Deutscher Pavillon in Venedig

Umdenken – jetzt!

Der deutsche Beitrag zur 19. Internationalen Biennale der Architektur in Venedig führt die dramatischen Folgen der Erderwärmung sinnlich vor Augen. Das Kuratorenteam hat eine klare Forderung.

Die Städte werden immer heißer: Blick in den Deutschen Pavillon in Venedig

© Imago/Zuma Press

Die Städte werden immer heißer: Blick in den Deutschen Pavillon in Venedig

Von Henning Klüver

Der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale 2025 widmet sich unter dem Titel „Stresstest” den dramatischen Auswirkungen der Erderwärmung auf das urbane Leben. Ein Video, das den weitläufigen zentralen Bereich des Pavillons raumhoch füllt, bringt es schnell auf den Punkt.

Aufnahmen von Platzanlagen in Berlin, Frankfurt oder München werden von Wärmebildern überlagert, die zeigen, wie Hitze sich über Glasfassaden oder schattenlose Pflaster dramatisch ausbreitet. Auf thermischen Stadtplänen sind Hitzeinseln rot zu erkennen. Grün zeigen sich Flächen, wo sich etwa im Berliner Tiergarten Natur ausbreitet.

Die fatale Betonseligkeit der Städte

Extreme Temperaturen werden von der Betonseligkeit unserer Städte geradezu herbeigerufen und locken Killermücken und invasive Insektenarten an. Krankheiten breiten sich aus, Medikamente wirken anders. 2022 starben 8000 Menschen in Deutschland an den Folgen von Hitzewellen. Gezeigt werden aber auch die Gegenmittel: Schatten, Bewässerung, helle Flächen, Entsiegelung von Böden. Gegen Hitze hilft vor allem Natur mit begrünten Flächen, wie wir aufatmend an Beispielen aus ganz Europa sehen können, während den Bildern die Arie „Casta Diva“ aus Bellinis Oper „Norma“ unterlegt ist.

„Bäume sind die Helden“, sagt Gabriele G. Kiefer, die den deutschen Auftritt zusammen mit Nicola Borgmann, Elisabeth Endres und Daniele Santucci kuratiert hat, im Gespräch mit unserer Zeitung. Und nach Bäumen sehnt man sich im rechten Teil des Deutschen Pavillons, wo man in einem überhitzten Raum sich selbst von Wärmekameras aufgenommen auf Wandprojektionen mit gespenstisch roten Flecken am Körper betrachten kann. Die Lage sei dramatisch, so Kiefer, die als Landschaftsarchitektin in Berlin lebt und an der TU in Braunschweig unterrichtet, „es wird heißer und heißer“. Das Umdenken müsse sofort beginnen. „Umdenken von Architekten und Stadtplanern, aber vor allem von Auftraggebern, von den Entscheidern.“ Allein am Profit orientierte Investoren und ängstliche Politiker verschlechterten die Klimasituation Tag für Tag.

Die Natur als Mahnung und Vorbild

Erholung liefert im linken Teil des Pavillons ein Raum eben mit Bäumen, durch offene Fenster weht frische Luft. Stress und Destress sind die beiden Themenbereiche der Ausstellung, die durch die Raumerlebnisse sinnlich nachzuvollziehen sind. Dazu kommen Informationen an den Wänden, etwa dass Bäume bis zu 400 Liter Wasser an ihre Umgebung als feuchten Dunst abgeben. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen mit einer Reihe von Beiträgen, darunter des italienisch-deutschen Landschaftsarchitekten Andreas Kipar (Mailand/Düsseldorf), der auch Kuratoriumsmitglied der IBA‘27 Stuttgart ist: „Mahnung und Vorbild zugleich ist die Natur. Mahnung, indem sie durch ihre Verletzbarkeit unsere Verletzbarkeit deutlich macht. Vorbild, indem sie mit Vielfalt Formen der Gemeinsamkeit und des Wachstums im wahrsten Sinne des Wortes vorlebt.“

Auf dem Dach des Deutschen Pavillons ist eine Installation des Künstlers Christoph Brech mit beweglichen Luftbeuteln zu sehen – sie zeigen, woher der Wind weht.

Infos

Katalog„Stresstest“, deutsche und englische Ausgabe, hrsg. von Nicola Borgmann, Elisabeth Endres, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci, Distanz Verlag, Berlin. 35 Euro.

InternetWeitere Informationen unter www.stresstest.world/de

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Erstellt:
12. Mai 2025, 17:06 Uhr

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