Amoklauf

Um zehn steht ganz Österreich still

Einen Tag nach dem Amoklauf von Graz geht die Suche nach dem Motiv des Täters weiter. Auch ein Abschiedsbrief und ein -video bringen keine Klarheit.

Polizisten in Wien bei einer Schweigeminute für die Opfer von Graz.

© Helmut Fohringer/APA/dpa

Polizisten in Wien bei einer Schweigeminute für die Opfer von Graz.

Von Patrick Guyton

Um zehn Uhr steht an diesem Mittwoch in Österreich alles still. Busse und Straßenbahnen stoppen die Fahrt, die Menschen verharren, Kirchenglocken läuten, auch das Bundeskabinett hält bei seiner Sitzung inne. Eine Minute lang gedenkt das Land an die zehn Todesopfer des Amoklaufs im Grazer Gymnasium in der Dreierschützengasse am Vortag. Von dort wurden um zehn Uhr die ersten Notrufe abgesetzt. Neun Schüler und eine Lehrerin wurden von dem Amokschützen erschossen.

Nun wird die Bluttat aufgearbeitet – einerseits seelisch, andererseits werden immer mehr Fakten bekannt und ermittelt. Schon nach 17 Minuten, so die Polizei, war das Gebäude gesichert. Der Täter Artur A., 21 Jahre alt, Österreicher, ehemaliger Schüler an dem Gymnasium, hatte sich in einer Schultoilette selbst das Leben genommen. Eine gute Nachricht gibt es: Die elf schwer verletzten Menschen sind allesamt außer Lebensgefahr, vier von ihnen waren noch auf der Intensivstation im Krankenhaus, sieben auf normalen Abteilungen. Das jüngste Todesopfer war erst 14 Jahre alt, acht von ihnen zwischen 15 und 17, die Lehrerin 59. Es war der schlimmste Amoklauf in der Geschichte Österreichs.

Die Schule selbst ist am Mittwoch wieder geöffnet. „Das ist ein Angebot, Lehrer und Psychologen reden mit den Schülerinnen und Schülern“, sagt Elisabeth Meixner von der steirischen Schulverwaltung gegenüber dem Österreichischen Rundfunk ORF. Die Schule ist ein Trauerort, kommen muss niemand. Die nahe Helmut-List-Halle ist für alle geöffnet, die Hilfe suchen, 40 Mitarbeiter eines Krisen-Interventionsteams sind da sowie 20 Schulpsychologen. Eine junge Frau sagt: „Es ist ein schwerer Stein, den man jetzt mit sich trägt.“

Über den Täter ist mittlerweile einiges bekannt. Artur A. lebte mit seiner Mutter in der Gemeinde Karlsdorf, 15 Kilometer südlich von Graz. Die Schule hatte er ohne Abschluss verlassen und war arbeitslos. Er hinterließ ein Abschiedsvideo und einen Abschiedsbrief an seine Eltern. Auch wurden eine nicht funktionierende Rohrbombe sowie Pläne für einen Sprengstoffanschlag gefunden. Die Spekulation, dass früheres Mobbing an der Schule das Motiv war, kann die Polizei nicht bestätigen.

Ansonsten gleicht Artur A. einem Phantom. Niemand kannte ihn in Karlsdorf mit seinen 9500 Einwohnern. Auch im Internet hat er laut Polizei keine Spuren hinterlassen – was ungewöhnlich ist für Amoktäter. Ein Nachbar in Karlsdorf sagt im Fernsehen, was für die Gemütslage vieler Österreicher gelten mag: „Schrecklich, dass so etwas vor der Haustür geschieht.“

Die sonst so polarisierten Parteien scheinen die Übereinkunft zu haben, im Augenblick nicht zu streiten. Elke Kahr, die Grazer Bürgermeisterin von der kommunistischen KPÖ, meint: „Jetzt hat Politik keinen Platz.“ Die rechte FPÖ sagte ihren für den Samstag geplanten Bundesparteitag ab. Auch Parteitreffen auf Länderebene von ÖVP und den liberalen Neos sind verschoben worden.

In Fahrt kommt aber die Debatte über das laxe Waffenrecht in Österreich. Mittlerweile gibt es 1,5 Millionen zugelassene Gewehre und Pistolen, die Zahl steigt – bei neun Millionen Einwohnern. Der Täter hatte zwei zugelassene Waffen – eine Schrotflinte und eine Pistole. Für letztere hatte er einen psychologischen Test machen müssen und ihn bestanden.

Am Mittwoch gab es Drohungen gegen Schulen. Passiert ist nichts. Auch wurden gefälschte Bilder und Videos ins Internet gestellt, auf denen vermeintliche Opfer oder der Täter zu sehen waren. Gerry Foitik vom Österreichischen Roten Kreuz sagt: „Das ist eine Entwürdigung der Opfer.“

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Erstellt:
11. Juni 2025, 17:10 Uhr

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