gezielt getötet wurde. Die offen zugänglichen Informationen reichen nicht aus, abschließend zu klären, ob die gezielte Tötung rechtmäßig war.

„Jeder Täter wird gefunden.“

Sie dürfte aber für zusätzliche Unruhe in russischen Sicherheitskreisen sorgen. Denn der HUR droht in seiner Mitteilung: „Mazzherin war einer der identifizierten Täter (der Kriegsverbrechen in der Ukraine – red). Heute hat ihn die Vergeltung ereilt. Der ukrainische Militärnachrichtendienst erinnert alle, die an den Verbrechen gegen das ukrainische Volk beteiligt waren oder sind: Jede Tat wird vergolten. Jeder Täter wird gefunden.“ Das erinnert an die Operation „Zorn Gottes“, mit der der israelische Geheimdienst Mossad bis 1981 Drahtzieher und Hintermänner des Anschlags auf die Mannschaft Israels bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München liquidierte. Elf der 14 Teilnehmer waren von der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ bei dem Anschlag ermordet worden.

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Erstellt:
31. Oktober 2025, 07:44 Uhr

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